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Kryptokunst

Digitale Ferraris

Die Kryptokunst fasziniert nicht nur Tech-Communities, sondern elektrisiert mittlerweile auch den etablierten Kunstbetrieb. Das heizt die Spekulation an. Eine von der UZH organisierte interdisziplinäre Konferenz diskutiert das Phänomen aus künstlerischer, technologischer und rechtlicher Perspektive.
David Werner
Für eine Rekordsumme versteigert: Die Fotocollage «Everydays – The First 5000 Days» von Mike Winkelmann alias Beeple.

 

Mike Winkelmann, auch bekannt unter seinem Künstlernamen Beeple, ist ausgebildeter Informatiker. 2007 begann er, jeden Tag ein digitales Bild auf der Social-Media-Plattform Tumblr zu posten. Später kam er auf die Idee, Miniaturvarianten all dieser Bilder, die im Lauf der Jahre zusammenkommen waren, in einer einzigen JPEG-Datei aufzureihen. Er nannte diese Fotocollage «Everydays: The First 5000 Days». Daraus münzte («mintete») er einen Non-Fungible Token (NFT), der im März 2021 bei Christie's versteigert wurde und den sagenhaften Preis von 69 Millionen Dollar erzielte. Das ist einer der höchsten Beträge, die jemals für ein Werk eines lebenden Künstlers bezahlt worden sind.

Zugang leicht gemacht

Es war das erste Mal, dass Christie's ein Werk versteigerte, das nur digital verfügbar ist und physisch gar nicht existiert. Die spektakuläre Transaktion wirkte wie ein Fanal. Sie zeigte, dass der Boom um die Kryptokunst auch im konventionellen Kunstbetrieb angekommen war. Seither steht die Frage im Raum, wie die NFT-Technologie die Kunst und den Kunstbetrieb verändern wird.

Weber
Rolf H.Weber, Rechtsprofessor und und Mitgründer des Blockchain-Centers der UZH

«Es ist höchste Zeit, das komplexe Phänomen der Kryptokunst interdisziplinär zu diskutieren», sagt Rechtsprofessor Rolf Weber. Zusammen mit UZH-Prorektor Christian Schwarzenegger initiierte er die Kryptokunst-Konferenz, die am Freitag im Kunsthaus Zürich über die Bühne gehen wird. Die Veranstaltung bringt Fachleute aus den Bereichen Kunst, Recht und Technologie miteinander ins Gespräch, darunter auch mehrere UZH-Angehörige.

NFTs, im Jargon auch liebevoll «Nifties» genannt, sind seit etwa fünf Jahren im Umlauf. Wie die Kryptowährungen basieren sie auf der Blockchain-Technologie.

Die Herstellung eines NFT ist eine Sache von Minuten: Man lädt eine beliebige digitale Kreation – also zum Beispiel ein Video, eine Computergrafik oder eine Fotografie – auf Plattformen wie OpenSeaRarible oder SuperRare und generiert dabei eine Signatur. Nicht das Kunstwerk selbst, sondern nur die Signatur wird dabei in der Blockchain eingetragen. «Ein NFT ist nach Schweizer Recht nicht ein Gut, an dem man im strengen Sinne Besitz erlangen kann», erklärt Rolf Weber. «Wer einen NFT kauft, erwirbt kein sachenrechtliches Eigentum, sondern nur die Kontrolle über eine nicht kopierbare digitale Datei.»

Der lockende Glanz einer neuen Technologie

Worin besteht für Sammlerinnen oder Investoren der Reiz, etwas zu kaufen, das man weder anfassen noch besitzen kann? Nicolas Galley ist Direktor des Executive Master in Art Market Studies an der UZH und verfolgt die Entwicklung der Kryptokunst seit Jahren sehr genau. Auch er gehört zu den Organisatoren der Zürcher Kryptokunst-Konferenz.

Nicolas Galley
Nicolas Galley, Direktor des Executive Master in Art Market Studies der UZH

Den Hauptgrund für den Boom der Kryptokunst sieht Galley in der Verschränkung der Digitalkunst mit der populären Blockchain-Technologie: Es lockt der Glanz des Neuen und Unverbrauchten.

So sind die NFTs in den letzten Jahren zu beliebten Statussymbolen im digitalen Raum geworden. Sie eignen sich hervorragend, um damit anzugeben.

Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Crypto-Punks. Diese simplen computergenerierten Figurendarstellungen, die 2017 rund fünfzig Dollar kosteten, werden mittlerweile zu Millionenbeträgen gehandelt. «Das Icon eines Crypto-Punks im eigenen Twitter-Profil entspricht etwa dem, was in der analogen Welt ein Ferrari ist», sagt Galley.

Kurzlebige Goldgräberstimmung

Der Markt für «Nifties» ist sehr leicht zugänglich für Leute, die sich viel im Netz bewegen. Es ist unkompliziert, NFTs herzustellen und damit zu handeln. Das zieht auch ein sonst eher kunstfernes Publikum an.

In den letzten zwei Jahren ist aber auch der etablierte Kunstbetrieb auf die Kryptokunst aufmerksam geworden, was wiederum die Spekulation angeheizt und Glücksritter auf den Plan gerufen hat. «Es ist ein bisschen wie im Wilden Westen», sagt Galley.

Der Kunstwissenschaftler vermutet, dass der kommerzielle Boom der Kryptokunst schon bald wieder vorüber sein wird. «Der Markt ist äusserst volatil. Die Situation erinnert mich etwas an die Zeit Ende der Neunzigerjahre, kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase. Neue Technologien ziehen zuerst immer sehr viel Aufmerksamkeit auf sich und wecken überspannte Erwartungen.»

Gekommen, um zu bleiben

Verschwinden werden die NFTs aber nicht, im Gegenteil: «Sie sind gekommen, um zu bleiben», ist Galley überzeugt. «Die Technologie wird im Kunstbetrieb zu tiefgreifenden Umwälzungen führen. Sie wird die Art, wie Kunst wahrgenommen, gehandelt, bewertet und interpretiert wird, verändern.»

Galley unterscheidet dabei zwischen genuin digitaler Kunst und der Vermarktung digitaler Abbilder von Gemälden oder von anderen analogen Kunstwerken im Medium der NFT-Technologie. Letzteres hält Galley im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Kunst für weniger interessant.

Für genuin digitale Kunst hingegen, die sich schlecht materialisieren lässt, bedeute die NFT-Technologie eine grosse Chance. Sie sei geeignet, viele alte Probleme beim Handel mit nicht-materiellen Kunstwerken zu lösen, sagt Galley. «Video-Künstlerinnen und -Künstler zum Beispiel wären schon in den Neunzigerjahren froh gewesen, hätte es Echtheits-Zertifikate auf Basis der NFT-Technologie gegeben. Ebenso die Konzept-Künstler der Sechziger- und Siebzigerjahre, die keine materiellen Kunstwerke, sondern primär Ideen geschaffen haben.»

 

Photocollage «Social Distance» von Martin Lukas Ostachowski. Der Künstler nimmt an der Kryptokunst-Konferenz in Zürich teil. Er sagt: «Die Kryptokunst ermöglichte es mir, den linearen, langwierigen Karriereweg als Künstler in der traditionellen Kunstwelt zu verlassen. Ich begann, mit Künstlern und Sammlern, von denen ich viele noch nicht persönlich kennengelernt habe, zusammenzuarbeiten und mich in einer 'glocalen' Gemeinschaft zu engagieren.» (Bild: Martin Lukas Ostachowski)

Orientierung schaffen

«Die genuine Krypto-Kunst wird mittelfristig den Kunstbetrieb stark verändern», prognostiziert Galley. Gleichzeitig werden aber konventionelle Player wie Museen, Galerien und Kunstexperten wichtig bleiben, um digitale Werke zu kuratieren, Orientierung zu schaffen und Kriterien zu vermitteln, was langfristig interessante Kunst ist und was nicht. «Es ist kein Zufall, dass der ganz grosse Boom der Krypto-Kunst erst in dem Moment eingesetzt hat, wo mit Christie's ein etabliertes Auktionshaus einen NFT versteigert hat, sagt er. «Weil die Entwicklungen in der Kryptokunst so unübersichtlich sind, besteht ein grosser Bedarf an vertrauensbildenden Instanzen.»

Potenziellen Käuferinnen und Käufern rät Galley, nicht unüberlegt zu investieren. Wer eine langfristige Werteanlage suche, müsse bereit sein, sich intensiv mit der Entwicklung der Kryptokunst zu befassen.

Grauzonen im Vertrags- und Urheberrecht

Auch in rechtlicher Hinsicht ist beim Kauf von NFTs Umsicht geboten. «Man sollte genau darauf achten, welche Rechte mit einem NFT erworben werden», erklärt Rolf Weber. Festgelegt wird dies im «smart contract», der zu jedem NFT gehört und der die Änderung auf der Blockchain auslöst. Darin ist zum Beispiel geregelt, ob Käuferinnen und Käufer den NFT nur im privaten oder auch im öffentlichen Rahmen nutzen dürfen, wer über das Urheberrecht am physischen Kunstwerk verfügt oder wer bei einem Hackerangriff haftet.

«Laien, welche sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen nicht gut auskennen, bewegen sich beim Handel und der Verwendung von NFT oft auf unsicherem Grund», sagt Weber. «Das Vertrags- und das Urheberrecht sind kompliziert, und es bestehen viele Grauzonen.»

Auch darüber wird an der Zürcher Kryptokunst-Konferenz diskutiert.