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Digitalisierung im Finanzbereich

Wohin führen Blockchain und Algorithmen die Finanzwelt?

Aktuelle Digitalisierungsprozesse sorgen für grundlegende Umwälzungen in der Finanzbranche. Drei Doktorierende der UZH stellen an einem Workshop mit internationalen Gästen die Frage, wohin diese Veränderungen führen.
Melanie Keim
Smart Contracts, auf Blockchain basierte Verträge, werfen Fragen zur Regulierung und Datensicherheit auf.


Am 6. Mai 2010 sank der Dow-Jones-Index innert weniger Minuten um über 1000 Punkte. Der grösste Kurseinbruch innerhalb eines Tages in der Geschichte des US-Aktienindex wird heute als «Flash Crash 2010» bezeichnet. Solche massiven Kurseinbrüche, die nur wenige Minuten andauern, kommen an den Aktienmärkten inzwischen häufiger vor und werden als Bedrohung für die Stabilität der Börsen betrachtet.

Die genauen Ursachen sind dabei oft unklar. Klar ist jedoch, dass ein algorithmenbasierter, vollautomatisierter Handel bei der Entstehung solcher «Flash Crashes» eine entscheidende Rolle spielt. Bei diesem entscheidet nicht mehr ein Mensch, sondern ein Algorithmus, ob gekauft oder verkauft wird, gehandelt wird zum Teil innert Millisekunden. Kommt es zu einer Kettenreaktion wie im Mai 2010, wo das Sechsfache des durchschnittlichen Handelsvolumens gehandelt wurde, hilft oft nur ein vorübergehender Stopp des Börsenhandels.

Der vollautomatisierte Hochfrequenzhandel ist nur eines von zahlreichen Beispielen dafür, wie digitale Technologien den Finanzsektor verändern. Einerseits sorgt der Einsatz von digitalen Technologien in den klassischen Finanzmärkten für tiefgreifende Veränderungen, die neue Regulierungen erfordern. Andererseits fordern auf Blockchain basierende Finanzsysteme und -produkte sowie junge Fintech-Unternehmen die bestehenden Finanzinstitutionen heraus. Welche systemischen Auswirkungen diese fortschreitende Digitalisierung auf die Finanzbrache hat, ist heute auch für Ökonominnen und Ökonomen noch weitgehend unklar.

Effizienz und Unsicherheit

«Wir wissen schlicht nicht, wohin aktuelle Digitalisierungsprozesse im Finanzbereich führen», sagt Vladimir Petrov, Doktorand am Institut für Banking und Finance der UZH. Diese Ungewissheit gab auch den Ausschlag für einen Workshop zu den Auswirkungen der Digitalisierung in der Finanzbranche, den Petrov zusammen mit zwei weiteren Doktorierenden der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, Olga Briukhova und Steffen Schuldenzucker organisiert hat.

Künftige Entwicklungen auf den Finanzmärkten sind aufgrund des algorithmenbasierten Handels schwierig zu prognostizieren, erklärt Petrov. Bei der Programmierung der Algorithmen versuche man zwar alle möglichen Szenarien durchzuspielen. Doch weil man nicht alle tatsächlich eintreffenden Szenarien vorwegnehmen können, wisse man nie, wie diese Programme in Zukunft reagieren. In einer immer stärker vernetzten Finanzbranche können solche automatisierten Prozesse also nicht nur die Effizienz steigern, sondern auch die Unsicherheit erhöhen.

«Dabei könnte sogar ein simpler Tweet eine Finanzkatastrophe auslösen», ergänzt Olga Briukhova. Sie will mit dem Beispiel des Tweets darauf hinweisen, dass auch Entwicklungen ausserhalb der Finanzbranche wie die extrem schnelle, ungefilterte Verbreitung von Informationen über Social Media das Finanzwesen verändert. «Wenn der Begriff «Digitalisierung» im Zusammenhang mit der Finanzbranche aufgeworfen wird, denken viele sofort an Blockchain und Bitcoins», sagt Briukhova. Dabei seien die Veränderungen viel breiter und bereits stärker in unserem Alltag verankert. Sie erwähnt etwa neue Formen des kontaktlosen Bezahlens oder wirtschaftliche Auswirkungen von Datenspuren, die wir bei der Google-Suche, Internetkäufen oder der Nutzung von Social Media hinterlassen. So könne man die Finanzbranche auch nicht isoliert von anderen Bereichen betrachten. Deshalb legen die drei Doktoranden aus den Bereichen Finance, Physik und Informatik auch Wert auf einen interdisziplinären Austausch.

Digitalisierung weiterdenken

Als Beispiel für eine umwälzende Entwicklung in der Finanzbranche, die Fragen aufwirft, nennt Petrov auf Blockchain basierte automatisierte Verträge. Diese sogenannten «Smart Contracts» zwischen zwei beliebigen Vertragspartnern werden nicht nur automatisch erstellt. Auch läuft das Einhalten der Vertragsbedingungen automatisch ab. Bei einem Vertrag mit einer «wenn x dann y»-Struktur wird bei Eintreten des Falls x automatisch y ausgelöst. Beispielsweise können solche Verträge beinhalten, dass Besitztümer einer Vertragspartei – beispielsweise ein Haus – automatisch an den Vertragspartner übergehen, falls diese Person eine Bezahlungsfrist nicht einhält.

Bei der Diskussion, ob und in welchem Rahmen solche «Smart Contracts» zur Reduktion administrativer Arbeitslasten eingesetzt werden können, gilt es nicht nur Fragen zur Regulierung und Datensicherheit zu erwägen. Grundsätzlich stellen sich bei solchen Digitalisierungsprozesse Fragen zu den sozialen Auswirkungen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, aber auch zur Umweltbelastung. So ist unklar, welche Auswirkungen die enorm energieintensiven Blockchain-Strukturen für die Umwelt haben werden.

«Die Forschungsfragen rund um die fortschreitende Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Finanzbranche sind heute klar definiert und es gibt zahlreiche Forschungsprogramme dazu», sagt Petrov. An der UZH etwa gehören Kurse zur Blockchain-Ökonomie zum regulären Vorlesungsprogramm in der Betriebswissenschaftslehre und das UZH Blockchain Center bietet eine öffentliche Vorlesungsreihe mit internationalen Gästen an. Gemäss Petrov gilt es allerdings noch eine Lücke zwischen der akademischen Forschung und der Wirtschaft zu füllen. Mit ihrem Workshop, an dem internationale Forscher, Vertreter von neuen und traditionellen Finanzinstituten wie der Schweizer Nationalbank vortragen, wollen die Doktorierenden diesen Austausch fördern.

Ein abschliessendes Panel-Gespräch mit Forschenden und Wirtschaftsvertreter aus verschiedenen Altersklassen soll auch den Austausch über die Generationen hinweg fördern. Der Gedanke der drei Doktoranden ist simpel: Noch bei jeder Digitalisierungswelle bis heute glaubten manche, am Ende einer Entwicklung angekommen zu sein. Wenn nun ältere Generationen vom früheren Umgang mit technologischen Entwicklungen und deren Auswirkungen erzählen, könnte das hilfreich sein, um die heutige Lage einzuschätzen und sich abzeichnende Entwicklungen zu erkennen. Briukhova und Petrov können aufgrund von über 100 Anmeldungen schon vor dem Workshop ein grosses Interesse für das Thema bestätigen.