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Talk im Turm

Tiere sind manchmal auch nur Menschen

Lernende Affen und Hunde, die Geschichte schreiben: Im Talk im Turm an der UZH diskutierten die Anthropologin Caroline Schuppli und der Historikerin Aline Steinbrecher die Frage, wie nah sich Mensch und Tier sind.
David Werner
Das Tier und wir: Kurzer Einblick ins Podiumsgespräch mit Orang-Utan-Forscherin Caroline Schuppli und Historikerin Aline Steinbrecher. Moderatoren sind die Redaktoren des UZH Magazins Thomas Gull (links) und Roger Nickl. (Video: MELS)

 

Die Menschheitsgeschichte ist ohne sie gar nicht denkbar, trotzdem kommen Tiere in den Geschichtsbüchern selten vor. Aline Steinbrecher ist eine Pionierin der historischen Tierforschung. Sie ergründet, wie Menschen und Tiere über Jahrtausende hinweg gemeinsam Geschichte machten.

Besonders eng sind die Bande zwischen Mensch und Hund. Hunde begleiten die Menschen seit der Steinzeit. Die Aufgaben, die sie erfüllen, werden im Laufe der Jahrhunderte immer vielfältiger: sie helfen bei der Jagd, ziehen Schlitten, tragen Lasten, hüten Herden. In der entstehenden modernen bürgerlichen Gesellschaft vor zweihundert Jahren entwickelt sich der Hund vom reinen Nutz- zum Gesellschaftstier, er wird zum Mitglied der bürgerlichen Familie und ein kaum verzichtbarer Bestandteil bürgerlichen Lebensstils.«Um überhaupt Bürger zu sein, brauchte es einen Hund», sagte Aline Steinbrecher im Gespräch mit den Moderatoren Thomas Gull und Roger Nickl im Restaurant Uniturm.

Die Hundepopulation in den Städten des 18. Jahrhunderts waren erstaunlich gross, pro Haus zählte man nach Aline Steinbrechers Berechnungen vierzig bis fünfzig Hunde. Und die mussten raus. So entstand aus der hygienischen Notwendigkeit des «Gassi»-Gehens vor etwa zweihundert Jahren eine komplett neue soziale Praxis: das bürgerliche Selbstdarstellungsritual des Spaziergangs. Das Beispiel zeigt, wie Hunde die menschliche Sozial- und Kulturgeschichte mitprägten.

Wie Intelligenz entsteht

Die Anthropologin Caroline Schuppli gab im Talk im Turm Einblicke in ihre Forschung in freier Wildbahn. Sie beschäftigt sich mit unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen. Auf Sumatra beobachtet sie das Verhalten von Orang-Utans, um mehr darüber herauszufinden, wie sich bei Primaten die Intelligenz entwickelt. Dabei konnte sie nachweisen, dass ein anregendes soziales Umfeld die Lernbereitschaft junger Menschenaffen massgeblich fördert. Je vielfältiger die Gelegenheiten, von älteren Artgenossen zu lernen, desto grösser ist die Bandbreite an Fähigkeiten, die junge Orang-Utans erwerben. «Sie lernen wie Menschenkinder, indem sie abschauen und das Gesehene dann selber einüben», erklärte Caroline Schuppli.

Gefragt nach der Quintessenz ihrer Forschung sagte sie: «Wir Menschen sind nicht so einzigartig, wie wir denken. Viele Eigenschaften, die wir für typisch menschlich halten, finden sich bei Menschenaffen.» Evolution, fügte sie an, schaffe ein Kontinuum – und bringe selten komplett neue Fähigkeiten hervor.

Auf Überraschungen gefasst sein

Auch die Historikerin Aline Steinbrecher, die nebenbei passionierte Hundehalterin ist, hob auf dem Podium die Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier stärker hervor als das Trennende. Die Kluft zwischen einem Menschen und einem Hund sei nicht prinzipiell grösser als die zwischen einzelnen Menschen, und Mensch-Hund-Beziehungen seien oft nicht weniger komplex und individuell als zwischenmenschliche Beziehungen. Auf Überraschungen – mal freudige, mal ärgerliche – müsse man immer gefasst sein. Auch Hunde könnten Erwartungen enttäuschen.

Tiere, möchte man fast sagen, sind manchmal eben auch nur Menschen.