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20 Jahre Zürcher Zentrum für Gerontologie

Gut altern

Das Zentrum für Gerontologie (ZfG) der UZH gab vor 20 Jahren den Anstoss zur interdisziplinären Altersforschung. Im Interview mit UZH News äussert sich der Geschäftsführer Hans Rudolf Schelling über die Entwicklung gerontologischer Forschung.
Marita Fuchs

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«Wie wir mit alten Menschen umgehen, ist auch ein Massstab für das kulturelle und gesellschaftliche Niveau einer Gesellschaft», sagte Hans Rudolf Schelling an einem Vortrag.

 

Herr Schelling, Sie waren seit Gründung des ZfG 1998 als Beiratsmitglied und seit 2003 als Geschäftsführer mit dabei. Warum rückte die Gerontologie in den 90er Jahren in den Fokus der Wissenschaft?

Hans Rudolf Schelling: Die Gründung des Zentrums für Gerontologie im Jahr 1998 war dem Zeitgeist geschuldet. Damals wurden problembezogene Szenarien zum Alltern vermehrt thematisiert. Der Grund war die demografische Entwicklung und die Aussicht darauf, dass die Babyboomer bald das Rentenalter erreichen würden. Meldungen wie Rentenlast, Alterslast, ergraute Gesellschaft gingen um. Das Altersbild war negativ gefärbt aufgrund von Phänomenen wie Alzheimer, Pflegebedürftigkeit und Traumatisierungen. Das ZfG wollte dem entgegenwirken und wissenschaftliche Grundlagen für ein Altern mit guter Lebensqualität erarbeiten.

Hatten Sie dazu die nötigen Mittel?

Die Anfänge waren sehr bescheiden. Wir hatten ein Startkapital von 10'000 Franken und einen einzigen Raum. Viele freiwillige Helfer, Seniorinnen und Senioren, die zum Beispiel die Arbeit im Sekretariat übernommen haben, stellten den Betrieb sicher. Die Stelle eines Koordinators bzw. eines Geschäftsführers wurde erst später bewilligt,  und leider wurde ein Lehrstuhl für Gerontologie damals nicht eingerichtet.

Warum?

Ein parlamentarischer Vorstoss für einen Lehrstuhl war vor der Gründung des ZfG im Jahr 1998 gescheitert. Gerontologie ist ein Querschnittsfach, das fakultätsübergreifend und interdisziplinär ausgerichtet ist, – damals war das neu. Man konnte sich nicht vorstellen, einen Lehrstuhl einzurichten, der an mehreren Fakultäten angesiedelt wäre. Um die Hürde zu nehmen, schlug der damalige Rektor nach einem Vorstoss des «Zürcher Arbeitskreises für Gerontologie» vor, ein interfakultäres Kompetenzenzzentrum zu schaffen, das ZfG. Ziel war es, die gerontologische Forschung zu fördern, Vorlesungsreihen und Seminare zu organisieren, Lebensberatung für ältere Menschen anzubieten, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.

Was kennzeichnete die ersten Jahre?

Von Beginn an haben wir die Inputs aus der Praxis in die Forschung aufgenommen. Anfragen kamen aus Alters- und Krankenheimen, Arztpraxen und Altersorganisationen. All diejenigen, die mit älteren Menschen arbeiten, erhofften sich Inputs für ihre Arbeit aus der Forschung. Wir wollten von Anfang an diese Praktikerinnen und Praktiker mit ins Boot holen und ihre Erfahrungen miteinbeziehen. So waren sie von Beginn an als gleichberechtigte Partner am Forschungsprozess beteiligt und es wurde ihnen ein echtes Mass an Mitbestimmung zugestanden.

Heute wird dieser Ansatz als Citizen-Science-Forschung bezeichnet.

Ja, das stimmt. Wir gehören zu den ersten, die das so praktiziert haben. Dem Grundsatz der vernetzten Forschung zwischen sozial-, geistes-, naturwissenschaftlichen und medizinischen Disziplinen und Stakeholdern aus der Praxis ist das ZfG treu geblieben.  Durch die Verknüpfung mit der praktischen Altersarbeit konnten wir evidenzbasierte Handlungsempfehlungen entwickeln. Es war Altersforschung mit Bodenhaftung.

Welches der vielen Forschungsprojekte, die Sie in 20 Jahren begleitet haben, ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?

Viele Anfragen aus der Praxis betrafen die Lebensqualität von Demenzkranken. Sie können sich ja selbst – zumindest in der Endphase der Krankheit – nicht dazu äussern, wie sie sich fühlen. Nach entsprechenden Interventions- und Evaluationsprojekten haben wir im Jahr 2012 auch eine nationale Repräsentativerhebung im Auftrag der Schweizerischen Alzheimervereinigung durchgeführt. Dieses so genannte «Demenzbarometer» gab Auskunft über Wissen, Einstellungen und Erfahrungen der Bevölkerung über Demenz, Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Damit war auch eine Grundlage für weitere Forschungsvorhaben gegeben.

Eine andere Studienreihe betraf den Umgang mit Internet und Applikationen (Apps) im Alter. Für die Entwicklung von Applikationen auch für die mobile Anwendung stellte sich die Frage der altersgerechten Orientierung. Ein Ziel des Projektes war es, Empfehlungen für eine alterssensibilisierte App-Gestaltung zu generieren. Das sind aber nur zwei Beispiele von vielen Forschungsprojekten, die am ZfG durchgeführt wurden.

Wo steht die Gerontologie heute?

Bis heute sind die grundsätzlichen Fragen, die die Gerontologie beschäftigt, aktuell: Wie sieht Altern eigentlich aus? Warum können die einen besser mit Herausforderungen des Alterns umgehen als die anderen? Wie kann man den Prozess des Alterns verändern, steuern, optimieren? Verschärft wird die Debatte heute durch den demographischen Wandel. Dabei wird vor allem über Belastungen geredet. Darüber, dass die Rentenkassen kolabieren, dass immer mehr Menschen betreut werden müssen, dass es nicht genug Pflegekräfte gibt und dass der Arbeitsmarkt leergefegt wird.

Meiner Meinung nach dürfen diese negativen Aspekte nicht Überhand nehmen, denn wie wir mit dem Alter und mit alten Menschen umgehen, ist auch ein Massstab für das kulturelle und gesellschaftliche Niveau einer Gesellschaft. Die Herausforderung ist es, nach wie vor nach einer Struktur und nach Regelungen zu suchen, die Menschen in allen Lebensetappen eine faire Chance auf weitere Entwicklung geben; und dies in einer Situation, in der immer mehr Menschen länger leben.