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Francis Fukuyama an der UZH

Die Geschichte geht doch weiter

Rechte wie linke Identitätspolitik bedrohe die Demokratie, sagte der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama in seinem Gastvortrag an der UZH. Er plädierte für eine nüchterne Rückbesinnung auf universelle Werte.
David Werner

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Sieht Populismus und ideologischen Multikulturalismus als zwei Seiten derselben Medaille: Politikwissenschaftler Francis Fukuyama bei seinem Gastvortrag an der UZH.(Bild: Andrea Camen)

 

Der Stern der liberalen Demokratie strahlt weltweit nicht mehr so hell wie auch schon. Warum das so ist und was dagegen unternommen werden kann war Thema eines Vortrags, den Francis Fukuyama auf Einladung des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung an der Universität Zürich hielt. Der Publikumsandrang war gross.

Francis Fukujama hatte 1992, also kurz nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums, das Buch zur Stunde geschrieben. Der Titel lautete:  «The End of History and the Last Man». Der Wettstreit der Gesellschaftssysteme sei entschieden, die liberale Demokratie habe gesiegt, so die These des Autors. Tatsächlich stieg zwischen 1970 und 2010 die Zahl der demokratischen Staaten von 35 auf über 110 an. Dann aber kam die unverhoffte Trendwende: Das Misstrauen in die Institutionen der liberalen Demokratie und in die Eliten wuchs, Populisten und Autokraten bekamen Aufwind. Und China, das grösste Land der Welt, machte zur Überraschung vieler trotz des rasant steigenden Wohlstands keine Anstalten, sich zu demokratisieren. Die Geschichte, so zeigte sich, war doch noch nicht zu Ende.

Verletzte Würde

Die Formschwäche der liberalen Demokratie habe neben den allgemein anerkannten ökonomischen Ursachen auch eine kulturelle Dimension, die stark unterschätzt werde, erklärte Fukuyama in Zürich. Von den Segnungen der globalisierten Ökonomie und dem technischen Fortschritt hätten nicht alle gleichermassen profitiert. Das massenweise Verschwinden von Industrie-Jobs habe die weisse Arbeiterschaft westlicher Länder nicht nur in materieller Hinsicht, sondern auch in ihrer Würde und in ihrem Selbstwertgefühl schwer getroffen. Letzteres hätten die sozialdemokratischen Parteien Europas und die demokratische Partei in den USA zu wenig erkannt. Die linken Partien hätten sich von ihrer traditionellen Wählerschaft entfremdet. Wie konnte es dazu kommen?

Fukuyama nannte als Grund einen allgemeinen Trend zur Identitätspolitik, der die linke wie die rechte Seite des politischen Spektrums erfasst habe. Im Kampf der Benachteiligten um Anerkennung hätten sich die Akzente verschoben. «Früher wurde um die universellen Rechte jedes einzelnen Individuums gerungen, heute geht es um die Anerkennung von Individuen als Mitgliedern einer bestimmten Gruppe», sagte Fukuyama. Als Reaktion auf die zunehmende Diversität der Gesellschaft habe sich die Linke immer mehr auf den Schutz von religiös, kulturell oder ethnisch definierten Mikro-Gemeinschaften spezialisiert. Die Globalisierungsverlierer hätten sich daraufhin rechten Populisten zugewandt, die sie in ihrem Gefühl bestätigten, im eigenen Land nicht mehr respektiert zu werden. 

Politik der Ausgrenzung

Das Problem sei, dass es bisher keine globalen demokratischen Institutionen gebe, diagnostizierte Fukuyama. Die EU sei zwar in mancherlei Hinsicht erstaunlich erfolgreich, habe es aber nicht geschafft, das Nationalbewusstsein der einzelnen Länder durch eine postnationale europäische Identität zu ersetzen. So bleibe nichts anderes übrig, als innerhalb der Nationalstaaten Identitäten zu entwickeln, die mit der Globalisierung und mit der gesellschaftlichen Diversität vereinbar seien. Dazu hätten populistische Bewegungen nichts beizutragen. Der Populismus, so definierte Fukuyama, suche kurzfristige ökonomische Erfolge zulasten einer nachhaltigen Entwicklung, er unterwandere das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und verwende einen ausgrenzenden Begriff von «Volk». 

Multikulturalismus in der Sackgasse

Fukuyama wandte sich in seiner Rede an der UZH nicht nur gegen den rechten Populismus, sondern auch gegen eine, wie er es ausdrückte, «ideologische Form von Multikulturalismus». Kulturelle Identität sei in der modernen Gesellschaft kein geeignetes Bindemittel mehr. «Es kann nicht funktionieren, wenn in liberalen Demokratien das Demokratiemodell selbst nur als eine kulturelle Variante unter vielen angesehen und damit relativiert wird», sagte er. Von allen gesellschaftlichen Gruppen müsse verlangt werden, dass sie sich an die gemeinsamen Rahmenbedingungen anpassen.

«Die modernen Gesellschaften müssen eine Identität entwickeln, die mit einem hohen Grad an Diversität umgehen kann», schloss Fukuyma. Dazu brauche es eine nüchterne Rückbesinnung auf universelle Werte. Das Ziel sei eine staatsbürgerliche Identität, deren Fundament in einem Bekenntnis zu den demokratischen Institutionen, zum Rechtsstaat und zur Gleichberechtigung aller bestehe. Die tief in der Geschichte wurzelnden nationalen Identitäten Europas müssten geöffnet werden, damit auch Menschen daran teilhaben könnten, denen die angestammten kulturellen Traditionen fremd seien.

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