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Biodiversität

Vielfalt von oben

Mit einem neuen Verfahren will der Fernerkundungs-Experte Michael Schaepman die Vielfalt der Wechselbeziehungen von Ökosystemen, Arten und Genen grossflächig aus der Luft untersuchen. Diese Methode könnte helfen, die globale Biodiversität zu erschliessen. Sein Forschungsprojekt wird von der NOMIS Foundation unterstützt.
Fabio Schönholzer
V.l.n.r: Michael Schaepman mit Ruben Garcia Santos, Ursula Fricke und Markus Reinhard der NOMIS Foundation auf dem Flugplatz Dübendorf. Im Hintergrund der Zeppelin NT, der bei verschiedenen Fernerkundungs-Experimenten zum Einsatz kommt. (Photo: Frank Brüderli)

 

Die Biodiversität nimmt zu – zumindest in hiesigen Wohnungen, auf Balkonen und in Gärten. Heute wachsen so manche Mittelmeerpflanzen in Blumenbeeten, Chilipflanzen auf Balkonen und Bananenbäume in grossen Töpfen auf dem Gartensitzplatz. Städte werden immer grüner, bunter, artenreicher.

Wie bedeutsam eine ausgeprägte Biodiversität für die Ökosysteme und damit auch unsere Umwelt ist, zeigen viele ökologische Studien: Artenreiche Wälder sind etwa dank verschiedenen Pflanzenarten produktiver und stabiler und somit weniger anfällig für Schädlinge, langanhaltende Trockenperioden oder sogar Brände. Dadurch können sie weiterhin wertvolle Aufgaben für die Welt übernehmen, indem sie beispielsweise Fasern zur Verfügung stellen (etwa Textilien oder Holz), das Klima regulieren, oder Erholungsraum bieten.

Während die Pflanzenvielfalt in den Städten zunimmt, findet auf dem Inselstaat Malaysia und in anderen Teilen der Welt ein völlig anderes Szenario statt: Artenreiche Regenwälder werden gerodet oder teilgeschlagen, um an ihrer Stelle Monokulturen zu pflanzen oder Sekundärwald entstehen zu lassen. Hunderte verschiedener Tier- und Pflanzenarten gehen dabei verloren. Ein nächstes grosses Artensterben droht, nur liegt erstmals in der Erdgeschichte die Ursache dafür vor allem beim Menschen. «Wir üben einen massiven Einfluss auf die globale Biodiversität aus und beeinflussen damit ihre Wirkung auf unsere Umwelt», sagt Michael Schaepman, Professor für Fernerkundung am Geografischen Institut der UZH.

Die durch Menschen verursachten Veränderungen sind offensichtlich, und sie geschehen schneller, als sie durch punktuelle Datenerhebungen vor Ort, etwa in schwer zugänglichen Regenwäldern, erhoben werden können. Wie will man sich diesem globalen Einfluss des Menschen auf die Biodiversität überhaupt wissenschaftlich annähern?

Was dereinst im grossen Massstab möglich sein könnte, praktiziert Michael Schaepman im Kleinen: auf der Lägern, einem bewaldeten Hügelzug im Nordosten des Kantons Zürich. Mit einem sogenannten Biodiversitätsobservatorium soll dort längerfristig die Pflanzenvielfalt überwacht und ihre Reaktion auf globale Veränderungen gemessen werden – am Boden wie auch aus der Luft.

Zählen unmöglich

Eine grosse Herausforderung bei der Beurteilung der globalen Biodiversität ist das Zählen der verschiedenen Lebewesen und deren Lokalisierung. Eine vollständige Übersicht aller Arten auf der Erde zu erheben, ist unmöglich. Auch wenn jährlich mehrere tausend neue Arten erfasst werden, sterben parallel dazu bekannte sowie noch unbekannte Arten aus. Bei den bereits dokumentierten Arten bestehen zudem taxonomische Unterschiede, also Abweichungen bei der Klassifizierung: «Pflanzen wurden nicht überall auf dieselbe Weise oder gar gleichzeitig erfasst und tragen somit oft auch nicht immer dieselben Namen», sagt Schaepman. Es gibt zwar sehr grosse Projekte, welche die bestehenden Taxonomien miteinander verbinden möchten. Doch viel Arbeit muss alleine in die Interpretation von Namen investiert werden, die stellenweise bis zu zweihundert Jahre alt sind und nur vage formuliert wurden. Zudem gibt es oft Mehrfachnennungen für eine einzelne Art.

Statt nun Arten zu zählen untersucht die Forschungsgruppe um Schaepman Pflanzen auf ihre sogenannte funktionalen Diversität, welche die Vielfalt der Wechselbeziehungen zwischen Ökosystemen, Arten und Genen beschreibt. Dazu untersucht die Gruppe eindeutig messbare Merkmale von Pflanzen, also zum Beispiel die Architektur der Pflanze oder ihre biochemischen Eigenschaften. Anhand dieser Merkmale können die Forschenden Aussagen über die Diversität und beispielsweise den Gesundheitszustand von Wäldern machen.

Blick aus dem Flugzeug

Dazu nutzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hochspezialisierte Geräte, die sie in Zusammenarbeit mit der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA entwickelt haben und in Flugzeuge verbaut wurden. Mit einem Spektrometer messen sie aus der Luft das Licht, das von der Sonne auf die Pflanzen trifft und reflektiert wird. Je nachdem, wie die Pflanzen das Licht in verschiedenen Wellenlängen zurückwerfen, lassen sich physiologische Eigenschaften in den Blättern wie der Gehalt an Stickstoff, Chlorophyll oder Wasser ableiten. Diese geben etwa Auskunft über die Aktivität und den Gesundheitszustand eines Baumes.

Zudem werden die Wälder mit Laserstrahlen abgetastet. So können Rückschlüsse auf die architektonischen Eigenschaften eines Waldes wie etwa die Höhe der Baumkronen oder die Blätter- und Astdichte gewonnen werden. Je vielfältiger beispielsweise der Aufbau der Kronen ausfällt, desto mehr Sonnenlicht fällt auf Blätter in den unteren Baumregionen und desto effizienter kann ein Baum das Licht für die Photosynthese nutzen.

Physiologische Merkmale der Pflanzen in der Lägern: Pflanzen mit hohem Wassergehalt in den Blättern werden blau dargestellt, während die grüne Farbe einen besonders hohen Anteil an Chlorophyll anzeigt. (Darstellung mit Mausklick vergrösserbar; Quelle: UZH)

Genetik aus der Luft

Zusammen mit der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA entwickeln die Forschenden zur Zeit ein noch sensibleres Spektrometer. Dieses neue Gerät soll ermöglichen, anhand der chemischen Zusammensetzung und dem physischen Erscheinungsbild von Pflanzen auch Aussagen über ihren Verwandtschaftsgrad zueinander zu machen.

«Der Schlüssel zur erfolgreichen Diversitätsmessung ist aber, nicht nur einzelne und von Auge sichtbare Merkmale von Pflanzen zu untersuchen, sondern auch zu analysieren, wie sie auf Umweltveränderungen reagieren», sagt Schaepman. Licht, Temperatur, Nährstoffe und Wasserverfügbarkeit üben einen starken Einfluss auf das Erscheinungsbild und die chemische Zusammensetzung der Pflanzen aus.

Dieses Jahr litten die Pflanzen auf der Lägern unter ausgedehntem Wassermangel, was sich beispielsweise bei den Buchen an ihren teilweise früh verfärbten Blättern zeigte. «Wie will man einem Computer aber beibringen, dass es sich bei diesen unterschiedlichen Messewerten bei der Höhe der Pflanze oder dem Wassergehalt der Blätter um Umwelteinflüsse handelt und nicht um vom Erbgut bestimmte Eigenschaften?», fragt Schaepman, und beantwortet gleich selbst: «Mit Hilfe der Genetik natürlich».

In komplexen Computermodellen kombinieren die Forschenden die aus der Spektrometrie gewonnen Daten zur Pflanzenchemie mit dem Erscheinungsbild der Pflanzen: Aus Wassergehalt, Chlorophyll sowie Durchmesser der Baumkrone, Blattgrösse und -dichte wollen sie so die genetischen Beziehungen einzelner Bäume rekonstruieren.

Die Pflanzenvielfalt auf der Lägern, vermessen mit hochspezialisierten Geräten aus der Luft: Je rauer die Umweltbedingungen – etwa durch steilen, felsigen Untergrund – desto geringer fällt die Diversität aus (blau-violette Farbe). Im Flachen gibt es deutlich mehr Vielfalt (gelb-orange Farbe). (Bild mit Mausklick vergrösserbar; Quelle: UZH)

Das Resultat der Messung aus der Luft sind revolutionäre Karten der Lägern. Sie zeigen die Wechselwirkungen der Vielfalt anhand von physikalischen und chemischen Eigenschaften der Pflanzen, ihre Stammesentwicklung, ihren Verwandtschaftsgrad zueinander sowie gewisse genetische Variationen innerhalb einer Spezies. Wiederholte Messungen über einen längeren Zeitraum sollen dann Aufschluss über den Einfluss der Menschen auf die Biodiversität geben. Das so gewonnene Datenmaterial ist eine äusserst wertvolle Ergänzung zu den bisherigen Klimamodellen, welche die Biodiversität heute noch nicht mitberücksichtigen.

Von der Lägern ins All

Am Beispiel der Lägern wird das Verfahren weiterhin getestet und verfeinert. Dort haben die Forschenden bereits rund 1'300 einzelne Bäume vermessen, sequenziert und detailgetreu in 3D nachgebildet. «Von diesen Bäumen kennen wir jedes einzelne Detail», sagt Schaepman. Mit den hohen Datenmengen konnten Teile des Waldes virtuell nachgebildet werden, um sie mit den Spektrometriedaten aus der Luft zu vergleichen.

In einem nächsten Schritt werden in einem Kontrollexperiment Klone der 1’300 untersuchten Bäume des Waldes in einem Gewächshaus nachgezüchtet, um die Aussagen über die genetische Vielfalt der Pflanzengemeinschaften zu verifizieren. Ein langwieriger Prozess: Bis die Pflanzen zur ersten Messung bereit sind, dauert dies rund zwei Jahre. Dann werden sie während sechs weiteren Jahren immer wieder erneut vermessen und sequenziert.

Sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfolgreich, sollen mit der Methode auch andere Ökosysteme auf der ganzen Welt untersucht werden – aus der Luft mit dem Flugzeug und zu einem späteren Zeitpunkt sogar aus dem Weltraum via Satelliten.

Bereits heute sind Forschende um Michael Schaepman an Satellitenprojekten beteiligt, welche in den späten 2020er-Jahren die Biodiversität aus dem All messen sollen. Einer Skalierbarkeit der in Zürich entwickelten Methode und damit einer Erfassung der globalen Biodiversität steht bis dahin nur noch die Verfügbarkeit von modernen, hochauflösenden Sensoren im Weg.