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Kompetenzzentrum der UZH und ETH Zürich

«Citizen Science ist exzellente Forschung»

Nach intensiver Vorarbeit nimmt die Bürgerwissenschaft an der UZH und ETH Zürich Fahrt auf. Mit einem Kompetenzzentrum und einer Partizipativen Wissenschaftsakademie werden Citizen Scientists in die Forschung involviert. Im Gespräch erläutern Ko-Direktor Mike Martin (UZH), Ko-Initiantin Effy Vayena (ETH) und Geschäftsführerin Rosy Mondardini (UZH) das Vorhaben.
Interview: Stefan Stöcklin

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Haben mit dem neu gegründeten Kompetenzzentrum Citizen Science der UZH und ETH viel vor: Ko-Direktor Mike Martin (UZH), Ko-Initiantin Effy Vayena (ETH) und Geschäftsführerin Rosy Mondardini (UZH). (Bild: Frank Brüderli)

 

Das Kompetenzzentrum Citizen Science war bisher hinter den Kulissen aktiv. Nun präsentieren Sie sich diesen Samstag am Citizen-Science-Festival in der Kunsthalle (siehe Hinweis am Ende). Was sind die Ziele?

Mike Martin: Wir betreiben unter einem gemeinsamen Dach der beiden Institutionen Bürgerwissenschaft, das heisst Citizen Science. Das Besondere am neuen Kompetenzzentrum sind die Exzellenz und die Partizipation: Einerseits orientieren wir uns bei den Projekten an den hohen Qualitätsstandards, die in der Wissenschaft gelten, also an exzellenter Forschung. Andererseits geht die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger über ihre klassische Rolle als Datenlieferanten hinaus: Sie sollen auch in die Planung der Forschungsprojekte und Analyse der Resultate involviert werden. Deshalb schaffen wir innerhalb des Kompetenzzentrums auch eine sogenannte Partizipative Wissenschaftsakademie.

Rosy Mondardini: Die gleichberechtigte Teilnahme ist uns ein wichtiges Anliegen. Wir möchten mit dem Kompetenzzentrum akademisch Forschende und Bürgerinnen und Bürger ermutigen, von Beginn an Projekte gemeinsam zu entwickeln. Wir wissen, dass die Partizipation die Wirkung der Projekte in jeder Beziehung verbessert. Um diese Mitwirkung zu gewährleisten, stellen wir die nötigen Hilfsmittel und Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Effy Vayena: Mit den beiden Hochschulen unterstützen zwei renommierte Universitäten Citizen Science, die das ganze akademische Spektrum von den Geistes- und Sozial- bis zu den Natur- und technischen Wissenschaften abdecken. Das ist neu – bisher sind Citizen-Science-Projekte meist aus Einzelinitiativen entstanden. Mit ihren grossen Netzwerken erweitern die Universität und die ETH die Möglichkeiten von Citizen Science beträchtlich.

Können Sie ein Projekt erläutern, mit dem Sie starten?

Mondardini: Wir haben verschiedene Projekte in Vorbereitung. Erwähnen möchte ich ein linguistisches Projekt von Elvira Glaser, Professorin für Germanische Philologie. Es betrifft die berühmten 40 Wenker-Sätze, benannt nach Georg Wenker, einem Linguisten aus dem 19. Jahrhundert. Die 40 Sätze sind Grundlage des Deutschen Sprachatlas und dienten dazu, die Sprachgrenzen der Dialekte zu ermitteln, indem man sie in die örtlichen Dialekte übersetzte. Aber nicht alle dieser Übersetzungen sind analysiert worden. Mithilfe von Citizen Scientists werden sie nun, über 100 Jahre später, transkribiert und analysiert. In einer zweiten Phase werden die Teilnehmenden gebeten, die Sätze in heutige Dialekte zu übertragen. Die Citizen Scientists werden also in diesem Projekt in die Forschung integriert.

Martin: Wir haben in den vergangenen Monaten die Qualitätsstandards und Strukturen entwickelt, damit nun nach der Eröffnung relativ schnell neue Projekte lanciert werden können. Unser Ziel ist es, pro Jahr 10 bis 20 neue Projekte in Angriff zu nehmen.

Mondardini: Wobei ich betonen möchte, dass die Relevanz der Projekte im Zentrum steht und weniger ihre Zahl. Wir können nun die Methoden und Standards anbieten und die Forschenden unterstützen, damit sie auf einfache Art und Weise ihre Projekte entwickeln und beginnen können.

Vayena: Nebst den Citizen-Science-Projekten planen wir auch Projekte über Citizen Science selbst, zum Beispiel zu ethischen Fragen betreffend Datenaustausch und -freigabe: Welche Faktoren bestimmen, ob jemand seine persönlichen Daten zur Verfügung stellt? Wie sehen neue Konzepte der Datensicherheit aus? Solche Fragen zu neuen Formen der Forschung im Zeitalter von Big Data interessieren mich sehr. Ich denke, das ist für die Zukunft der Hochschulen wichtig. Die Digitalisierung und das Internet eröffnen für die Bürgerwissenschaft ganz neue Möglichkeiten.

Martin: Ich würde sogar sagen, dass die Universitäten geradezu eine Verpflichtung haben, die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung hinsichtlich Citizen Science zu nutzen. In der Gesellschaft sind viel Expertise und Know-how vorhanden, die uns in der Wissenschaft weiterbringen.

Mondardini: Das betrifft zum Beispiel die Sustainable Development Goals (SDG) oder Nachhaltigkeitsziele, die für uns eine wichtige Rolle spielen. Ein Fokus des Kompetenzzentrums liegt auf Projekten zu den 17 Zielen, die 2015 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurden. Ziel Nummer 6 betrifft den Zugang zu sauberem Wasser, zu dem es an der UZH mit «Crowdwater» bereits ein Citizen-Science-Projekt gibt. Citizen Science kann einen grossen Beitrag zur Realisierung dieser Ziele auf der lokalen Ebene leisten, und dieses Potenzial möchten wir nutzen.

Wie ist das Kompetenzzentrum aufgestellt?

Mondardini: Das Kompetenzzentrum baut auf mehreren Pfeilern auf. Zunächst gibt es ein physisches Zentrum am Hirschengraben, wo die Projekte geplant und evaluiert werden können. Dafür stellen wir auf unserer Plattform die notwendigen Tools zur Verfügung. Der zweite Pfeiler ist die von der Stiftung Mercator Schweiz wesentlich unterstützte Partizipative Wissenschaftsakademie, mit der wir eine Vorreiterrolle übernehmen. Im Rahmen von Weiterbildungskursen vermittelt die Akademie Citizens und Forschenden fachliche Kenntnisse und praktische Kompetenzen zur Erarbeitung partizipativer Forschungsvorhaben.

Wie reagiert die wissenschaftliche Community? Gibt es keine Bedenken, die Wissenschaft könnte ihr Ansehen verlieren, wenn sie sich mit Nichtakademikern einlässt?

Vayena: Nein, Citizen Science ist ein Ansatz, der die traditionelle Wissenschaft ergänzt und nicht konkurrenziert. Es gibt Themen, in denen Citizen Science sinnvoll ist, und andere Bereiche, wo sie ungeeignet ist. Niemand nimmt jemandem etwas weg. Deshalb sehe ich nicht, wo Spannungen entstehen sollten.

Martin: Im Gegenteil, beide Seiten profitieren. Citizen
Science erweitert die Möglichkeiten der konventionellen Wissenschaft. Gleichzeitig können die Bürgerinnen und Bürger an einem der wertvollsten Projekte der Gesellschaft teilhaben – an der Wissenschaft.