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Robotik

Lernen im Flug

Werden unsere Städte bald voller surrender Fluggeräte sein? Der Robotiker Davide Scaramuzza arbeitet daran, Drohnen so smart zu machen, dass sie autonom navigieren können.
Roland Fischer
Vernünftig Navigieren: Davide Scaramuzza testet eine Drohne auf der Zivilschutzanlage Rohwiesen.
Vernünftig Navigieren: Davide Scaramuzza testet eine Drohne auf der Zivilschutzanlage Rohwiesen.

 

Kleine Maschinen, die durch die Luft schwirren, sind nicht neu. Ferngesteuerte Hubschrauber gibt es schon seit Jahrzehnten – nicht umsonst galten sie als Königsklasse der Modellflugszene. Es braucht viel Übung, um einen so kleinen Flugapparat in der Schwebe zu halten und kontrolliert zu fliegen. 

Doch dann kamen die Drohnen. Und flogen plötzlich wie von selbst, weil sie mitdenken und so die meiste Flugarbeit selbst erledigen. Der Drohnenpilot muss nicht viel mehr tun, als Richtung und Geschwindigkeit vorzugeben. Ein Kinderspiel. Den eigentlichen Job des Fliegens erledigt die Steuer- und Stabilisierungselektronik an Bord. Als sie vor etwa fünfzehn Jahren klein und leistungsfähig genug wurde, kamen massenhaft erstaunlich agile und auch bei Wind stabil fliegende Quadrocopter auf den Markt. 

Ohne Pilot

Der nächste Schritt war eigentlich nur logisch: Die komplette Abschaffung des Piloten. Drohnen werden, glaubt man Startup-Unternehmern, sehr bald in stattlicher Zahl durch unsere Städte fliegen, und zwar ganz autonom. Sie werden die Bausubstanz von Gebäuden und Brücken untersuchen, Verkehrsflüsse messen und allerlei Waren transportieren. Sie werden das ebenso selbständig wie selbstverständlich tun. Was noch vor ein paar Jahren nach Science-Fiction klang, soll bald Alltag sein – das Surren der Drohnen ein Hintergrundgeräusch in unseren Städten wie das Rauschen des Verkehrs. 

Davide Scaramuzza glaubt nicht so ganz an die vollmundigen Zukunftsvisionen. Dabei ist der Italiener selbst so etwas wie ein Drohnen-Guru. Soeben hat der junge Professor, der am Institut für Informatik der Universität Zürich arbeitet, für Aufsehen in Expertenkreisen und der internationalen Presse gesorgt. Seiner Gruppe ist es gelungen, einer Drohne vernünftiges Navigieren in der Stadt beizubringen, indem sie ihr das korrekte Verhalten in Strassenschluchten vorgezeigt hat. Die Methode, die dabei zur Anwendung kam, ist derzeit in aller Munde: Neuronale Netzwerke und Deep Learning. Wenn sie entsprechend ausgerüstet sind und trainiert werden – das heisst wenn man ihnen genügend aussagekräftige Vorbilder präsentiert –, lernen Drohnen selber, worauf es ankommt. 

Wie von Zauberhand

Lernalgorithmen haben in den letzten Jahren einen wahren Quantensprung gemacht, das zeigte sich auch beim kleinen Quadrocopter mit einem Kameraauge, den Scaramuzzas Team trainiert und der dabei erstaunliche Fähigkeiten erlangt hat. Gefüttert haben die Forscher das neuronale Netz – und das ist der eigentliche Clou an der Forschungsarbeit – nicht etwa mit Daten von Flugmanövern, sondern mit vielen Stunden Velo- und Autofahrten durch Zürich. Die Perspektiven des Fahrers – das Umgebungsbild in Fahrtrichtung sowie Daten zum Fahrtempo – reichten dem künstlichen Drohnen-Gehirn, um seine Schlüsse zu ziehen und in der Folge selbständig einer Fahrbahn folgen und auf Hindernisse reagieren zu können.

Die Autovideos fanden die Forscher im Netz, mit ihnen brachten sie der Drohne bei, durch die Stadt zu steuern. Und mit eigenen Velovideos zeigten sie der Drohne, wann es brenzlig werden kann. Ein Fussgänger ist im Weg? Der Velofahrer stoppt – das merkt sich die Drohne und macht es dann genauso. Das Training funktionierte so gut, dass die Drohne sich auch in Umgebungen zurechtfand, die nicht Teil der «Ausbildung» waren. Zum Beispiel testeten die Forscher ihre trainierte Drohne in einer Tiefgarage – auch da wich sie zuverlässig Wänden aus und folgte wie von Zauberhand den Fahrspuren. 

Damit schlugen die Forscher gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits konnten sie zeigen, dass Künstliche Intelligenz heute ganz gut in der Lage ist, eine vergleichsweise komplexe Aufgabe wie das Navigieren im Stadtraum eigenständig zu meistern – und zwar ohne Riesenrechenapparat. Und andererseits fanden sie einen eleganten Ausweg für ein Problem, das Machine Learning-Experten immer wieder plagt: Wo die nötigen Trainingsdaten für ein brauchbares Lernergebnis hernehmen? Denn der Erfolg von Deep Learning steht und fällt mit der Qualität – und sehr oft auch Quantität – der Trainingsdaten. Um an genug Flugdaten heranzukommen, hätten die Forscher Unmengen an Arbeitszeit investieren müssen. Das Auswerten von Daten aus dem Strassenverkehr, die gewissermassen nebenher anfallen, stellt da einen sehr viel simplere Lösung dar. 

Zeigen uns Drohnen also gerade auf, was Autonomie bei mobilen Maschinen bedeutet? Manche Drohnenexponenten sehen ihre Branche als Experimentierfeld für einen gesellschaftlichen Umbruch, gewissermassen den nächsten Schritt vom Automobil – von Dingen, die sich selbst bewegen zu solchen, die dies auch selbständig tun. Die im Wortsinn autonome Maschine wäre damit aber noch längst nicht erreicht: Sie würde sich auch gleich selber Regeln setzen. 

Wortklaubereien beiseite – die Exponenten der Branche strotzen vor Selbstvertrauen und Pioniergeist, davon konnte man sich am diesjährigen Mobile World Congress in Barcelona überzeugen. Zum Beispiel stellte Ran Krauss, der CEO des israelischen Startups Airobotics, seine autonomen Inspektionsdrohnen vor und meinte etwas vage, sie seien schon für diverse Minenunternehmen und grosse Industriefirmen im Einsatz. Dabei würden die Drohnen momentan viel von dem lernen, was sie dereinst auch im Stadtraum einsetzen könnten. Krauss ist der Ansicht, dass die Diskussion um autonome Fahrzeuge am falschen Ort ausgetragen werde – er prophezeite, dass wir uns längst an über unseren Köpfen durch die Strassen kurvende Drohnen gewöhnt haben werden, bevor selbstfahrende Autos zu einem Teil unseres Lebens geworden sind. 

Verloren im Wald

Scaramuzza ist da skeptischer. Hinter der Drohneneuphorie vermutet er auch kommerzielle Interessen. So gut seine DroNet-Drohne die Aufgabe gemeistert habe, die Forschung habe auch die Grenzen der Methode aufgezeigt. Und dabei auch gleich einen Einblick in dieses künstliche Gehirn erlaubt: DroNet mag klar gezogene Linien, durch das Training hat das Neuronale Netz gelernt, solche Merkmale in der Umgebung besonders zu gewichten. «Doch in einem Wald wäre DroNet ziemlich verloren», glaubt Scaramuzza. 

Egal wie man die Zukunft der Drohnen einschätzt, ob disruptiv-optimistisch oder wissenschaftlich-vorsichtig: Für die Forschung ist die Aufgabe allemal eine faszinierende. Wie findet die Drohne ihren Weg, wie weiss sie wo sie sich befindet und wie erkennt sie ihre Umwelt? In der Theorie wisse man schon seit etwa dreissig Jahren, wie das Problem am besten zu lösen sei, sagt Scaramuzza, die Fachleute nennen es «Simultaneous Localization and Mapping» (SLAM). Aber erst seit wenigen Jahren funktioniere die Theorie auch einigermassen zuverlässig in der Praxis: Autos oder Drohnen bewegen sich durch einen ihnen unbekannten Raum und machen sich laufend ein Bild davon, wo sie sich befinden und speichern dieses ab. Der jüngste Durchbruch ist nun, dass SLAM dank Künstlicher Intelligenz auch mit simplen Kameras möglich ist. Bislang war man auf die viel komplexere, schwerere und energieintensivere Laser-Technologie LIDAR angewiesen, die die Umgebung tiefenscharf scannt. Für Autos ist LIDAR nach wie vor Standard, aber für kleine Drohnen eignen sich simple Kameras nun einmal viel besser. 

Robuster und sicherer

Die Fortschritte der Methode wirklich austesten will Scaramuzza lieber nicht im Stadtraum, sondern in sicher abgegrenztem Gelände. Dafür ist der unlängst mit der Eröffnung des Begegnungs- und Informationszentrums offiziell lancierte Innovation Park Zürich in Dübendorf ideal. Dort kann Scaramuzza seine smarten Drohnen grossflächig und unter realen Bedingungen testen, in Innen- wie in Aussenräumen. Etwa um auf den Zentimeter genaue Warenlieferungen zu üben. Zudem wird es auf dem ehemaligen Militärflugplatz alternierend reguläre Flüge und Drohnenaktivitäten geben, womit sich auch sogenanntes «Unmanned Traffic Management» austesten lässt. 

Die grundsätzliche Mission der Forscher: Drohnen in ihrer Funktion robuster und damit sicherer zu machen. Denn Sicherheit ist zweifellos das grosse Schlagwort, wenn es um die gesellschaftliche Akzeptanz von autonomen Systemen geht. «Eine Fehlerfreiheit von 99.9 Prozent reicht eben nicht aus», sagt Scaramuzza. Unser Anspruch an Maschinen fehlerfrei zu funktionieren, ist die eine Herausforderung. Eine ganz andere steckt tief in der Deep Learning-Architektur: Gerade die gefährlichsten Situationen werden für die Künstliche Intelligenz am schwierigsten zu beherrschen sein – wie soll einer Drohne gutes Unfallverhalten beigebracht werden? Unfälle sind Ausnahmen, unerwartete Situationen, für die nur wenige Trainingsdaten zur Verfügung stehen.

 Deshalb sieht Scaramuzza als konkrete Anwendungsfelder für autonome Drohnen zunächst auch nicht unbedingt Alltags-, sondern Extremsituationen: Bei Such- und Rettungseinsätzen könnten sie bald wertvolle Dienste leisten, sie könnten unwegsames Gelände absuchen und tief in zerstörte Gebäude vordringen. Solche Einsätze wollen er und sein Team auf dem Gelände des Innovation Park Zürich simulieren, und dabei möglichst perfekte Trainingsbedingungen für die lernbegierigen Neuronalen Netzwerke schaffen.

Weiterführende Informationen

UZH Magazin

Dieser Artikel stammt aus dem UZH Magazin 2/18.