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Architektur von Biomolekülen

Ganz gross im Kleinen

Führende Strukturbiologen aus aller Welt haben an der UZH ihre neusten Befunde und Experimente ausgetauscht. Die Fachdisziplin liefert Grundlagen zur Entwicklung neuer Medikamente und ist in Zürich nach wie vor hervorragend aufgestellt.
Stefan Stöcklin
«Je genauer man hinschaut, desto komplexer wird das Bild», sagt Andreas Plückthun. (Bild:sts)

Zum Beispiel Grippeviren. Wenn Stephen Cusack vom EMBL in Grenoble die molekulare Maschine beschreibt, mit der sich die gefährlichen Erreger im Menschen vermehren, kann man nur bewundernd staunen. Ein Eiweissknäuel namens RNA-Polymerase ist für die Bildung neuer Partikel verantwortlich, aus denen zigtausende von Viren entstehen.

Die Polymerase baut nicht nur diese Erbgutstückchen zusammen, sie stoppt gleichzeitig auch die  menschliche Zelle von der Verarbeitung ihrer eigenen Gene. Cusack kann diese Vorgänge Schritt für Schritt anhand dreidimensionaler Modelle des Moleküls erklären und zeigen, wie sich einzelne Bereiche drehen und wenden. Man glaubt ihm sofort, wenn er sagt, dass er seit vielen Jahren daran arbeite, die Funktionsweise dieser Polymerase besser zu verstehen.

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Ko-Organisator des Symposiums und Preisträger: Nenad Ban von der ETH Zürich. (Bild:sts)

Cusack ist einer von rund 250 Forscherinnen und Forschern, die sich diese Woche in der Aula des UZH-Hauptgebäudes über die neusten Trends und Techniken in der Strukturbiologie ausgetauscht haben. Aus aller Welt sind führende Strukturbiologen und -biologinnen zum Symposium des «Zurich Center for Structural Biology» angereist. Das grosse Interesse freute besonders Andreas Plückthun, Professor am Biochemischen Institut der UZH, und zusammen mit Professor Nenad Ban von der ETH Zürich Ko-Organisator des Symposiums. Ban ist im übrigen soeben mit dem  Ernst-Jung-Preis für Medizin ausgezeichnet worden, zusammen mit dem Göttinger Neurowissenschaftler Tobias Moser.

Zerlegung in die Einzelteile

Die Funktion ergibt sich aus der Form. Der abgewandelte Leitsatz aus der Architektur - die Form folgt der Funktion - beschreibt ziemlich genau, was Strukturbiologen tun. «Wir versuchen durch die Analyse der dreidimensionalen atomaren Struktur abzuleiten, wie Biomoleküle funktionieren», sagt Andreas Plückthun.

Die Strukturbiologie ist sozusagen das Gegenstück zur Systembiologie, die dynamische Vorgänge in einer Zelle über zigtausende von Proteinen und anderen Biomolekülen erfasst und die Netzwerke sichtbar macht – aber über die einzelnen Komponenten nur wenig in Erfahrung bringen kann. Bei der Stukturbiologie geht es im Unterschied dazu um einzelne Moleküle oder Molekülverbände, die bis in alle Details zerlegt und erforscht werden.

Mit der Aufklärung der DNA-Doppelhelix 1953 ist die wohl berühmteste biologische Struktur bereits vor 64 Jahren entdeckt worden. Diese Jahrhundert-Entdeckung hat den Forschern Francis Crick, James Watson und Maurice Wilkins 1962 einen der bekanntesten Nobelpreise eingebracht. Aber noch immer arbeiten Strukturbiologen an den verschiedenen Biomolekülen, welche diese DNA in unseren Zellen verpacken und darüber entscheiden, ob einzelne Gene abgelesen und aktiviert werden können. «Je genauer man hinschaut, desto komplexer wird das Bild», sagt Andreas Plückthun. «Wir sehen in vielen Fällen noch immer kaum mehr als die Spitze des Eisberges», sagt der Wissenschaftler.

Unverzichtbar für neue Medikamente

Die ungelösten Prozesse sind natürlich ein mächtiger Antrieb und stacheln die Neugier an, mehr darüber zu verstehen. Ein besseres Verständnis hat aber über den Erkenntnisgewinn hinaus auch direkten Nutzen: «Die Strukturaufklärung ist unverzichtbar, um neue Medikamente zu entwickeln», sagt Andreas Plückthun.

Im Fall von Influenzaviren ist das besonders drängend, denn hochgefährliche Erreger, gegen die Impfstoffe fehlen, können jederzeit auftreten. Gerade die von Stephen Cusack untersuchte Polymerase ist ein mögliches Angriffsziel neuer Wirkstoffe. Dank den detaillierten Analysen ist es möglich, Substanzen zu entwickeln, die essentielle Teile der Polymerase-Maschine gezielt lahmlegen. Cusack rechnet damit, dass innerhalb weniger Jahre solche Medikamente auf den Markt kommen werden.

Aus wissenschaftlicher und medizinischer Perspektive könne die Strukturbiologie nicht hoch genug eingeschätzt werden, findet Plückthun. Mit einer gewissen Sorge betrachtet er deshalb die Entwicklung, dass das Feld zunehmend Probleme habe, die notwendigen Forschungsmittel einzuwerben.

Zwar hat der Forschungsplatz Zürich dank dem Nationalen Forschungsschwerpunkt (NCCR) «Structural Biology» eine hervorragende Forschung und Lehre aufbauen können. Doch das NCCR ist 2013 ausgelaufen und man laufe Gefahr, diese Position zu verlieren. «Wir sind noch immer kompetitiv und können uns mit den besten Orten vergleichen – aber wie lange noch», gibt Plückthun zu Bedenken.