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Churchill-Symposium

Für ein Europa der Vielfalt

Das diesjährige Churchill-Symposium an der UZH war ein Publikumsmagnet, es zog am Montag rund tausend Besucherinnen und Besucher an. Der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck sprach über den «Streitfall Europa», Bundesrat Alain Berset über den Erhalt der Demokratie.
David Werner

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Joachim Gauck, ehemaliger deutscher Bundespräsident, und Bundesrat Alain Berset am Churchill-Symposium in der Aula der UZH. (Bild: © Helen Ree)

 

Es sei «eine ästhetische Freude», an der UZH zu Gast zu sein, sagte Joachim Gauck, und liess seinen Blick durch die Aula wandern. Er habe schon in vielen Universitätsgebäuden gesprochen. Längst nicht jedes sei so glanzvoll wie dieses.

Die lobenden Worte, die der ehemalige deutsche Bundespräsident seiner Rede vorausschickte, galten auch den demokratischen Tugenden der Schweiz. Das Land trage etwas «Ur-Europäisches» in sich. Gauck gab der Hoffnung Ausdruck, dass die Schweiz eines Tages ihre demokratischen Erfahrungen in die EU einbringen werde.

In der Langzeitperspektive sei die EU eine Erfolgsgeschichte, sagte Gauck. Er rief in Erinnerung, dass Europa in Trümmern lag, als Churchill in der Aula der Universität Zürich die Völker zur Versöhnung aufrief und die Bildung eines vereinigten Europas anregte.

Heute gehe es den meisten Menschen in der EU besser denn je. Trotzdem blickten viele angstvoll in die Zukunft und fürchteten den Verlust von Status, Wohlstand und Heimatgefühl. Globalisierung und Digitalisierung nannte Gauck als Gründe dafür. Die Veränderungen spalteten die Gesellschaft. Während die einen – vor allem die gut Ausgebildeten und Beweglichen – von den neuen Möglichkeiten und Aktionsräumen profitierten, fühlten sich andere den Entwicklungen hilflos ausgesetzt.

Kein Ende der Nationalstaaten

Gauck warb in seiner Rede um Verständnis für jene, welche Schutz und Orientierung beim Nationalstaat suchten. «Wir kommen nicht um das selbstkritische Eingeständnis herum, dass wir – die politische Klasse – die Bedeutung nationaler Loyalität und Tradition unterschätzt haben», sagte Gauck. Die Nation habe als Bezugspunkt für Beheimatung und Identität in Europa noch längst nicht abgedankt.

«Es gibt eine nicht-nationalistische Vorstellung vom Nationalstaat, die durchaus im Einklang mit dem Geist der Europäischen Union liegt», sagte Gauck. Demokratische, weltoffene Nationalstaaten seien das Fundament Europas, sie seien Garanten von Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechten und kultureller Vielfalt.

Dialog statt Gleichmacherei

Eine Aufgabe der Nationalstaaten im vereinten Europa sei es, einen Ausgleich zu finden zwischen jenen, die ihre Identität auf Universalismus und Weltoffenheit aufbauen und jenen, die sich vor diesen Prinzipien fürchten. Historisch und kulturell bedingte Unterschiede seien zu respektieren. Statt Gleichmacherei brauche es mehr Dialog.

Kritisch äusserte sich Gauck auch zur Positionierung Europas im sich wandelnden weltpolitischen Koordinatensystem. Es fehle diesbezüglich an strategischen Ideen. Gauck warb aber auch für Zuversicht: Die «Euphorie der frühen Vereinigungsphase wird nicht zurückkehren», sagte er, aber an ihre Stelle könne nun ein «gereiftes Vertrauen» treten. Die Europäischen Länder hätten in den letzten Jahrzehnten ihre Fähigkeit, Probleme gemeinsam zu lösen, unter Beweis gestellt.

Lernen von Churchill

Neben Joachim Gauck sprach auch Alain Berset am diesjährigen Churchill-Symposium. Er würdigte in seiner Rede den britischen Kriegspremier ausführlich als unbeirrbaren Kämpfer gegen den Totalitarismus und als Retter der Demokratie in finsterer Zeit. Der Bundesrat bezeichnete Churchill als «grössten europäischen Staatsmann des 20. Jahrhunderts». Zwar verbiete es sich, die historische Situation der 1930er-Jahre direkt mit der heutigen zu vergleichen. Dennoch sei Churchills feines Sensorium für alles, was die Demokratie gefährde, angesichts populistischer und autoritativer Tendenzen auch heute wieder gefragt.

Populismus als Frühwarnsystem

Berset empfahl, den Populismus «als Frühwarnsystem» zu begreifen. Die Sorgen um den Heimat- und Identitätsverlust, die den Populismus nährten, müssten ernst genommen werden. Dabei müsse aber unterschieden werden zwischen legitimen demokratischen Anliegen und Angriffen auf demokratische Institutionen. «Die Bürgerinnen und Bürger müssen wieder davon überzeugt sein, dass sie ihre Lebensumstände mitbestimmen können», sagte Berset. Die Volkssouveränität dürfe aber nicht verabsolutiert werden, die Demokratie ruhe noch auf zwei weiteren Säulen: dem Rechtsstaat und den demokratischen Institutionen.

Nicht für alle Probleme gebe es einfache Lösungen, und es erfordere Mut, dies deutlich auszusprechen, sagte Berset. Churchill habe den Mut dafür aufgebracht. Auch deshalb tauge er heute noch zum Vorbild.

 

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