Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Transactions

Das Entscheiden entschlüsseln

Am Forschungslabor für soziale und neuronale Systeme (SNS Lab) der Universität Zürich gehen Forschende täglich durch die Decke – die Schädeldecke. Mit neuester Technologie entschlüsseln sie, wie unser Hirn bei ökonomischen Fragen entscheidet. Ihre neuesten Erkenntnisse zeigen sie an der Ausstellung «Transactions».
Caspar Türler
Christopher Hill und Colin Guillemet
Christopher Hill (rechts) diskutiert mit dem Künstler und Szenaristen Colin Guillemet, wie ein dreidimensionales Hirnmodell in der Ausstellung Verwendung finden könnte.

 

Das Wissenschaftler-Trio hat eine ambitionierte Mission: Christian Ruff, Professor und Leiter der Gruppe Neuroökonomie und Decision Neuroscience, Doktorand Christopher Hill und Zoltan Nagy, Leiter der Gruppe Magnetic Resonance Imaging (MRI), wollen am Forschungslabor für soziale und neuronale Systeme (SNS Lab) der UZH nichts weniger als den Code der menschlichen Entscheidungsfindung knacken.

Um den zerebralen Kosmos von geschätzt 100 Billionen Synapsen zu durchleuchten, kombinieren sie gemeinsam mit weiteren SNS-Forschenden Methoden wie nichtinvasive Hirnstimulation, Neuropharmakologie und Computermodellierung mit den neuesten MRI-Technologien. Knapp 500 Jahre nach Descartes‘ erkenntnistheoretischer Grundlage «Ich denke, also bin ich» scheint eine detaillierte Beschreibung der biologischen Mechanismen, die unserem Erkenntnis- und Entscheidungsverhalten zugrunde liegen, in greifbare Nähe zu rücken.

Homo trans-oeconomicus

«Die Neuroökonomie untersucht, wie Menschen Entscheidungen treffen, zum Beispiel zwischen verschiedenen Gütern. «Diese Güter müssen nicht Waren sein, sondern können auch immateriell sein», erklärt Christian Ruff. «Wir wollen herausfinden, warum wir als Konsumenten oder Investoren in privaten oder beruflichen Situationen etwas Bestimmtes bevorzugen, für etwas Zeit investieren, etwas Aufmerksamkeit schenken – oder das Gegenteil tun.»

Als interdisziplinäre Wissenschaft, die sich vor rund 20 Jahren aus der Verhaltensökonomie entwickelte, hat die Neuroökonomie dazu beigetragen, die Natur des Menschen über das Modell des homo oeconomicus hinaus zu verstehen. Neuroökonomen sind sich heute einig, dass der Mensch nicht immer nach einer rein rationalen Gewinnmaximierung strebt und immer nach seinen besten Interessen entscheidet. «Die Emotionen und andere irrationale Motive sind genauso Teil unserer Entscheidungen», sagt Christopher Hill.

Drang oder Zwang?

Er erläutert dies am Beispiel von Börsenblasen: «Menschen folgen dabei herdenartig anderen Menschen und zahlen viel zu hohe Preise, nur weil gerade ein Hype um etwas herrscht. Dabei kommt es zu positiven Rückkopplungen und die Preise entfernen sich vom tatsächlichen Wert.» Entscheidungen können auch von irrelevanten oder unterbewussten Motiven beeinflusst sein. «In solchen Situationen kann man kaum noch von bewussten, rationalen Präferenzen sprechen, sondern muss davon ausgehen, dass Ängste oder Zwänge überhandnehmen», ergänzt Ruff.

Immer genauere Modelle der Innenwelt

Um Entscheidungsprozesse des Hirns sichtbar zu machen, greifen Ruff und Hill auf das medizinische Bildgebungsverfahren MRI zurück. Unterstützt werden sie dabei vom Physiker Zoltan Nagy der sich auf strukturierte Neuroanatomie spezialisiert hat. In den letzten 15 Jahren hat die entsprechende Forschung gemäss Ruff gewaltige Fortschritte gemacht: «Wir wissen ziemlich genau, welche Hirnregionen an den verschiedenen Entscheidungsszenarios beteiligt sind. Nun wollen wir herausfinden, welche Prozesse im gesamten Hirn-Netzwerk für Entscheide verantwortlich sind». Damit soll es in absehbarer Zeit gelingen, die neuronalen Mechanismen ausfindig zu machen, die Präferenzen und Verhaltensmuster steuern.

Primäre und sekundäre Belohnungen

Geld dient als Motivator für viele unserer Entscheidungen. Es spielt ausserdem für die neuroökonomische Forschung eine grosse Rolle: «Es ist erstaunlich, wie ähnlich Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaften auf Geld reagieren», erklärt Ruff. «Geld ist universell austausch- und handelbar. Während bei Erdbeermarmelade oder Fondue als Anreiz jeder ganz anders reagiert.»

Bereits Kinder entwickeln früh ein Verständnis für die Bedeutung von Geld. Während die einen alles für Süssigkeiten ausgeben, sparen es die anderen für später auf. «In beiden Fällen empfindet das Individuum eine Belohnung», erklärt Ruff. «Im ersten Fall eine primäre, im zweiten Fall eine sekundäre. Durch primäre Belohnungen kann der Körper und/oder der Geist direkt Freude empfinden, während sekundäre Belohnungen dazu dienen, sich in der Zukunft primäre zu verschaffen.» Geld ist eine sekundäre Belohnung. Damit kann man in marktgetriebenen Gesellschaften zu fast jeder primären Belohnung Zugang erhalten, zum Beispiel zu Schutz, Nahrung, Sex, Genussmittel, Drogen, Macht oder gar Schönheit.

Das Hirn beim Denken beobachten

Welche Hirnmechanismen in unterschiedlichen Entscheidungssituationen aktiv sind, zeigt das Forscher-Trio in der Ausstellung «Transactions» mit Hilfe der Szenografie von Colin Guillemet und einer Lichtinstallation des Künstlerkollektivs Anti-Node. Sie projizieren dazu Hirnmodellierungen auf dreidimensionale Styropor-Köpfe. So können auch die Zuschauer virtuell «durch die Decke» gehen und einem Hirn beim Arbeiten zusehen – die Voraussetzung für jede Art von Tätigkeit.