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Aarauer Demokratietage

Der Weg zur Mitbestimmung

Die 8. Aarauer Demokratietage widmeten sich Mitte März den politischen Rechten von Ausländerinnen und Ausländern. Für UZH-Rechtsprofessor Andreas Glaser ist die Einbürgerung der sinnvollste Weg zu mehr Mitbestimmung.
Adrian Ritter
Andreas Glaser
«Fehlende Mitbestimmung verträgt sich auf die Dauer nicht mit der Idee der Demokratie»: UZH-Rechtsprofessor Andreas Glaser.

 

Knapp zwei Millionen Menschen in der Schweiz sind Ausländerinnen und Ausländer und damit ohne Schweizer Bürgerrechte. Nur in wenigen Kantonen, insbesondere der Westschweiz, besitzen sie gewisse Stimm- und Wahlrechte. Verträgt sich die geringe Mitbestimmung mit dem Ideal der Schweizer Demokratie? Dieser Frage gingen die 8. Aarauer Demokratietage nach. Die Veranstaltung widmet sich jährlich einem aktuellen Thema der Demokratie und wird vom Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) organisiert, zu dessen Trägerschaft auch die Universität Zürich gehört.

Die öffentliche Debatte zum diesjährigen Thema «Politische Rechte für Ausländerinnen und Ausländer?» ist oft ideologisch und parteipolitisch aufgeladen. Die Veranstaltung bestand aus einem Podiumsgespräch mit Politikerinnen und Politikern sowie aus drei wissenschaftlichen Panels. An diesen nahmen vor allem Forschende aus Politik- und Rechtswissenschaft sowie dem Fachbereich Politische Bildung teil.

Was zuerst: Integration oder Rechte?

Andreas Glaser ist Professor für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht an der UZH und am Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) und damit Mitorganisator der Demokratietage. Im Gespräch mit UZH News blickt er auf die Veranstaltung zurück und stellt fest: Im Grundsatz waren sich die Teilnehmenden einig, dass Ausländerinnen und Ausländer mehr politische Rechte haben sollten: «Die fehlende Mitbestimmung verträgt sich auf die Dauer nicht mit der Idee der Demokratie. Wer einer Gesetzgebung unterworfen ist, sollte auch über diese mitbestimmen können», so Glaser. Umstritten war die Frage, was am Anfang stehen soll: politische Rechte oder Integration? Die bürgerlichen Parteien tendieren dazu, politische Rechte erst nach der Integration (Einbürgerung) vergeben zu wollen. Linke Parteien argumentieren, es sei der Integration förderlich, wenn Ausländer schon vor der Einbürgerung politisch partizipieren dürfen.

In der Schweiz haben in den vergangenen Jahrzehnten in mehreren Kantonen Abstimmungen zur Frage des Ausländerstimmrechts stattgefunden. So besitzen heute Ausländerinnen und Ausländer in rund einem Viertel aller Gemeinden das Stimm- und Wahlrecht auf kommunaler Ebene. Dies trifft insbesondere auf fünf Westschweizer Kantone zu, wo das kantonale Recht ein Ausländerstimmrecht auf kommunaler Ebene vorschreibt. In den Deutschschweizer Kantonen Basel-Stadt, Appenzell Ausserrhoden und Graubünden steht es den Gemeinden frei, ob und in welcher Form sie das Ausländerstimmrecht einführen wollen. Der Föderalismus geht noch weiter: In den Kantonen Jura und Neuenburg besitzen Ausländer zusätzlich auf kantonaler Ebene das Stimm- und Wahlrecht.

Im internationalen Vergleich ist die Schweiz damit eine Ausnahme: Kaum ein anderes Land vergibt Ausländern politische Rechte über der kommunalen Ebene. In der Europäischen Union besitzen zugezogene Bürgerinnen und Bürger zwar das Stimm- und Wahlrecht auf lokaler Ebene – allerdings nur, wenn sie aus einem EU-Staat stammen. Personen aus Drittstaaten wird die Mitbestimmung in den meisten EU-Ländern nicht gewährt.

Beständigkeit anstreben

«Das unterschiedlich ausgeprägte Stimm- und Wahlrecht für Ausländer in den Schweizer Kantonen ist allerdings heikel», sagt Andreas Glaser. Die Bundesverfassung garantiere grundsätzlich das allgemeine und gleiche Stimmrecht. In der heutigen Praxis werde die Bevölkerung aber in Voll- und Minderberechtigte unterteilt. Beispiel Kanton Jura: Ausländerinnen und Ausländer sind bei kantonalen Abstimmungen zugelassen – allerdings nicht im Falle von Verfassungsänderungen. In den Gemeinden des Kantons dürfen Ausländer für den Gemeinderat, nicht aber als Gemeindepräsidentin oder Gemeindepräsident kandidieren.

«Es macht keinen Sinn, den Kreis der Stimmberechtigten bei jeder Abstimmung oder Wahl neu zusammenzusetzen», sagt Andreas Glaser. Gerade in Zeiten der Globalisierung und hoher Mobilität sollte eine Demokratie in diesem Punkt eine gewisse Beständigkeit anstreben. Er plädiert daher für die Lösung der Einbürgerung, bei der das Stimm- und Wahlrecht im vollen Umfang vergeben wird: «Wer länger hier zu leben gedenkt und politisch mitbestimmen möchte, sollte und kann sich einbürgern lassen» so Glaser. Die entsprechenden Hürden und Kosten seien in den vergangenen Jahren gesenkt worden und die meisten Staaten würden heute auch die Doppelbürgerschaft anerkennen. Das Bundesgericht habe zudem 2003 entschieden, dass Einbürgerungen nicht mehr an der Urne erfolgen dürfen und eine Ablehnung einer Begründung bedarf.

Sinnvoll wären für Andreas Glaser bei den Einbürgerungen allerdings gewisse Anpassungen. So könnte beispielsweise bei Secondos, die hier die Schule besucht haben, auf Staatskunde- und Sprachtests verzichtet werden.

Forschungslücken schliessen

Im Zusammenhang mit Einbürgerungen sieht Glaser einigen Forschungsbedarf: In der Schweiz erfüllen rund 900'000 Menschen die Voraussetzungen für eine Einbürgerung, lassen sich aber nicht einbürgern. Liegt der Grund in einer weiterhin bestehenden Angst vor Diskriminierung? Oder ist es mangelndes Interesse an politischer Mitbestimmung? Für das mangelnde Interesse könnten auch die ernüchternden Erfahrungen mit dem Stimm- und Wahlrecht in den Kantonen sprechen. Die Beteiligung der Ausländerinnen und Ausländer ist oft noch geringer als jene der Schweizerinnen und Schweizer.

Glaser ist deshalb skeptisch, was die kürzlich veröffentlichte Studie von Avenir Suisse anbelangt. Der Think Tank argumentiert, das Ausländerstimmrecht auf Gemeindeebene könnte helfen, den Personalmangel für politische Ämter in den Gemeinden zu entschärfen.

Alternativen zum Stimmrecht

Zu bewähren scheinen sich alternative Formen der Partizipation für Ausländer, wie sie an den Demokratietagen ebenfalls diskutiert wurden. So haben gewisse Westschweizer Gemeinden zusätzlich zum Stimmrecht so genannte «contrats de quartier»eingeführt. Dabei lässt die Gemeinde auch ausländische Quartierbewohner bei Sachfragen mitreden – etwa wenn es darum geht, einen Park neu zu gestalten. «Die Beteiligung daran ist erfreulich hoch, wie in einem Referat zu erfahren war – weil es um eine konkrete persönliche Betroffenheit geht», so Glaser. Solche partizipativen Verfahren machen aus seiner Sicht ohnehin Sinn – nicht nur für Ausländerinnen und Ausländer.

Andreas Glaser rechnet damit, dass das Stimm-und Wahlrecht für Ausländer in der Schweiz in naher Zukunft weniger ein Thema sein wird. Dies auch, weil keine weiteren Revisionen von Kantonsverfassungen anstehen. Er rechnet auch nicht damit, dass Kantone mit einem Stimm- und Wahlrecht für Ausländer dies wieder abschaffen werden: «Es gibt keine negativen Erfahrungen damit und keine Proteste dagegen.» Kein Wunder: Die Forschung zeigt, dass dort, wo Ausländerinnen und Ausländer mitentscheiden dürfen, die Resultate von Abstimmungen deswegen nicht anders ausfallen.