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Nachhaltigkeit

«Unsere Enkel sitzen nicht am Verhandlungstisch»

Heute startet die dritte Nachhaltigkeitswoche. Studierende haben dazu an fünf Zürcher Hochschulen ein reichhaltiges Programm mit Vorträgen, Workshops und Exkursionen organisiert. Eine Auswirkung der ersten Nachhaltigkeitswoche war, dass die UZH die Stelle eines Delegierten für Nachhaltigkeit geschaffen hat. Stelleninhaber und Informatikprofessor Lorenz Hilty gibt im Interview mit UZH News Einblick in sein Denken und bisheriges Wirken.
Maurus Immoos

«Die wichtigste Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung ist, dass es Räume für unabhängiges wissenschaftliches Denken gibt»: Lorenz Hilty, Delegierter für Nachhaltigkeit der UZH. (Bild: Maurus Immoos)

Herr Hilty, Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Neben Umweltverbänden und Parteien werben auch der Dienstleistungssektor und die Industrie mit dem Slogan der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist demnach ein Begriff, der sich für verschiedene Interessen einsetzen lässt. Was kann eine Universität dafür tun, dass Nachhaltigkeit nicht zu einer Worthülse verkommt?

Lorenz Hilty: Die wichtigste Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung ist, dass es Räume gibt, wo das unabhängige wissenschaftliche Denken gepflegt wird. Die Universität ist so ein Raum. Allein dadurch, dass die Universität kritisch reflektierendes Denken fördert, trägt sie schon zur nachhaltigen Entwicklung bei. Dabei muss nicht jedes Projekt und jede Lehrveranstaltung das Label «Nachhaltigkeit» tragen. Das Wesentliche ist, Menschen zu befähigen, einen distanzierten Blick auf das eigene Handeln zu entwickeln.

Was verstehen Sie persönlich unter Nachhaltigkeit?

Entscheidend am Begriff Nachhaltigkeit ist die Berücksichtigung der zukünftigen Generationen. Bei heutigen Verteilungskonflikten – zum Beispiel um natürliche Ressourcen – sollte man stets bedenken, dass unsere Enkel nicht am Verhandlungstisch sitzen. Nachhaltigkeit bedeutet in erster Linie, bereit zu sein, Entscheidungen auf ihre langfristigen Folgen hin abzuwägen.

Es gibt auf lange Sicht keinen Gegensatz zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Fragen, denn die ökologischen Probleme von heute sind die ökonomischen von morgen und die sozialen von übermorgen. Wir erkennen durch die Naturwissenschaften, wie die Gesellschaft ihre eigenen Lebensbedingungen verändert. Wir haben die Pflicht, diese Lebensbedingungen nicht zu unseren Ungunsten zu verändern.

Was kann Ihr Fachgebiet, die Informatik, zur nachhaltigen Entwicklung beitragen?

Es ist heute leider immer noch so, dass die wirtschaftliche Wertschöpfung eng gekoppelt ist an den Fluss von Material und Energie. Die heutigen Informations- und Kommunikationstechnologien bieten eine grosse Chance, dies positiv zu verändern. Natürlich haben wir auch einen steigenden Energieverbrauch in der ICT. Das noch grössere Problem ist, dass das halbe Periodensystem in der digitalen Elektronik drin steckt und wir Rohstoffe verwenden, die teilweise unter inakzeptablen sozialen und ökologischen Bedingungen abgebaut werden.

Trotzdem ist diese Technologie dabei, sich selbst zu dematerialisieren. Ein heutiges Gerät ist eine Million Mal energieeffizienter und auch eine Million Mal materialeffizienter als der erste Laptop, den ich in den 1990er-Jahren besessen habe. Wir schaffen es jedoch immer wieder, diese Effizienzgewinne aufzufressen durch Ansprüche, die noch schneller wachsen als die technische Effizienz. Wenn man dem entgegensteuern könnte, liessen sich viele Probleme beheben. Meines Erachtens liegt der Schlüssel dazu in der innovativen Forschung und Lehre.

Sie sind nun rund ein Jahr als Nachhaltigkeitsbeauftragter tätig. Wie interpretieren Sie Ihr Amt und was sind Ihre Aufgaben?

Ich sehe mich als Katalysator – das ist eine Substanz, die Reaktionen bewirkt, ohne sich selbst zu verbrauchen (lacht). Es gibt drei Bereiche, in denen ich als Nachhaltigkeitsdelegierter tätig bin: in der Forschung, der Lehre und im operationellen Betrieb. In den Bereichen Forschung und Lehre sehe ich mich als Brückenbauer zwischen den Fakultäten und Disziplinen. Nachhaltige Entwicklung ist ein transdisziplinäres Thema, das reale gesellschaftliche Probleme betrifft, die sich mit einzelnen Disziplinen nicht mehr lösen lassen. Ich wünsche mir in diesen zwei Bereichen, ein guter Koordinator zu sein.

Beim Amtsantritt war ich überrascht, wie viel die Universität in Bezug auf Nachhaltigkeit bereits geleistet hat. Ein Beispiel: Seit 2001 hat die UZH jedes Jahr ihre Energieeffizienz um zwei Prozent verbessert, bezüglich bezogener Wärme und Strom. Für ein noch nachhaltigeres Beschaffungswesen gibt es immer Potenzial. Dabei geht es beispielsweise darum, wie Nahrungsmittel für die Mensen und die zahlreichen Apéros eingekauft werden. Wo kommen diese Güter her? Mit welchem Energieaufwand werden sie erzeugt? Unter welchen Umweltbelastungen oder welchen sozialen Bedingungen werden sie produziert?

Aber auch da beginnt die Entwicklung nicht bei Null, und vieles wurde schon getan. Wir möchten helfen, solche Entwicklungen systematisch voranzutreiben. In diesem Bereich versuchen wir auch die Studierenden miteinzubeziehen. So entsteht derzeit eine Masterarbeit zum Thema «Food Waste», die Möglichkeiten untersucht, wie Speiseabfälle an der UZH reduziert werden können.

Wie kann man das Thema Nachhaltigkeit in der Lehre und Forschung verankern?

Auch hier gibt es bereits sehr viele wertvolle Aktivitäten. In der Forschung finden sich Themen wie die Nachhaltigkeit im Finanzsektor, um nur ein wichtiges Beispiel zu nennen. Es gibt zudem das Ethikzentrum, das Kompetenzzentrum für Menschenrechte, das Netzwerk für interdisziplinäre Klimaforschung, Projekte zur Sonnenenergie und den Universitären Forschungsschwerpunkt «Globaler Wandel und Biodiversität». Für Umweltbeobachtungen sei das «Remote Sensing Laboratory» erwähnt. Das assoziierte Institut «Center for Corporate Responsability and Sustainability» beschäftigt sich mit der zentralen Frage, wie Innovation die Nachhaltigkeit unterstützen kann, und bietet auch öffentliche Vortragsreihen an.

An der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät wird seit letztem Jahr die Vorlesung «Einführung in die Grundlagen der Nachhaltigkeit» durchgeführt. Von solchen Initiativen bräuchten wir in der Lehre noch viel mehr.

Als Nachhaltigkeitsteam arbeiten wir daran, einen Weiterbildungskurs für Dozierende aller Universitäten aufzubauen, in dem das Lehren von Nachhaltigkeitsaspekten unabhängig vom Fachgebiet thematisiert wird. Denn in jeder Disziplin stellen sich Fragen nach langfristigen Folgen. Wir haben ein Team von Lehrenden gewinnen können, das international ist und grösstenteils nur virtuell via Videokonferenz anwesend sein wird – wir werden die Leute also nicht einfliegen (lacht).

Wie sieht Ihre Bilanz nach einem Jahr als Nachhaltigkeitsdelegierter aus?

Noch sind wir daran, uns einen Überblick zu verschaffen und die laufenden Projekte zu konsolidieren. Seit heute ist auch unsere Website Nachhaltigkeit an der UZH aufgeschaltet. Sie gibt einen Überblick über die entsprechenden Aktivitäten an der UZH. Eine Herausforderung wird es sein, die Kräfte zu bündeln und etwas Bleibendes zu schaffen. Es ist leicht, Aktivismus zu entfalten und Strohfeuer zu entfachen.

Was halten Sie von der Nachhaltigkeitswoche und inwieweit sind Sie involviert?

Das ist allein ein studentisches Projekt, und die Studierenden machen das so gut, dass sie mich gar nicht brauchen (lacht). Ich freue mich jedoch, dass ich eingeladen bin zu einer internen Konferenz zum Thema «Lehre und Nachhaltigkeit an den Zürcher Hochschulen». Aufgrund der ersten Nachhaltigkeitswoche 2013 hat die Universität Zürich das Amt des Nachhaltigkeitsdelegierten damals eingeführt. Das zeigt, dass solche Initiativen etwas bewirken können.