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Kunstgeschichte

Potpourri der Stile

Der Mittelmeerraum war schon früh eine geopolitische Kontaktzone. Gerhard Wolf, Gastprofessor an der UZH, geht im Rahmen der Heinrich Wölfflin Lectures den interkulturellen Verflechtungen in dieser Region nach. Der nächte Vortrag in dieser Reihe findet heute Abend statt. 
Thomas Müller
Gerhard Wolf: «Der Kanon der Kunstgeschichte hat begonnen, sich markant zu verändern.» (Foto: Thomas Müller)

Wer von globaler Kunstgeschichte spricht, denkt wohl in erster Linie an moderne und zeitgenössische Kunst sowie an Werke, die ab Beginn der europäischen Globalisierung im 16. bis 19. Jahrhundert entstanden. Zu unrecht, wie Gerhard Wolf aufzeigt. In seinen WölfflinLectures (siehe Kasten unten) legt er mit einem zeitlichen Schwerpunkt auf der teilweise präkolonialen Welt bis zurück in die Spätantike dar, wie sich die unterschiedlichen Kulturen und Religionen wie der Islam, das Judentum und das Christentum im Mittelmeerraum gegenseitig beeinflussten.

Anschaulich zeigt sich das beispielsweise an den bekannten «Pilastri acritani», den zwei rechteckigen Säulen, die in Venedig vor dem Südportal dem Markusdoms stehen. Sie verkörpern gleich auf mehreren Ebenen die Dichte der Verflechtungen der Kulturen im Mittelmeerraum. Zum einen sollten sie als «imperiales Token», wie Wolf es nennt, die Identität der Lagunenstadt stärken, herangeschifft angeblich aus Akkon, jener wichtigen Hafenstadt im östlichen Mittelmeerraum, um die sich Venedig im Konflikt mit Genua um den Schauplatz Palästina heftig balgte.

Transkulturelle Faktoren

In Tat und Wahrheit stammten die beiden Pilaster aber aus der Polyeuktos-Kirche in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, errichtet im 6. Jahrhundert unter der römischen Aristokratin Anicia Iuliana. Entgegen den Erwartungen setzte Iuliana nicht auf einen klassischen Stil, der die Kontinuität der römischen imperialen Kultur unterstrichen hätte. Vielmehr verblüffte der Bau mit einem ausgesprochen kosmopolitischen Potpourri von Stilen, das verschiedenste Formen und innovative Techniken aus Ost und West einbezog, beispielsweise auch Ornamentwerk der persischen Baukunst in der Metropole Ktesiphon oder in Taq-e Bostan.

Persisch inspirierte Säulen vor dem Markusdom in Venedig: Transfer von Formen und Objekten. (Foto: Wikimedia Commons)

So kamen also persisch inspirierte Säulen aus Konstantinopel – ausgegeben als dem Erzfeind Genua an einer ganz anderen Ecke des Mittelmeers entrissene Trophäen – ins Herzen Venedigs zu stehen. Zum Transfer der Form und Transfer des Objekts, geprägt von bestimmten theologischen, konzeptionellen und intellektuellen Denkweisen, kommt als dritter transkultureller Faktor der Standort. Die Pilaster stehen vor einem Dom, in dem die Gebeine des Apostels Markus lagern, die wiederum von venezianischen Kaufleuten im ägyptischen Alexandria entwendet und 828 nach Venedig überführt worden waren.

Begrifflichkeiten hinterfragen

«Der Raum zwischen Mittelmeer und Ostasien war ein hochkomplexer Kontaktraum mit ganz unterschiedlichen Territorien, auf denen zahlreiche Imperien im Wettstreit standen», sagt Wolf.  Die Vorstellung gleichartiger, stabiler Imperien von den Mongolen bis zu den Ottomanen, Moguln oder Safawiden greife zu kurz, die Dynamiken von Herrschaft sei komplexer. «Transkulturelle, globale Kunstgeschichte will solches vermeintliches Verständnis aufbrechen und Begrifflichkeiten hinterfragen», so der Gastprofessor. Das geschehe, indem man gute Teams bilde, die Lehre reformiere und angehenden Kunsthistorikern mit Schwerpunkt auf Europa  durch Einladung von Fachleuten Kenntnisse auch in der islamischen, asiatischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Kunstgeschichte vermittle.

In ihren Wölfflin Lectures von 2014 plädierte Gastprofessorin Monica Juneja dafür, in der Kunstgeschichte die eurozentrische Brille abzulegen. Gerhard Wolf setzt an einem anderen Punkt an. Ihm gehe es um eine Kritik an den global verbreiteten Identitätspolitiken, wie er betont. Das Thema packte ihn schon bei den Arbeiten an seiner Dissertation über Marien-Ikonen von 1989 an der Universität Heidelberg an, als er auf Ikonen-Kopien in China und Lateinamerika stiess. Seither habe sich der Kanon der Kunstgeschichte schon deutlich verändert: «Müsste man die hundert wichtigsten Objekte in der Kunstgesichte aufzählen, so sähe die Liste heute in einigen Punkten markant anders als noch vor zwanzig Jahren aus.»