Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Geografie

Babys auf Bestellung

Leihmütter träumen von einem besseren Leben, die Wunscheltern von einer glücklichen Familie. Vom internationalen Geschäft mit der Leihmutterschaft profitieren vor allem Vermittlungsagenturen und Anwälte, stellt die Geografin Carolin Schurr in ihrer Forschung fest.
Katja Rauch
Nicht immer das eigene Kind im Bauch: Das Geschäft mit Leihmüttern in Mexiko boomt. (Bild: helenesouza.com/Pixelio)

Der internationale Leihmuttertourismus ist sehr beweglich. Sobald ihm ein Weg versperrt wird, findet er sofort einen neuen. Carolin Schurr war genau zur rechten Zeit am rechten Ort, um diese globale Wendigkeit zu beobachten. Kaum hatte sich die Geografin nämlich in Mexiko auf die Spurensuche im Geschäft mit Leihmüttern gemacht, schnellte die Zahl der Fälle bei sämtlichen Agenturen in die Höhe.

Offizielle Zahlen existieren zwar nicht. Auf dem Einwohneramt als Leihmuttergeburten gemeldet sind in ganz Mexiko nur fünf Fälle, wie Schurr berichtet. Die meisten werden einfach als normale Geburten registriert. Bei ihren Recherchen fand die Forscherin jedoch zirka 100 Fälle im Jahr 2013, im Oktober 2014 waren es schon über 200.

Die Hauptgründe für diesen Boom in Mexiko sind in Thailand und Indien zu finden. Thailand war noch vor kurzem eine Hochburg des Leihmuttergeschäfts – bis die aktuelle Militärregierung diesem Business einen Riegel schob und damit die internationalen Agenturen zwang, sich ein neues Terrain zu suchen. Indien hat die Leihmutterschaft zwar nicht ganz abgeschafft, erlaubt sie seit 2012 jedoch nur noch für verheiratete heterosexuelle Paare. Ebenso halten es Russland, die Ukraine und Georgien. «Vor allem für homosexuelle Männer mit Kinderwunsch ist damit Mexiko neben den USA zur letzten Hoffnung geworden», sagt Carolin Schurr.

Arbeitsteilung im System

Was die durch eine Branco Weiss Fellowship unterstützte Forscherin in Mexiko vorfand, ist ein komplexes System mit Fruchtbarkeitskliniken, internationalen Agenturen zur Vermittlung der Kunden und Agenturen vor Ort, welche Spenderinnen der Eizellen und Leihmütter rekrutieren.

Eine Leihmutter trägt nicht ihre eigene künstlich befruchtete Eizelle aus, sondern die einer anderen Frau. Diese «Arbeitsteilung» zwischen Leihmutter und Eizellenspenderin hat einerseits psychologische Gründe: Eine Frau soll nicht ihr genetisch eigenes Kind gebären und dann weggeben müssen. Andererseits liegt dem eine ganz handfeste ökonomische Überlegung zugrunde: Es sei einfacher, eine Leihmutter zu finden, wenn deren Aussehen nicht unbedingt den Vorstellungen der Wunscheltern entsprechen müsse, sagt Carolin Schurr.

Eine Frau hingegen, deren genetisches Material die Wunscheltern für ihr Kind möchten, würde sich nicht unbedingt als Leihmutter zur Verfügung stellen. Tatsächlich sind die mexikanischen Eizellenspenderinnen hellhäutiger, entsprechen internationalen Schönheitsidealen und arbeiten nebenher als Models. Oft greift man sogar auf Spenderinnen aus den USA oder Osteuropa zurück.

Die einheimischen mexikanischen Eizellenspenderinnen stammen in der Regel aus der Mittelschicht. 500 bis 600 US-Dollar erhalten sie pro Spende, die VIP-Model-Spenderinnen sogar doppelt so viel. Dieses Geld setzen die Frauen ein, um ihren Lebensstandard zu halten oder aufzubessern, sei es als Schulgeld für eine Privatschule, für den Kauf eines Autos oder um das Haus zu renovieren. Ganz ohne Risiko ist das allerdings nicht. Die Eizellen werden ihnen bei Vollnarkose entnommen, und um gleich mehrere aufs Mal heranreifen zu lassen, müssen sie sich im Vorfeld einer Hormonbehandlung unterziehen. «Viele Spenderinnen machen das zehn, fünfzehn Mal», erzählt die Geografin. «Es gibt noch wenig Forschung, wie sich das langfristig bezüglich Krebsrisiko, eigener Fruchtbarkeit und Menopause auswirkt.»

Bei den Leihmüttern ist es egal, wie sie aussehen, Hauptsache, sie sind gesund. Sie entstammen in der Regel den unteren sozialen Schichten und sind oft alleinerziehend. «Ich denke», so Schurr, «es gibt keine Frau, die das aus Nächstenliebe macht, sondern aus ökonomischen Zwängen und finanziellen Notlagen heraus. Beispielsweise weil sie sich gerade getrennt haben, ohne Arbeit sind oder Schulden bezahlen müssen.»

13 000 Dollar für die Leihmutter

Der Verdienst von 12 000 bis 13 000 US-Dollar für eine Leihmutter mag auf den ersten Blick nicht schlecht aussehen. Mit neun Monaten Schwangerschaft ist es allerdings längst nicht getan. Bereits die Gesundheitschecks und Hormonbehandlungen, um den Körper mit dem der Eizellenspenderin zu synchronisieren, dauern bis zu fünf Monate.

Auch nistet sich der Embryo oft nicht gleich beim ersten Mal ein. Dadurch kann das Prozedere bis zu anderthalb Jahre dauern, wofür ein Verdienst von 13 000 Dollar nicht hoch ist. «Hinzu kommt, dass die Frauen häufig schon während den Hormonbehandlungen und der Schwangerschaft viel ausgeben», erklärt die Geografin. So sind vielleicht am Ende noch 5000 Dollar übrig, und der Kauf eines eigenen Hauses bleibt bloss ein Traum.

Für das Baby einer mexikanischen Leihmutter müssen Paare mit Kinderwunsch zwischen 40 000 und 50 000 Dollar hinblättern. Das Honorar für die austragende Frau macht in dieser Summe nur einen Bruchteil aus. Ein grosser Teil geht an die Fruchtbarkeitsklinik, allerdings hat die Klinik auch Ausgaben, etwa für Hormonpräparate, Labor, Operationssaal. «Den Hauptgewinn machen tatsächlich die Agenturen», erklärt Schurr, «und die Anwälte.» Letztere verlangen bis zu 1000 Dollar – «dafür, dass sie den Vertrag zwischen Agentur und Leihmutter, beziehungsweise Agentur und Auftragseltern, aufsetzen und unterschreiben lassen.» Manchmal gibt es allerdings gar keinen Vertrag.

Verzweifelte Wunscheltern

«Leihmütter und Wunscheltern sind sehr leicht auszubeuten», hält Carolin Schurr fest. Um die beiden verletzlichen Gruppen zu schützen, bräuchte es dringend eine verbindliche internationale Regulierung des Leihmuttermarktes, analog etwa zur Haager Konvention bei den internationalen Adoptionen. Wie erfolgreich dieses Übereinkommen ist, zeigt Schurr am Beispiel von Guatemala. Bis 2004 wurde aus diesem zentralamerikanischen Land ein Prozent aller Kinder zur Adoption freigegeben: «Das war ein richtig grosses Business», sagt Geografin Schurr.

Dann kam die Regulierung durch die Haager Konvention, worauf viele Adoptionsagenturen und anwälte ihr Geschäftsmodell auf die Leihmutterschaft umstellten. Höchste Zeit also, auch dieses Business zu regeln. Mit verbindlichen Rechten und Lebensversicherungen für die Leihmütter (die Frauen riskieren bei der Geburt schliesslich ihr Leben) und mit einer Krankenversicherung, die gesundheitliche Probleme deckt. Aber auch mit klareren Verfahren für die Wunscheltern.

Oder sollte die kommerzielle Leihmutterschaft noch besser gänzlich verboten werden? «Diese Diskussion ist Augenwischerei», findet Carolin Schurr. In Mexiko hält das Gesetz bereits fest, dass eine Leihmutter für das Austragen eines Kindes nicht bezahlt werden darf. «Das führt aber nur dazu, dass der Lohn nicht im Vertrag stehen darf und die Frauen somit am Ende sogar noch um ihr Geld gebracht werden können», sagt die Geografin. «Dann doch lieber kommerziell, aber mit einem klar geregelten Mindestlohn.»

Weiterführende Informationen

Kontakt