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Physiologie

Appetitlos in den Alpen

Wenn Menschen zu schnell in zu grosse Höhen gelangen, werden sie krank. Veterinärphysiologen untersuchen, was die Höhe mit unserem Körper anstellt. Dazu steigen sie auf 4559 Meter über Meer. Die Forschenden um Professor Max Gassmann gewinnen dabei Erkenntnisse über die Sauerstoffversorgung von Organen und Zellen. Das soll auch Schwerkrankten im Spitalalltag zugute kommen.
Susanne Haller-Brem
Forschen über den Gipfeln: In der Capanna Regina Margherita am Monte Rosa machen Physiologen der UZH höhenmedizinische Studien. (Bild: Marco Maggiorini)

Kopfschmerzen, Fieber und Atemnot: Die ersten Berichte über höhenkranke Bergsteiger sind mehr als 2000 Jahre alt. Heute weiss man: Die Krankheit wird durch den verminderten Luftdruck in grosser Höhe verursacht – und nicht etwa, wie häufig falsch angenommen, durch einen verminderten Sauerstoffgehalt der Höhenluft.

«Höhenkrank kann man schon ab einer Höhe von etwa 2500 Metern über Meer werden, insbesondere bei einem schnellen Aufstieg», sagt Max Gassmann, Professor und Direktor des Instituts für Veterinärphysiologie der Universität Zürich und Leiter des Zürcher Zentrums für Integrative Humanphysiologie (ZIHP). Die Betroffenen leiden neben Kopfschmerzen an Symptomen wie Erschöpfung, Appetitverlust, Schlaflosigkeit und geschwollenen Händen und Füssen. Ignorieren die Bergsportler diese Warnzeichen und steigen weiter auf, kann es auch zu Wassereinlagerungen in der Lunge oder im Gehirn kommen. Unbehandelt können solche Ödeme schnell lebensbedrohend werden.

Gassmanns Arbeitsgruppe erforscht, wie Moleküle, Zellen, Gewebe und der Gesamtorganismus auf Sauerstoffmangel reagieren. «Sauerstoffmangel ist nicht nur in grosser Höhe ein Problem, sondern beispielsweise auch bei Blutverlust nach einem Unfall oder bei einer schweren Geburt», erklärt Max Gassmann. Sein Kollege Thomas Lutz, ebenfalls Professor für Veterinärphysiologie an der Universität Zürich, beschäftigt sich dagegen mit Fragen des Appetitverlusts in grosser Höhe.

«Das Phänomen kennt man seit längerem, die Ursachen sind aber bisher weitgehend unbekannt», sagt Lutz, der wie Gassmann eine Affinität zu den Bergen hat. Mangelnder Appetit lässt sich aber nicht nur auf Berggipfeln, sondern auch bei bestimmten Atemwegserkrankungen im Flachland beobachten. Da der Körper meist mit den gleichen Mechanismen versucht, das physiologische Gleichgewicht wiederherzustellen, erwarten die Wissenschaftler, dass die höhenmedizinischen Erkenntnisse auch helfen, kranke Patienten im Flachland besser behandeln zu können.

Akuter Sauerstoffmangel

Die beiden Zürcher Veterinärmediziner haben deshalb zusammen mit Spezialärzten des Universitätsspitals Zürich aus den Bereichen Intensivmedizin, Pneumologie und Gastroenterologie sowie Ernährungswissenschaftlern ein ungewöhnliches Forschungsprojekt im Flachland und in der Capanna Regina Margherita auf 4559 Metern über Meer realisiert. Die Wissenschaftler untersuchen zum Beispiel das Essverhalten der Bergsteiger nach einem raschen Aufstieg oder wie sich die Aufnahme und der Stoffwechsel von Eisen verändern. Dieses Spurenelement spielt eine zentrale Rolle für die Bindung von Sauerstoff.

Normalerweise wird Bergsportlern geraten, langsam aufzusteigen – oberhalb von 2500 Metern Höhe nicht mehr als 300 bis 500 Meter pro Tag. Doch bei diesem Projekt war es anders. Für die Studie wurden freiwillige, gesunde Bergersteigerinnen und Bergsteiger rekrutiert. Sie wurden nach einem raschen Aufstieg, der einen akuten Sauerstoffmangel zur Folge hat, untersucht. Die Teilnehmer nahmen dabei in Kauf, sich eine Höhenkrankheit einzuhandeln, allerdings unter ärztlicher Aufsicht.

Testen und Messen: In der Capanna Regina Margherita wird auf engstem Raum geforscht. (Bild: Marco Maggiorini)

Verletzte Schleimhaut

«Unsere ursprüngliche Hypothese war, dass Menschen in der Höhe weniger essen, weil dort vermehrt Sättigungshormone ausgeschieden werden», sagt Thomas Lutz. Diese Annahme hat sich allerdings als falsch erwiesen. Zwar haben die Bergsteiger nach dem raschen Aufstieg auf 4559 Meter Höhe weniger gegessen, aber es lag nicht am veränderten Spiegel dieser Hormone. Die Biopsien aus Magen und Zwölffingerdarm zeigten, dass die Magenschleimhaut in der Höhe vermehrt Verletzungen aufweist, ähnlich wie man sie von Geschwüren her kennt.

«Aus Versuchen mit Ratten in Höhenkammern, die in Zürich im Labor durchgeführt wurden, hat man zudem Hinweise, dass die Magenentleerung in der Höhe verlangsamt ist», meint Thomas Lutz. Dieser Mechanismus ist ebenfalls Teil der Appetitregulierung. Die Untersuchungen, die in der Capanna Margherita am Menschen durchgeführt wurden, gaben jedoch noch keine schlüssigen Antworten.

Natürliches Labor

Um den Körper in der Höhe mit dem notwendigen Sauerstoff zu versorgen, atmen wir rascher. Eine weitere Anpassung, die sich aber erst nach Tagen bemerkbar macht, ist die vermehrte Bildung von roten Blutkörperchen. Die Produktion dieser so genannten Erythrozyten wird über das Hormon Erythropoietin, besser bekannt unter der Abkürzung Epo, reguliert. Erythrozyten binden mit Hilfe von Eisen Sauerstoff.

Wenn im Hochgebirge mehr Erythrozyten gebildet werden als im Flachland, müsste in der Höhe eigentlich auch der Eisenstoffwechsel angepasst werden – dies war eine weitere Arbeitshypothese der Zürcher Forscher. In diesem Fall hat sich die Hypothese als richtig erwiesen. Die Ergebnisse zeigen, dass auf 4559 Metern die Eisenaufnahme im Darm und der Transport des Spurenelements schon nach kurzer Aufenthaltsdauer deutlich erhöht sind. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass vermehrt Erythrozyten gebildet werden, die anschliessend den Sauerstoffmangel kompensieren können.

Die Capanna Regina Margherita ist für Gassmann und Lutz eine Art natürliches Labor. Sie können dort über Sauerstoffarmut forschen, bevor die Leute allenfalls höhenkrank werden. Die Einsichten, die sie so gewinnen, erlauben wiederum Rückschlüsse beispielsweise auf chronische Erkrankungen der Lunge. Denn am Ende mancher lebensbedrohlichen Krankheit spielt die mangelnde Sauerstoffversorgung der Organ- und Zellsysteme eine zentrale Rolle. Deshalb erhoffen sich die Höhenforscher auch neue Erkenntnisse, wie man diese Schwerstkranken im Spitalalltag besser behandeln kann.

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