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Archäologische Sammlung

Modepüppchen und der Glanz der Antike

Was für ein Gegensatz – und was für Ähnlichkeiten: In der neuen Ausstellung der Archäologischen Sammlung der UZH treten die Schaufensterpuppen in einen Dialog mit den Abgüssen antiker Frauenstatuen.
Marita Fuchs
Statuen und Schaufenster-Schönheiten: In der Ausstellung treffen sie aufeinander.

Ingrid Keller ist mit ihrer Kamera viel auf antiken Grabungsfeldern unterwegs. Relikte aus längst vergangenen Zeiten sind eines der Spezialgebiete der Fotografin.

Als sie im heissen Sommer 1999 wieder einmal durch Athen streifte, entdeckte sie im Hinterhof eines Kleidergeschäftes jedoch etwas ganz anderes: einen durcheinandergewürfelten Haufen ausrangierer Plastikpuppen. Schaufenster-Schönheiten – degradiert zu Plastikmüll.

Ingrid Kellers Aufmerksamkeit war sofort gefesselt. Sie starrte auf die Kunststoff-Skulpturen – und plötzlich ging ihr auf, wie reich die Bezüge zwischen zwei einander völlig fremden Sphären sind: der Welt des Shoppings und der Welt antiker Kunst. Zeitgenössischer Einkaufsstrassen-Glitter und zeitlose klassische Ästhetik: Was für ein Gegensatz! Und was für Ähnlichkeiten!

Auf ihre Art stehen die Schaufensterpuppen genauso für Makellosigkeit und zeitentrückte Perfektion wie die alten griechischen Statuen. Doch das strahlende Schaufenster-Arrangement ist kurzlebig; früher oder später wartet auf die verführerischen Kunststoffdamen die Müllkippe. Den umgekehrten Weg gingen die heute noch erhaltenen Plastiken aus dem alten Griechenland: aus Trümmern geborgen und von Konservatoren für die Ewigkeit präpariert, fanden sie den Weg in die Musentempel der Hauptstädte.

Schöner Schein und schnöde Realität, Glanz und Vergänglichkeit: es sind starke Spannungsfelder, die in der Konfrontation von Modepüppchen und antikem Kunstwerk entstehen.

Grelle Lippen

Ingrid Kellers Leidenschaft für Schaufesterpuppen, die in jenem Moment in Athen entflammte, erwies sich als dauerhaft. Sie begann, Fotos von Schaufensterpuppen zu machen und sie in Kombination mit griechischen Statuen auszustellen. Das Experiment ging erstmals im Goethe-Institut in Athen über die Bühne. Weitere Ausstellungen folgten.

Nun sind Ingrid Kellers Fotos in Zürich in der Archäologischen Sammlung zu bewundern. Ihre neuesten Fotos hat sie mit dem sogenannten Cross-Processing-Verfahren entwickelt, das leuchtende Farben auf den Bildern hervorbringt. Lippen und Lidschatten der Puppen treten grell hervor und schaffen einen prägnanten Gegensatz zum sanften Braun und Grau-weiss der Abgüsse antiker Statuen in der archäologischen Sammlung.

Dezente Brüste

Kellers Bilder zeigen nur die Köpfe der Puppen. «Die Fotografin wollte den Blick auf das Gesicht und nicht auf die Kleidung lenken», sagt Martin Bürge, Kurator der Archäologischen Sammlung. Die Gesichter von Schaufensterpuppen nimmt man in der Regel kaum wahr – doch gerade sie lassen die Schönheitsideale der jeweiligen Zeit besonders deutlich erkennen.

«Mit der Ausstellung wollen wir den Blick der Besucher auf die Puppengesichter lenken und sie in einen Dialog treten lassen mit unseren Abgüssen. Auch die Abgüsse sind nicht nur replizierbare Massenware, sondern erzählen ihre eigenen Geschichten», sagt Bürge. Als Beispiel nennt er eine Statue der Aphrodite von Arles. Das Original steht im Louvre. Das Original? Es wurde vor gut dreihundert Jahren nach dem Geschmack von Louis XIV. im späten 17. Jahrhundert angepasst. Sprich: Man hat die Brüste so abgeändert, dass sie kleiner und dezenter daherkamen.

Wer die neuere, dezente Variante mit der ursprünglichen vergleichen möchte, kann das in der Zürcher Sammlung tun. Es gibt dort nämlich auch einen Abguss des unveränderten Originals – mit üppigen Brüsten.

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