Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Tagung zu seltenen Krankheiten

Leiden die kaum jemand kennt

Patienten mit einer seltenen Krankheit haben es schwer. Es fehlt an Wissen über Diagnosen, Krankheitsmechanismen und Therapien. Am 23. Februar findet an der UZH eine öffentliche Tagung über künftige Strategien im Umgang mit seltenen Krankheiten statt.
Paula Lanfranconi
Hat Erfahrung im Umgang mit seltenen Krankheiten: Matthias Baumgartner, UZH-Professor für Stoffwechselkrankheiten am Kinderspital und Leiter des neuen klinischen Forschungsschwerpunktes radiz - Rare Disease Initiative Zürich.

Die Eltern hatten schon länger vermutet, dass mit ihrem Baby etwas nicht stimmte: Sandro (Name geändert) gedieh nur langsam, immer wieder musste er erbrechen. Dann, mit sechs Monaten, entgleiste sein Stoffwechsel, Sandro war nicht mehr ansprechbar. Das regionale Spital wandte sich an das Kinderspital Zürich. «Aufgrund unserer Analysen», sagt Matthias Baumgartner, UZH-Professor für Soffwechselkrankheiten, «stellten wir rasch fest, dass Sandro an einer Methylmalonacidurie leidet: Wegen eines angeborenen Enzymdefektes kann er gewisse Aminosäuren nicht abbauen und benötigt eine strenge, eiweissarme Diät.»

Endlich Gewissheit

Für Sandros Eltern war die Diagnose, trotz allem, eine Erleichterung. Endlich hatten sie die Gewissheit, dass ihr Kind nach dem neuesten Stand der Forschung behandelt wird. Sandros Stoffwechselerkrankung gehört zu den so genannt seltenen Krankheiten. Dies bedeutet, dass weniger als eine von 2000 Personen betroffen ist. 80 Prozent dieser Erkrankungen haben genetische Ursachen, andere sind Autoimmunkrankheiten, seltene Infektionen oder Krebsarten.

Ein Problem ist all diesen rund 7000 Krankheiten gemeinsam: Man weiss noch zu wenig über Diagnosen, Krankheitsmechanismen und  mögliche Therapien. Und es fehlt an verlässlichen Studien, weil jeweils nur wenige Patienten betroffen sind. Dieser Mangel an Daten, sagt Stoffwechselspezialist Baumgartner, habe auch finanzielle Folgen für die Patienten: «Wenn man statistisch nicht beweisen kann, dass eine Therapie wirkt, zahlen die Krankenversicherer oft nicht einmal die aufwendige Diagnostik.»

Neuer klinischer Forschungsschwerpunkt

Für Fachwelt und Betroffene ist klar, dass das Fachwissen über seltene Krankheiten schweizweit gebündelt und international vernetzt werden muss. Auf dem Stoffwechselsektor ist diese Konzentration bereits gelungen: In Zürich, Bern und Lausanne gibt es heute modellhafte, hoch spezialisierte Zentren mit einem Netzwerk von angeschlossenen Kinderkliniken. «Austausch, Weiterbildung und Fallbesprechungen funktionieren», stellt Matthias Baumgartner fest. Auch die internationale Zusammenarbeit klappt; Zürich ist als europäisches Referenzlabor für Methylmalonacidurie in ein europäisches Netzwerk und Register eingebunden.

Auch die UZH engagiert sich. Sie hat vor kurzem einen klinischen Forschungsschwerpunkt  für Seltene Krankheiten gegründet – mit dem Titel: Rare Disease Initiative Zurich, kurz: radiz. Für Sandros Krankheit beispielsweise forschen einerseits Grundlagenwissenschaftler der Universität über die Entstehung der Nierenprobleme. Anderseits läuft am Kinderspital und am Universitätsspital Zürich ein Projekt zur besseren Betreuung von Patienten mit Methylmalonacidurie. Matthias Baumgartner leitet den klinischen Forschungsschwerpunkt.

Nationale Strategie

Der Alltag der Patienten ist oft schwierig. Immer wieder kann es zu Stoffwechselentgleisungen kommen, und manchmal müssen die Patienten notfallmässig ins Spital. Das Kinderspital Zürich hat nun eine Pflegewissenschaftlerin angestellt, welche die Familien unterstützt. Psychologen sind zudem daran, ihre Lebensqualität zu erfassen. Früher, sagt Matthias Baumgartner, seien die kleinen Patienten bei der ersten metabolischen Entgleisung verstorben. Heute seien die ältesten Patienten über 30 Jahre alt. «Wir wollen wissen, wie unsere Therapien längerfristig wirken und wie wir die Patienten besser unterstützen können.»

Bis in zehn Jahren, hofft Baumgartner, sollen auch für die anderen Hauptgruppen von Seltenen Krankheiten hoch spezialisierte Referenzzentren aufgebaut und eine nationale Strategie erarbeitet sein. Dazu gehöre auch eine vernünftige Finanzierung von Diagnostik, Therapie und Betreuung der Patienten: «Im Moment ersticken wir in der Administration, weil wir Diagnostik und Therapien aufwendig begründen müssen, damit die Versicherer sie nicht aus formalistischen Gründen ablehnen.»

Dem sechsjährigen Sandro geht es heute gut. Der Verzicht auf Gummibärchen oder Burger fällt ihm zwar oft schwer. Doch dank der strengen Diät und der engen Begleitung durch das Kinderspital Zürich ist er zu einem vifen Kindergartenschüler herangewachsen. Inzwischen hat er gar drei kerngesunde Geschwister bekommen. «Eine Riesenfreude für mich», sagt Matthias Baumgartner, der inzwischen Sandros zweiter Hausarzt geworden ist.