Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Suchtbehandlung

Das Internet als Therapeut

Liegt die Lösung von Suchtproblemen vielleicht dort, wo wir sie am wenigsten vermuten – im Internet? Der Psychologe Michael Schaub beschäftigt sich mit Fragen zu Therapie und Diagnostik von Substanzstörungen. Thema seiner Antrittsvorlesung war die Wirksamkeit und Qualität von Online-Suchtbehandlungen.
Melanie Keim
Weniger rauchen – aber wie? Viele Nikotinabhängige suchen in Internetforen Rat.

Wer in einer Suchmaschine das Wort «Rauch» eingibt, stösst sofort auf zahlreiche Einträge rund um den Ausstieg aus der Nikotinsucht. Das Online-Angebot an Diensten und Produkten, die Hilfe bei Suchtproblemen versprechen, ist enorm. Sind diese Dienste lediglich Instrumente geschickter Profiteure, die aus menschlichen Schwachpunkten Kapital schlagen? Oder gibt es unter den Therapieangeboten im Internet auch seriöse Programme?

Positive Effekte

Michael Schaub, Privatdozent für Psychologie, legte in seiner Antrittsvorlesung dar, dass Suchttherapien im Internet durchaus positive Effekte erzielen können. Schaub ist Forschungsleiter am Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung (ISGF), einem assoziierten Institut der Universität Zürich. Das Institut bietet auf www.snowcontrol.ch ein selbst entwickeltes Therapieprogramm an, das Kokainkonsumenten im Umgang mit der Droge helfen soll. Es dient dem ISGF gleichzeitig als Instrument zur Datenerhebung. Laut der Konsumtagebücher, welche die Teilnehmerinnen und Teilnehmer führen, führt die Internettherapie in den meisten Fällen tatsächlich zu einer Reduktion des Suchtmittelkonsums.

Hält Online-Therapien in vielen Fällen für nützlich: Privatdozent Michael Schaub bei seiner Antrittsvorlesung in der Aula.

An die Wirksamkeit konventioneller Suchttherapien kommen die Onlinetherapien jedoch nicht heran, räumte Michael Schaub ein. Bei einem problematischen Konsumverhalten mit starker Abhängigkeit können Onlinetherapien helfen; im Falle einer Konsumkrise durch starken Suchtmittelmissbrauch sollten sie aber höchstens als Ergänzung zu einer konventionellen Suchttherapie eingesetzt werden.

Vorteile der Anonymität

Schaub betont in seinem Vortrag, dass die Hilfesuchenden ihre Therapieform stets sehr bewusst auswählten. Der Entscheid für eine Suchttherapie im Internet ist demnach selten ein zufälliger und muss keineswegs schlecht sein. Schliesslich schafft das Internet neue Möglichkeiten, die gerade für Personen attraktiv sind, welche eine Therapie mit real anwesenden Therapeutinnen und Therapeuten aus Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung oder unerwünschter Nähe meiden. Anonymität und Distanz seien daher nicht als Mängel, sondern vielmehr als grosser Vorteil der Onlinetherapien zu betrachten. Nur gilt es, diese Chancen optimal zu nutzen und die Angebote auf die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Ziel- bzw. Suchtgruppen anzupassen.

Breites Spektrum an Therapieformen

Die Unterschiede zwischen den gängigen Internet-Therapien sind gross: Das Spektrum reicht von Diskussionsforen im Stil einer Selbsthilfegruppe über Chat- oder Emailberatungen bis hin zur Skype-Beratung, die der Face-to-Face-Therapie sehr nahe kommt. Viele bringen durch die technischen Möglichkeiten des Internets praktische Vorteile mit: Personalisierte Feedbacks, in denen zum Beispiel der individuelle Alkoholkonsum analysiert wird, liefern sofort Tipps, wie man sein eigenen Konsumverhalten positiv beeinflussen kann, und Konsumtagebücher sind dank Internet oder App ohne grossen Aufwand zu führen, was die Abbruchquote der Therapie vermindert. Auch für die Forschung selbst bieten webbasierte Interventionsmassnahmen interessante Vorteile. So können dadurch neue Zielgruppen erreicht und eine grosse Mengen an Daten rasch erfasst werden. 

Enorme Nachfrage

Die Erforschung von Potenzial und Gefahren der Suchttherapie im Internet ist jedoch laut Schaub nicht nur angesichts des grossen Angebots wichtig, sondern auch wegen der enormen Nachfrage.  Ein Blick auf die Internetnutzung in der Schweiz zeigt, dass die Suche nach Informationen zu Gesundheitsthemen nach Email-Checks und Nachrichtenlektüre die dritthäufigste Aktivität im Internet ist. Damit hilfesuchende Internetnutzerinnen und -nutzer zwischen dubiosen und professionellen Angeboten unterscheiden können, braucht es dringend Qualitätsstandards. Teils bestehen diese bereits, teils wird noch intensiv daran gearbeitet.

Wohin die Entwicklung von Suchttherapien im Internet führt, ist für Schaub noch nicht absehbar. Illusorisch sei es, darauf zu hoffen, dass die Therapie im Internet jemals die Wirksamkeit konventioneller Therapien erreichten. Dennoch, so Schaub, habe die Suchttherapie im Internet angesichts der laufenden Fortschritte in der Kommunikationstechnologie noch ein grosses Entwicklungspotential.