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Krieg und Massenmedien

«Es gab keine Helden mehr»

Der Erste Weltkrieg war nicht nur ein Krieg der Waffen, sondern auch der Worte und Bilder. Mit den medialen Aspekten des Ersten Weltkrieges beschäftigte sich kürzlich eine Tagung des Nationalen Forschungsschwerpunktes «Mediality». Karl Wagner, Professor für Neuere deutsche Literatur an der UZH und Mitorganisator der Tagung, zieht im Interview ein Resümee.
Flurina Hefti

Zerstobene Träume von Kriegsheldentum: Deutscher Soldat an der Westfront 1916.

Herr Wagner, welche Rolle spielten die Medien im Ersten Weltkrieg?

Die Medien wurden hauptsächlich zur Kriegspropaganda genutzt. Schon im Krimkrieg (1853 – 1856) druckten Zeitungen und Zeitschriften gewaltverherrlichende Bilder und nutzten vor allem das neue Medium der Fotografie. Im Ersten Weltkrieg wurde die Fotografie noch zentraler, die Präsenz der Bilder wuchs. Medien und Propaganda gingen eine unheilvolle Allianz ein, in der die Zensur einen wichtigen Platz einnahm. Eine Mediengeschichte muss an dieses Manko erinnern.

Gab es auch oppositionelle Positionen?

Die zweifellos wichtigste kritische Stimme um 1914 war der österreichische Schriftsteller und Publizist Karl Kraus. Er unterstellte den Medien, Fiktion herzustellen, statt das Geschehene zu dokumentieren. Eine schärfere Kritik am Medium der Presse als bei Kraus kann man sich nicht vorstellen.

Er war ein grosser Stratege: In seiner Satirezeitschrift «Die Fackel» verwendete Kraus zum Beispiel Ausschnitte aus kriegspropagandistischen Zeitungen, indem er diese wörtlich übernahm. Groteskerweise wurden diese jedoch zensuriert: Von offiziellen Stellen veröffentlichte Äusserungen mussten nun entfernt werden. Denn der neue, satirische Kontext entblösste das Absurde der ursprünglich propagandistischen Bedeutung dieser Textstellen. Mit dieser Zitat- und Collagetechnik entlarvte Karl Kraus den Krieg in seiner ganzen Grausamkeit und Absurdität.

«Nicht nur die Literatur, auch die Wissenschaften müssen zur Verantwortung gezogen werden.» Karl Wagner, Professor für Neuere deutsche Literatur an der UZH.

Wie steht es sonst um die Literatur dieser Zeit? Blieb sie resistent gegen die Kriegspropaganda?

Man muss leider zugeben, dass das angeblich langsame Medium der Literatur gerade nicht zur Reflexion der zeitgenössischen Vorgänge drängte, sondern mehrheitlich dieselbe Position wie die schnelleren Medien einnahm. Es gab zwar einige, die 1914 nicht freiwillig «Hurra!» geschrieben haben. Autoren wie Jozef Wittlin, Jaroslav Hašek zum Beispiel oder Alfred Polgar und Joseph Roth. Aber das waren nicht viele.

Die Literatur versagte also kläglich im Ersten Weltkrieg.

Nicht nur die Literatur, auch die Wissenschaften müssen zur Verantwortung gezogen werden. Meine eigene Disziplin etwa, die Germanistik, aber auch die Geschichts- und Kulturwissenschaften haben sich vor den Kriegspropaganda-Karren spannen lassen und eine sehr trübe Rolle gespielt. In der Art und Weise, wie der Erste Weltkrieg in den zwanziger Jahren thematisiert wurde, liegt eine der Wurzeln der Katastrophe des Nationalsozialismus. Das ist ein Thema, das nicht ruht.

Die Vereinnahmung der Medien zum Zweck der Kriegspropaganda funktionierte also. Doch daneben gab es ja die Realität des Krieges – und die sah völlig anders aus.

Absolut. Der Erste Weltkrieg stellt eine Zäsur dar.Die neue Waffentechnologie war so effizient grausam, dass sie alle romantischen Heldenideale zerstörte.

Es gab keine Helden mehr, nur noch namenlose tote Soldaten. Zugleich demontierte der Krieg die Vorstellung eines Führers, eines grossen Mannes, der in den Schlachten den Überblick behielt und zum Sieg führen konnte. Geschichte ist seither nicht mehr als das Resultat des Wirkens überragender Einzelner denkbar. Umso mehr musste diese Vorstellung in den Medien aufrechterhalten werden.

Der «grosse Mann», von dem hier die Rede ist, ist Teil Ihres Forschungsprojekts. Was hat es mit dieser Figur auf sich?

Der «grosse Mann» ist zunächst ein historisches Phänomen. Man denke etwa an Männer wie Alexander den Grossen, die quasi im Alleingang Geschichte geschrieben haben. Erst gegen Ende des 18 Jahrhunderts entstand in Politik, Philosophie und Literatur ein Diskurs über «grosse Männer». Entzündet hat er sich vor allem in Frankreich an der Karriere von Napoleon, der es vom kleinen Soldaten zum grossen Heerführer geschafft hat.

Napoleon war das Paradebeispiel des «grossen Mannes». In ihm kamen sowohl eine Souveränität, die sich im Überblick zeigt, als auch die Macht des Einzelnen über die grosse Masse zusammen. Lange noch nach seinem Sturz hielten Medien wie Literatur Napoleons Ruhm am Leben. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts verblasste die Wirkung seiner Aura. Das Konzept «grosser Mann» war schal geworden.

Die Vorstellung von der Macht des «grossen Mannes» erfuhr also schon vor der Zäsur des Ersten Weltkriegs eine Umformung?

Ja. Das mit dem Heldentum verbundene Konzept des «grossen Mannes» war bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Niedergang begriffen. Tolstoi etwa stellt in «Krieg und Frieden» die Unübersichtlichkeit und Zufälligkeit des Schlachtgeschehens dar und zeigt, dass die Vorstellung vom «grossen Mann» eine Chimäre ist.

Aber verschwunden ist das Phantasma vom «grossen Mann» doch nie ganz?

Die Demobilisierung bei Kriegsende brachte viele paramilitärische Organisationen hervor, in denen das Phantasma vom «grossen Mann» wieder eine Rolle spielte. Gleichzeitig fand nach 1918 eine Übertragung des Konzepts in den Bereich der neu erwachenden Wirtschaft statt. Auf der Suche nach Wirtschaftsführern erhoben sich Diskussionen darüber, welcher Art ein solcher Führer zu sein hatte. Die Sehnsucht nach dem «grossen Mann» verschwand nie. Sie war letztlich auch der Nährboden, auf dem neue «grosse Männer» gedeihen konnten: Mussolini und Hitler.

Die Tagung «Medien im Krieg – Krieg in den Medien» war die Abschiedsveranstaltung Ihres Projekts innerhalb des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) «Mediality». Haben Sie an der Tagung neue Erkenntnisse gewonnen?

Mir wurde während der Tagung bewusst, dass wir zwar alle etwas von Mussolini wissen, die Figur dieses «grossen Mannes» in der Literatur der Zwanzigerjahre jedoch noch viel zu wenig untersucht worden ist. Die Tagung hat verdeutlicht, dass wir stärker in diese Richtung forschen müssen. Zudem bestätigte sich, dass das Thema «Medien und Krieg» nicht nationalliterarisch angegangen werden kann, sondern eines komparatistischen interdisziplinären Zugangs bedarf.