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Personalisierte Medizin

«Es darf keinen Zwang zur Genanalyse geben»

Die personalisierte Medizin ermöglicht individualisierte Behandlungen bei Krankheiten wie zum Beispiel Krebs. Und eröffnet damit der Medizin ganz neue Perspektiven. Sie wirft jedoch auch rechtliche Fragen auf. Rechtsprofessorin Brigitte Tag äussert sich dazu im Interview.
Marita Fuchs

«Es muss geregelt werden, was mit den Daten passiert.» Brigitte Tag, Rechtsprofessorin an der Universität Zürich.

Frau Tag, mit der personalisierten Medizin werden im Moment grosse Hoffnungen verknüpft. Sie verspricht die individuell zugeschnittene Behandlung von Patientinnen und Patienten.

Brigitte Tag: Die Grundidee der personalisierten Medizin basiert auf der Analyse des Genoms. Diese genetischen Untersuchungen zeigen, ob und wie ein Patient auf einen Wirkstoff anspricht. Erst wenn sich die geeigneten Biomarker im Erbgut oder Tumorgewebe eines Patienten finden, wird ihm das eine oder andere Präparat verordnet.

Man muss allerdings relativieren. Ich halte schon allein den Begriff «personalisierte Medizin» für etwas irreführend. Er weckt die Erwartung, es würde nun im Kontrast zu dem von vielen als kalt und anonym empfundenen Medizinbetrieb endlich der Patient in seiner Gesamtheit in den Vordergrund gerückt. Dabei versuchten Mediziner immer schon den Patienten als Ganzes zu sehen. Durch die so genannte personalisierte Medizin bekommen Mediziner lediglich neue genetische Informationen. Ich würde deshalb eher von genomisierter als von personalisierter  Medizin sprechen.

Ist diese genomisierte Medizin auch bereits ein Thema in den Rechtswissenschaften?

In den Rechtswissenschaften ist das Thema noch nicht intensiv behandelt worden. In der Schweiz gibt es erst wenige juristische Abhandlungen dazu. Die momentan geltende gesetzliche Grundlage für den Umgang mit genetischen Daten bildet das 2004 verabschiedete «Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen». Es legt fest, unter welchen Bedingungen genetische Untersuchungen beim Menschen durchgeführt werden dürfen.

Im Gesetz enthalten ist das Recht auf Nichtwissen und die Richtlinie, dass genetische Untersuchungen nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn sie einem medizinischen Zweck dienen und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gewahrt wird. Untersuchungen sind also nur zum Schutz der Gesundheit möglich oder bei Verdacht auf schwere Erbkrankheiten. Unter Umständen muss man aufgrund der neuen Entwicklungen in der Medizin das Gesetz anpassen.

Ist es also in der Schweiz gar nicht möglich, aus reinem persönlichem Interesse das Genom analysieren zu lassen?

Nein. Und doch wären im Sinne einer präventiven Gesundheitsvorsorge solche Analysen durchaus zu befürworten. Bevor dies möglich wird, müssen aber gesetzliche Grundlagen geschaffen werden. Zum einen muss geregelt werden, wer die unbedingt notwendige Beratung übernimmt. Stellt sich nämlich heraus, dass eine Disposition für eine schwere Krankheit da ist, muss die betroffene Person bereits im Vorfeld beraten werden. Ausserdem sollte eine Person, die ihr Genom analysieren lässt, mündig oder zumindest urteilsfähig sein.  

Zudem muss geregelt werden, was mit den Daten passiert. Die Forschung ist natürlich an diesen Daten sehr interessiert. Leider regelt das Humanforschungsgesetz nicht genau, wie mit Biodatenbanken umgegangen werden soll. Meiner Ansicht nach reicht es nicht, wenn man diese Frage an den Bundesrat delegiert, der dann eine Verordnung erlässt. Das Bundesgesetz muss die wichtigen Grundsätze für den Umgang mit diesen heiklen Daten selbst regeln.

Reicht es denn, nationales Recht zu ändern? Jedermann kann doch Speichelproben zu einem Anbieter in Amerika schicken und seine DNA analysieren lassen.

Wir haben ein nationales Recht. Was in einem anderen Land mit den Daten passiert, darauf haben wir juristisch kaum Einfluss. Jemand, der sein Genom von einer Firma im Ausland analysieren lässt, weiss nicht genau, was mit den Daten passiert. Auch wenn diese Firmen vollständige Anonymisierung versprechen, wird sie nicht unbedingt gewährleistet. Zudem muss man wissen, dass für die amerikanischen Firmen die Daten sehr wertvoll sind, sie können sie, ohne die Beteiligten zu informieren, teuer weiterverkaufen, zum Beispiel an Pharmafirmen.

Ich nehme den Datenschutz sehr ernst und würde persönlich erst dann mein Genom analysieren lassen, wenn ich weiss, was mit den Daten passiert. Das aber kann nur unser nationales Recht gewährleisten. Es mag sein, dass anderen Menschen das eher egal ist, man denke nur daran, wie viele Menschen ihre persönlichsten Dinge in Facebook verbreiten.

Es ist ja theoretisch auch möglich, die DNA von anderen Personen analysieren zu lassen, ohne sie zu fragen.

Theoretisch ist auch das möglich. Ich weiss jedoch nicht, wie sich die amerikanischen Firmen hier rechtlich absichern.

Welche Rolle spielen die Krankenversicherer? Sollten sie in Zukunft die personalisierten Daten ihrer Mitglieder einsehen dürfen?

Zunächst einmal: Es darf keinerlei Zwang zur Genanalyse geben. Und jeder, der sein Genom analysieren lässt, sollte wissen, worauf er sich einlässt. Denn die genetischen Analysen haben ja immer auch Auswirkungen auf verwandte Personen. Hat jemand eine genetische Disposition für eine bestimmte Krankheit, sind grundsätzlich auch seine Kinder oder andere Verwandte betroffen.

Das Persönlichkeitsrecht sollte die Einsichtnahme der Grundversicherer in die persönlichen Daten verhindern. Anders sieht es bei den Zusatzversicherungen aus. Hier sind viele Fragen offen. Die Krankenversicherungen können bei einer Zusatzversicherung die Aufnahme eines Antragsstellers aufgrund einer Vorerkrankung ablehnen. Das ist heute schon so. Zur Zeit wird darüber diskutiert, ob Versicherte beim Antrag auf eine Zusatzversicherung ihre genetische Disposition für eine bestimmte Krankheit angeben müssen.

Rechtlich ebenfalls noch ungeklärt ist, ob es sich um eine Täuschung handelt, wenn jemand in Amerika seine Daten hat analysieren lassen und beim Antrag auf eine Zusatzversicherung seine Ergebnisse der Versicherung nicht mitgeteilt hat.

Wer sollte denn die Daten in Zukunft nutzen können?

In anonymisierter Form sollten die Daten von Wissenschaft und Forschung, speziell von der Epidemiologie genutzt werden dürfen. Zur Einschätzung des Gesundheitszustandes der Schweizer Bevölkerung sind die Daten wichtig und notwendig.