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MNF-Informationstag, Samstag, 12. März

Umwerfende Energie

Sandra Steiner hält am Informationstag der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät das Hauptreferat. Die 26-jährige Doktorandin in Biochemie ist eine vielseitige Kämpfernatur. Im Boxring hat sie im ganzen Land keine Gegnerin. Und auch im Beruf ist sie ambitiös. Hauptsache, es wird ihr nicht langweilig.
Claudio Zemp

Die gelben Turnschuhe sind ein Signal: Diese junge Dame hat Mut und Stil. Sandra Steiner ist eine der besten Boxerinnen der Schweiz. Und sie doktoriert in Biochemie an der Universität Zürich. Eigentlich habe aber das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun, sagt die schlagfertige Zürcherin: «Jeder macht halt das, was er gut kann und was er gern macht.»

Sandra Steiner (links) in Aktion: «Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Nase bricht. Und das ist
nicht so tragisch.»

Tägliches Training

Als dreifache Schweizer Meisterin im Federgewicht braucht die 26-jährige in der Schweiz keine Gegnerinnen mehr zu fürchten. So reist sie an internationale Turniere im Ausland, um weiterzukommen. Stillstand gibt es für Sandra Steiner nicht. Zum Boxen kam sie aber eher zufällig, und zwar erst vor fünf Jahren. Ihr erstes Sportlerleben mit  täglichem Tennis hatte Steiner nach der Matura aufgegeben. Als sie aber ihr Mathematikstudium begann, fehlte ihr die Portion Bewegung, das abendliche Training: «Mir war totlangweilig.» So schnupperte Steiner im Boxclub Zürich und begann schon bald mit vollem Einsatz zu trainieren. Nach einem Jahr folgte der erste Kampf. Mittlerweile sind es mehr als dreissig und einige Titel.

Aufgestellt und neugierig

K. o. ging Sandra übrigens noch nie. Der Niederschlag ist im olympischen Amateurboxen sowieso nicht das Ziel eines Kampfes. Und auf den Kopf gefallen ist sie schon gar nicht. Die Mathematikerin lebte ihren Ehrgeiz auch im Studium aus und glänzte mit der Abschlussnote von 5,9. «Ich bin überall ein kompetitiver Mensch. Aber ich bin froh, dass ich beim Boxen schon viel von dieser Energie verbrauchen kann.» Gute Noten seien im Mathe-Master aber nichts Aussergewöhnliches, sagt sie bescheiden: «Man ist dort spezialisiert, wo es einem gefällt, und muss wenige Dinge machen, für die man nicht begabt ist.»

Sandra Steiner als Doktorandin an der Universität Zürich: «Es ist ja nicht so, dass man jetzt unbedingt einen Doktortitel haben
muss.»

Trotzdem hatte sie keine Lust mehr auf noch mal fünf Jahre Kryptografie. Sie hatte die Chance, in einem Fach zu doktorieren, von dem sie wenig Ahnung hatte. In der Biochemie nochmals von vorne anzufangen, reizte sie besonders: «Ich finde es cool, immer wieder etwas ganz Neues zu lernen.» So sehr Steiner den Sport als klassenlose Zone schätzt, so wichtig sind ihr die intellektuellen Herausforderungen im Leben. In ihrer Freizeit liest sie Unmengen, interessiert sich auch für Politik: «Man kann den Geist nicht einfach so schlafen lassen, muss sich auch mental herausfordern.»

Den Olymp im Blick

Im Boxring muss man auch einstecken können. Sandra «stony» Steiner zahlte letztes Jahr bei ihrer ersten WM Lehrgeld. Für das olympische Turnier in London 2012 macht sie sich keine Hoffnungen. Eine Qualifikation ist aussichtslos, da in ihrem Gewicht gar nicht geboxt wird. Zu gross wäre das Gedränge in den wenigen programmierten Gewichtsklassen. Falls aber in Rio 2016 ihre Gewichtsklasse dabei ist, dann wäre das schon ein Ziel für Steiner: «Ich möchte international schauen, was noch drin liegt.»

Und wie verträgt sich das Boxen mit dem Denken? Die Risiken für die Gesundheit hält Sandra Steiner nicht für gravierend. Im Ring tragen die Boxerinnen Helme, und zudem zählten bei Amateurkämpfen im Gegensatz zum Profiboxen nicht nur die harten Schläge. Im Vergleich zu Hockey, Fussball oder Skifahren gebe es im Boxen viel weniger schlimme Verletzungen, sagt Steiner: «Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Nase bricht. Und das ist nicht so tragisch.»

Sandra Steiner während des Boxtrainings: «Boxen ist dynamisch, hart und braucht viel Disziplin.»

Komplizierte Simulationen

Frauenboxkämpfe gehen über 4 Runden à 2 Minuten. Der Weg zum Doktortitel in Biochemie ist mit 4 mal 2 Semester deutlich länger. So hatte Steiner zu Beginn auch Zweifel, ob sie die Dissertation wirklich durchziehen würde: «Es ist ja nicht so, dass man jetzt unbedingt einen Doktortitel haben muss.» Aber da ihr die Arbeit gefällt, sind die Zweifel verflogen. Ans Aufgeben denkt sie nicht mehr. Steiners Thema ist das Protein «PDZ 3». Sie beschäftigt sich in der Forschungsgruppe von Professor Caflisch mit der Analyse von atomistischen Prozessen der Proteindynamik. Diese werden am Computer simuliert. Im Gegensatz zu ihrem Hobby geht es im Labor um mikroskopische «Action».

Klischees und Rollen

Die Strapazen im Sport sind direkter zu spüren. «Manchmal frage ich mich schon: Wieso tue ich mir das an?!» Steiner erzählt packend und bildhaft von der Begegnung mit milchgesichtigen Monstern in der Garderobe und von der archaischen Angst angesichts der immensen Oberarme einer Gegnerin. «Aber im Ring fällt das sofort weg, dann will man kämpfen und sich wehren.»

Dass Steiner sich mit Boxen und Biochemie gleich zwei Männerdomänen ausgesucht hat, sei purer Zufall. Zudem sei der Frauenanteil in Realität gar nicht so tief, sagt sie: «Zum Teil sind diese Klischees nur noch in den Köpfen der Leute.» Im Fach Mathematik am Irchel etwa sei die Geschlechterquote unter den Studierenden schon seit Jahren ausgeglichen. Bis dieser auch bei den Professoren fünfzig Prozent betrage, müsse man sich halt etwas gedulden.


Campus-Engagement als Chance

Überall im Gebäude hängt ihr Foto auf Plakaten. Sandra Steiner kokettiert mit der Aufmerksamkeit, die sie jetzt als Hauptrednerin bekommt: «Ich kann hier fast nicht mehr rumlaufen, muss mir glaub die Haare färben.» Dabei kennt sie sowieso schon die halbe Fakultät. Nicht nur im Ring ist sie eine aktive Person. Als Studentin engagierte sich Steiner im StuRa und in der Fakultät. Dies werde sie auch den Schülerinnen am Informationstag empfehlen: «Lieber ein Jahr länger studieren, aber richtig da sein.» Viel zu viele Studierende würden sich nur auf das Fachwissen konzentrieren und die vielen Möglichkeiten übersehen, welche die Universität neben dem Studium bietet.

«Extrem dynamisch und hart»

Wissenschaft und Boxen scheinen Welten auseinander. Doch Erfolg wird einem weder im einen Fall noch im anderen geschenkt. So ist die Boxerin gezwungen, entgegen ihrem Naturell auf die Ernährung und das Gewicht zu achten. Ein leidiges Thema, sagt Steiner: «Ich bin ein Mensch, der gerne isst.» Eine kurze Trainingspause über Weihnachten bedeutet im Nu einen Aufstieg um zwei Gewichtsklassen. Um das wieder wegzutrainieren, kann sie ihre unbändige Energie gut gebrauchen. Doch ihr Kampf mit dem Gewicht hat nichts mit Eitelkeit zu tun. So gehört es zu den Begleiterscheinungen ihrer Wochenendaktivitäten im Ring, dass Steiner ab und zu mit blauen Flecken im Gesicht zur Arbeit erscheint. Das nimmt sie in Kauf: «Boxen ist ein wahnsinnig cooler Sport, extrem dynamisch und hart.» Treffender könnte man es nicht sagen.