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Abschiedsvorlesung von Hans Weder

Über Gott und die Wissenschaft

Hans Weder, Theologieprofessor und ehemaliger Rektor der UZH, hielt am Donnerstag seine Abschiedsvorlesung. Sie handelte vom Platz der Theologie im Haus der Wissenschaften und davon, was andere Wissenschaften von der Theologie lernen können.
David Werner

Die Stellung der Theologie unter den Wissenschaften ist keine einfache und nicht immer unumstritten. Manche Kritiker bezeichnen sie als eine Pseudowissenschaft, die keinen unmittelbaren Realitätsbezug habe. «Es wäre aber unklug und unwissenschaftlich, mit dem Nachdenken über Gott aufzuhören», sagte Hans Weder in seiner Abschiedsvorlesung, «allein schon wegen der Tatsache, dass auch gegenwärtig mehrere Milliarden Menschen auf diesem Planeten vom Wort ‚Gott’ Gebrauch machen.»

«Die Theologie droht entweder ihren Gegenstand – nämlich Gott – zu verlieren, oder aber ihr Hausrecht in der Wissenschaft.» Hans Weder, Theologieprofessor und ehemaliger Rektor der UZH.

Viele der grossen Universitäten Europas sind aus theologischen Einrichtungen hervorgegangen, nicht zuletzt auch die Universität Zürich.  Ausserdem waren Theologen wesentlich an der Modernisierung der Wissenschaften seit der Aufklärung beteiligt, etwa an der Entwicklung der philologischen und historischen Methoden und der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik. Trotzdem, stellt Weder fest, steht die Theologie innerhalb des Hauses der Wissenschaften vor einem Dilemma, da sie nicht die Welt, sondern die Rätsel Gottes erforscht. «Die Theologie droht entweder ihren Gegenstand – nämlich Gott – zu verlieren, oder aber ihr Hausrecht in der Wissenschaft.»

Die Frage nach Gott wach halten

Hans Weders Abschiedsrede war ein grosses Plädoyer für eine Theologie, die diesem Dilemma offen ins Auge sieht, statt die Frage nach Gott ganz ad acta zu legen und Religion nur noch aus philologischer, historischer, soziologischer oder kulturvergleichender Perspektive zu betrachten. «Die Theologie muss neben dem Rätsel der menschlichen Worte über Gott, der menschlichen oder allzumenschlichen Gottesbilder, der menschlichen Ahnungen vom Göttlichen, sie muss neben all dem die Frage nach Gott wach halten», sagte Weder. Es gelte zu respektieren, dass Religion, wo sie sich ernst nimmt, auf absolute Wahrheit aus sei. Eine Perspektive, welche Religion nur kulturhistorisch betrachte, könne diesem absoluten Wahrheitsanspruch nicht gerecht werden und biete daher keinen Ersatz für theologische Reflexion.

Theologie in Bedrängnis

Weder berief sich in seinen Ausführungen auf den grossen Theologen Rudolf Bultmann (1884-1976). Ihm war auch das Symposium gewidmet, in dessen Rahmen Weder seine Abschiedsvorlesung hielt. Bultmann war ein Kritiker der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts, die sich ganz einem positivistischen Wissenschaftsverständnis unterworfen hatte.

Konzentriertes Publikum: Hans Weder hielt seine Abschiedsvorlesung im Rahmen eines Symposiums zu Rudolf Bultmann am Theologischen Seminar der UZH.

Mit Bultmann sprach Weder einer Theologie das Wort, welche nicht auf eine Beschäftigung mit Gott verzichtet. Weder legte dar, warum seiner Meinung nach gerade eine Theologie, welche sich dem Spannungsverhältnis von Wissenschaftlichkeit und Gottesbezug aussetze, für die anderen Wissenschaften eine Bereicherung sei.

Die Schwierigkeiten, die sich die Theologie dabei einhandelt, verschwieg er dabei nicht. Wie zum Beispiel kann man innerhalb einer wissenschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit, in der ein lückenloses Kontinuum von Ursachen und Wirkungen, von Bedingungen und Folgen besteht, von einem Ereignis wie der Auferstehung Jesu sinnvoll reden?

Weder sieht solche Schwierigkeiten positiv: «Vielleicht tut es der Theologie gut, in dieser Bedrängnis zu existieren. Vielleicht ist das eine aussichtsreiche Bedrängnis, welche die Theologie nachdenklicher macht. Und vielleicht wäre die Bedrängnis, welche die Theologie erfährt, sogar lehrreich für die andern Wissenschaften.»

Provokation des Zufalls

Die Theologie hat einen anderen Gegenstand als andere Wissenschaften. Wo diese das Allgemeingültige, Regelhafte suchen und allgemein verfügbare, jederzeit überprüfbare Erkenntnisse liefern, da beschäftigt sich die Theologie mit dem Einzelfall, dem Ausnahmefall, dem Zufall. «Der Zufall ist eine der grössten Provokationen der Wissenschaft, weil er sich dem theoretischen Zugriff widersetzt», sagte Weder. Stoff der Theologie ist, was der Glaube zu denken gibt: Das sind unverfügbare Ereignisse, die sich «im Augenblick einstellten und an ihn gebunden bleiben».

So gesehen handle Theologie nicht von dem, was der Fall ist, sondern vom kreativen Potential, welches «das Wirkliche in jedem Augenblick verwandeln kann». Sie zeige damit, dass die Welt mehr ist als das, was in wissenschaftlichen und philosophischen Erklärungen sichtbar wird. «Theologie spricht vom Menschen so, dass er nicht auf das reduziert wird, was er in der Welt ist oder aus sich machen kann. Sie spricht von Phänomenen der Welt so, dass diese zum Bild für das Mögliche werden.»

Stille Kraft des Möglichen

Die Theologie, so zitierte Weder seinen Kollegen Ingolf Dalferth, Professor für Theologie und Direktor des Instituts für Hermeneutik und Religionsphilosophie an der UZH, sei eine «Möglichkeitswissenschaft». Sie verstehe alles «im Licht der stillen Kraft des Möglichen. Sie spricht von keiner anderen Welt als dieser, sondern von dieser Welt anders».

Eine so verstandene Theologie könne, ohne die wissenschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit zu verletzen, ein heilsames Korrektiv sein zum verfügenden, besitzergreifenden Charakter wissenschaftlicher Erkenntnis, sagte Weder. Und mit Nachdruck hielt er fest: Die theologischen Methoden des Wartens auf das, was die Dinge von sich aus zu verstehen geben, könnten auch andere Wissenschaften bereichern.