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Ethik

Vom gerechten Umgang mit dem Klimawandel

Eine Generation ist moralisch verpflichtet, der zukünftigen eine intakte Umwelt zu hinterlassen - die ethische Begründung dazu liefert der Ökonom und Philosoph Dominic Roser.
Brigitte Blöchlinger

«Im Moment ist die Beschäftigung mit dem Klimawandel sehr angesagt», sagt Dominic Roser, studierter Volkswirtschaftler und Philosoph. Nach dem Lizentiat begann er für seine Doktorarbeit zuerst in Bern den Klimawandel unter ökonomischem Gesichtspunkt zu untersuchen. Doch dazu gab es schon einige Studien, merkte er bald.

Die Industrienationen sollten ihren Ausstoss an CO2 zugunsten der weniger industrialisierten Länder zurückfahren, sagt der Ökonom und Philosoph Dominic Roser.

Wozu es noch wenig Forschung gab, ist der ethische Aspekt des Klimawandels. Roser wechselte deshalb den Fokus seiner Dissertation auf Gerechtigkeitsfragen. «Der Klimaschutz bringt vor allem unseren Kindern und Kindeskindern etwas, deshalb ist er nicht nur ein ökonomisches Problem, sondern auch ein moralisches», sagt Roser.

Umweltökonomie und Ethik

Rosers Dissertation verbindet die Ökonomie mit der Ethik. Seit 2007 gehört Roser deshalb dem 15-köpfigen Graduiertenprogramm für interdisziplinäre Ethikforschung an der Universität Zürich an. Sein erster Doktorvater ist Prof. Alexander Wagner vom Swiss Banking Institute der Universität Zürich, der zu Umweltökonomie lehrt und forscht, und sein Zweitbetreuer ist Prof. Lukas Meyer von der Universität Bern, der den Schwerpunkt Ethik verfolgt. Das Projekt ist ganz auf Interdisziplinarität ausgerichtet und in den Universitären Forschungsschwerpunkt Ethik an der UZH eingebettet.

Vom richtigen Umgang mit Wahrscheinlichkeiten

Dem Hauptfach-Ökonomen Roser ist aufgefallen, dass die Ethik nicht so standardisierte Methoden zur Verfügung hat wie die Wirtschaftswissenschaft. «Vor allem im Umgang mit Wahrscheinlichkeiten bietet die Ökonomie gute Hilfsmittel zur Beurteilung ethischer Probleme», sagt Roser.

Angewandt auf den Klimawandel gilt es vor allem kleine Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen. Die möglichen Szenarien sehen so aus: Ändern wir nichts an unserem Verhalten, wird der Klimawandel mit grosser Wahrscheinlichkeit sehr ernsthafte Schäden bringen. Mit kleiner Wahrscheinlichkeit wird er katastrophale Schäden bringen, und ebenfalls mit kleiner Wahrscheinlichkeit wird er keine Schäden bringen (oder sogar Vorteile).

Die weltweite Klimaerwärmung wird laut UNO-Klimagremium IPPC in den nächsten hundert Jahren zwischen 1,1 und 6,4 Grad betragen.

Was schliesst man nun korrekt aus diesen möglichen Szenarien? Dass man die sehr kleine Wahrscheinlichkeit, dass ein katastrophaler Schaden eintrifft, nicht für nichtig erklärt, sondern als ernsthaftes Problem betrachtet. Ein ebenso ernsthaftes Problem stellt die kleine Wahrscheinlichkeit, dass es ernsthafte Schäden geben wird, dar.

Klimaschutz als Versicherung

Sehr klein multipliziert mit sehr gross ist in der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht gleich Null. Um als heutige Generation unsere Pflichten gegenüber der zukünftigen zu erfüllen, haben wir vor allem dafür zu sorgen, dass auch die weniger wahrscheinlichen Worst Cases nicht eintreten. Klimaschutz hat insofern wie eine Versicherung zu funktionieren.

Rosers These lautet: Die zukünftigen Generationen haben zumindest das Recht, so viel Umwelt- und Wirtschaftsressourcen überliefert zu bekommen, dass sie ein angemessenes Leben führen können. Dazu gehören drei weitere zentrale Fragen: Wie gestaltet man die Beziehung zwischen Mensch und Natur gerecht? Wie gestaltet man die Beziehung zwischen Gegenwart und Zukunft gerecht? Wie gestaltet man die Beziehung zwischen Nord und Süd gerecht?

Ungerechtes Nord-Süd-Gefälle

Die letzte Frage ist die drängendste für Roser. Ein wichtiger Aspekt dieser Frage ist die gerechte Anfangsverteilung von Emissionsrechten (v.a. CO2) unter den verschiedenen Ländern. Für sich industrialisierende Länder wie Indien ist das besonders relevant: Wenn Indien nämlich beispielsweise dazu verpflichtet wäre, die Emissionen um 30 Prozent zu senken, dann bedeutete das gleichzeitig eine Zunahme der Armut um 17 Prozent.

Indem die Politik den CO2-Ausstoss beschränkte, hat man ein limitiertes und damit enorm wertvolles Gut kreiert, dessen gerechte Anfangsverteilung ethisch gesehen sehr wichtig und gleichzeitig sehr schwierig ist: Sollen die industrialisierten Länder, die in den letzten hundertfünfzig Jahren drei Viertel aller Emissionen ausstiessen (v.a. Europa und Amerika), denjenigen Ländern, die wenig ausstiessen und sich jetzt industrialisieren wollen (z.B. Afrika), in Zukunft die Mehrheit der Emissionen überlassen und sich auf ein Minimum beschränken? Oder sollen alle Länder gleich viel zurückfahren müssen, z.B. 10 Prozent – dann würden die Industrieländer immer noch viel mehr ausstossen als Entwicklungsländer.

Vor allem in grossen Städten leidet die Bevölkerung schon heute unter der Umweltverschmutzung. Wie sich diese in Zukunft entwickeln wird, ist nicht mit Sicherheit vorherzusagen. Im Bild: Peking im Smog, 2008.

Roser findet, die historische Dimension müsse in dieser Frage eine Rolle spielen, und die Industrienationen sollten ihren CO2-Ausstoss zugunsten der weniger industrialisierten Länder zurückfahren.

Emissionshandel wenig erforscht

Schon heute können die Länder untereinander mit ihren Emissionsanteilen handeln. Das ist vielen Menschen suspekt. Sie empfinden es als «Ablasshandel». Roser hingegen findet es «sehr schwierig, herauszuschälen, was daran moralisch suspekt sein soll». Roser ist überzeugt: Der Emissionshandel macht den Klimaschutz billiger und einfacher umsetzbar.

Er verstehe, dass es Güter gebe, für die zu bezahlen die Menschen unmoralisch finden. Beziehungen gehören dazu, Blutspenden oder Sexualität. Nach Ansicht von Roser gehört der CO2-Ausstoss als Begleiterscheinung der Industrialisierung jedoch nicht zu diesen moralischen Tabus, mit denen nicht gehandelt werden sollte, solange die Anfangsverteilung der Emissionen gerecht ist.

Das Kyoto-Protokoll hat aus Sicht der Gerechtigkeit nicht viel gebracht. Im Jahr 2012, wenn das Kyoto-Protokoll ausläuft, erhalten die Industrieländer eine zweite Chance, die Ausgangssituation gerechter zu gestalten. Die Chancen, dass die USA mit dem weltweit grössten CO2-Ausstoss dann beim Kyoto-Protokoll mitmachen, stehen seit der Wahl Barack Obamas gut und würden eine gerechtere Anfangsverteilung näher rücken.

Zukunftsprobleme sind unsicherheitsbehaftet

Wer sich ethisch mit dem Klimawandel auseinandersetzt, hat es mit Zukunftsfragen und somit mit Unsicherheiten zu tun. So ist es unklar, wie der durchschnittliche Lebensstandard im Jahr 2050 aussehen wird. Wir wissen auch nicht sicher, welche Werte und Güter die Menschen dann schätzen und welche ihnen gleichgültig geworden sind und was sie ethisch ablehnen. Unklar ist ausserdem, wie das Klima aussehen wird – zwischen 1,1 und 6,4 Grad Erwärmung ist laut UNO-Klimagremium IPPC in den nächsten hundert Jahren alles möglich.

Ein Problem stellt auch das Unrechtsbewusstsein früherer Generationen dar: Bis mindestens in die 1970er Jahre waren sich die Generationen in den Industrienationen nicht bewusst, dass sie mit dem CO2-Ausstoss das Klima erwärmten. Der Zusammenhang war unseren Grosseltern und Urgrosseltern noch nicht klar. Deswegen ist es auch schwierig, sie dafür zur Verantwortung zu ziehen.

Bis mindestens in die 1970er Jahre waren sich die Generationen in den Industrienationen nicht bewusst, dass sie mit dem CO2-Ausstoss das Klima erwärmten – Klimapolitik ist deshalb keine Schuldfrage, sondern eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit. 

Es ist ethisch fragwürdig, die jetzige Generation für ungewollte Fehler früherer Generationen zahlen zu lassen. Des weiteren kommt noch ein spezielles und vertracktes Problem der theoretischen Ethik hinzu: Es ist nicht klar, inwiefern vom CO2-Ausstoss unserer Vorfahren gesagt werden kann, dass er jemanden im Jahr 2050 tatsächlich schädigt. Die Industrialisierung unserer Vorfahren und der damit verbundene CO2-Ausstoss hat nämlich nicht nur die Umweltqualität der Zukunft beeinflusst, sondern auch den gesamten Ablauf der Geschichte bis in die kleinsten Details hinein, so nicht zuletzt, was für Menschen sich treffen und miteinander Kinder zeugen werden. Bei der einen Klimapolitik kommt Kind A auf die Welt, bei der anderen Klimapolitik Kind B.

Daraus folgt: Kind A kann im Jahr 2050 nicht behaupten, dass es ihm besser gehen würde, wenn in der Vergangenheit eine andere Klimapolitik verfolgt worden wäre, denn bei einer anderen Klimapolitik würde es gar nicht existieren, sondern Kind B. Somit ist es auch schwierig, zu behaupten, dass von dieser Klimapolitik gesagt werden kann, dass es Kind A geschädigt hat. – Ein komplexes philosophisches Problem (Nichtidentitätsproblem genannt), das die «Schuldfrage» in der Klimapolitik noch schwieriger gestaltet.

… sondern aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit

Doch unabhängig davon, wer Schuld ist und wer nicht, müssen wir heute sagen: Wir in den industrialisierten Ländern haben einen hohen Lebensstandard, profitieren von einem milden Klima und müssen dafür schauen, dass wir ein annehmbares Mass davon erhalten, auch für Länder des Südens, die unter dem Klimawandel wegen ihrer Armut besonders stark leiden werden. Dominic Roser ist überzeugt: «Wir sollten nicht hauptsächlich aus Gründen der Kompensation für vergangene Schuld heraus, sondern vor allem aus Gründen der globalen Verteilungsgerechtigkeit mithelfen, den Klimawandel für arme Regionen nicht zum Desaster werden zu lassen.»