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Tagung zu klinischer Erzählforschung

Erzählend Einblick in die Psyche geben

Diesen Freitag und Samstag findet eine Tagung zu Klinischer Erzählforschung und klinischer Erzählpraxis statt. Ein paar wenige Plätze sind noch frei.
Brigitte Blöchlinger

Wer erzählt, spricht von seinen ureigensten Anliegen. Psychologieprofessorin Brigitte Boothe organisiert zum Thema «Klinische Erzählforschung – Klinische Erzählpraxis» eine Tagung.

Beim Erzählen geben wir einen tiefen Blick in unsere Seelenlandschaft preis. Meist geschieht das ohne viel Aufhebens im Alltag. Erzählungen kommen aber auch in der Psychotherapie vor. Dort können sie von geschulten Therapeutinnen und Therapeuten analysiert werden und so darüber Aufschluss geben, welche Konflikte, Wünsche, Ängste und Abwehrmechanismen das erzählende Ich hat.

Das Thema «Klinische Erzählforschung – Klinische Erzählpraxis», zu dem die Psychologieprofessorin Brigitte Boothe von der Universität Zürich eine Tagung organisiert hat, lässt sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise untersuchen. Der sprachanalytische Zugang, der an der Tagung gut repräsentiert sein wird, ist der vielleicht wichtigste. Andere Aspekte des Erzählens wie das Erzählen von Erinnertem, das Erzählen beim Arztbesuch oder Erzählen und Dichtung sind ebenfalls bedeutsam und kommen an der Tagung zur Sprache. Die Tagungsorganisatorin Brigitte Boothe freut sich denn auch über die grosse Vielfalt der Beiträge der geladenen Referentinnen und Referenten.

Dichtung und Erzählung

Nicht nur gestandene Erzählanalytikerinnen und -analytiker werden an der Tagung sprechen. Auch der akademische Nachwuchs ist gut vertreten, was Brigitte Boothe ebenfalls sehr begrüsst. So wird beispielsweise David Lätsch über «Schreiben als Therapie?» Erkenntnisse aus seiner Lizentiatsarbeit vorstellen. Für seine Forschungsarbeit hat er Interviews mit angehenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern geführt, deren Schreibmotivation er ergründete. Sein Vortrag gehört in den Bereich «Kunstwerk und Erzählung», in dessen Zusammenhang man unter anderem auch etwas zu «Dichtung und Regression – das Blutopfer bei Kleist und seiner Penthesilea» erfahren kann.

Erzählend erinnern – und vergessen

Dem Erzählen von Autobiographischem und dem Lebensrückblick ist ein weiterer Themenblock gewidmet. Darin wird unter anderem der Neurowissenschaftler Hans Markowitsch über stressbedingte Erinnerungsblockaden sprechen, genauer: über falsche Erinnerungen und Erinnerungslücken. Diese spielen beim Erzählen über das eigene Leben eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Ebenfalls eine wichtige Rolle spielen die Eltern in der erzählten Erinnerung, auch dazu gibt es einen Beitrag an der Tagung. Ausserdem dazu, wie Gefühle der Zugehörigkeit, Fremdheit und Identität von Migrantinnen und Migranten erzählend dargestellt werden. Wer seinen Lebensort radikal ändert, wird seine Ängste und Unsicherheiten darüber, wohin er gehört, immer auch in seine Erzählungen einfliessen lassen.

Psychotherapeutisches Erzählen

Der Hauptteil der Tagung behandelt psychotherapeutische Aspekte des Erzählens. Erzählen bedeutet immer auch ein Stück weit Bewältigen. Darüber wird der erste Plenarvortrag der Freiburger Ärztin und Diplompsychologin Gabriele Lucius-Hoene und der letzte Plenarvortrag von Tagungsinitiatorin Brigitte Boothe handeln. Das Entlastende von Erzählungen lässt sich insbesondere in Opfergeschichten erkennen – die verbreitetste Erzählform in der Psychotherapie.

In Opfergeschichten geraten die Erzählenden – unverschuldet! – in eine belastende Situation. Die adäquate Reaktion im Alltag darauf ist Mitgefühl: «Du Arme, du Armer, so schlimm ist es dir ergangen!» In der Psychotherapie wird sich der oder die Therapeutin dieses Mitgefühl versagen. So erhält der Patient beziehungsweise die Patientin die Möglichkeit, selbst das eigene, erzählte Erleben zu hinterfragen – und damit die eigene Autonomie auszubauen.

Traumerfahrung und -erzählung

Das Erzählen von Träumen bildet die älteste Beschäftigung der Psychoanalyse mit dem Erzählen (Sigmund Freud). So darf das Erzählen von Träumen an der Tagung natürlich nicht fehlen. Ein Aspekt davon ist: Wie sich Träume im Laufe einer psychoanalytischen Behandlung verändern, worüber Susanne Döll-Hentschker referieren wird.

Anthropozentrisches Erzählen

Wer erzählt, spricht von seinen ureigensten Anliegen. Er oder sie geht ganz selbstverständlich davon aus, dass das eigene Erleben das Mass aller Dinge ist, und erwartet vom Zuhörenden Zustimmung. Kritische Einwürfe oder objektives Hinterfragen schätzt man als Erzählende gar nicht. Diese selbstverständliche Selbstbezogenheit, die dem Erzählen innewohnt, erlaubt es uns, auch über psychisch schwierige Erfahrungen zu sprechen. Wie vielfältig das ausfallen kann, wird an der Tagung «Klinische Erzählforschung – Klinische Erzählpraxis» zur Sprache kommen.