Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

 

Die Sklaverei wirkt nach

Besteht eine rechtliche Pflicht, das durch die Sklaverei entstandene Unrecht wieder gutzumachen? Rainer Schweizer, Professor für öffentliches Recht an der Universität St. Gallen, widmete sich in einem Gastreferat dieser Frage und ihrer Bedeutung für die Schweiz.
Adrian Ritter

Sklaven zerquetschen Zuckerrohr an einer Mühle in Westindien. Auch  Schweizer waren an der Sklaverei beteiligt, wie die Geschichtsforschung zeigt.  (Darstellung aus der Bibliothek der Familie Zellweger in Trogen)

Dass auch die Schweiz im 18. und 19. Jahrhundert an der Sklaverei beteiligt war, ist schlüssig erwiesen. Private wie halbstaatliche Akteure verdienten damals im internationalen Seehandel mit, nicht zuletzt auf Kosten von Sklaven. So beteiligten sich zum Beispiel Schweizer Kaufleute wie der Basler Christoph Burckhardt oder der damalige Appenzeller Landeshauptmann Johannes Tobler als Reeder oder Geldgeber am Transport von schwarzen Sklaven aus Afrika nach Amerika.

Dass die Beteiligung der Schweiz an der Sklaverei ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist, sei aktuellen historischen Untersuchungen zu verdanken, so Rainer Schweizer. Auch der Bundesrat anerkannte 2003 die Verantwortung der Schweiz in einer Antwort auf eine Interpellation. Die Schweiz sei zwar nie eine Kolonialmacht gewesen, «trotzdem waren verschiedene Schweizer Bürger mehr oder weniger stark am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt, was der Bundesrat aus heutiger Perspektive zutiefst bedauert.»

Forschung unterstützen

Die Sklaverei im internationalen Rahmen müsse deshalb wissenschaftlich beleuchtet werden, doppelte der Bundesrat 2006 nach und stellte entsprechende Unterstützung für die Forschung in Aussicht. Aber genügt das? Oder besteht auch eine Pflicht zur Wiedergutmachung, ähnlich den 1998 vereinbarten Vergleichszahlungen der Schweizer Grossbanken im Hinblick auf das Unrecht im Zweiten Weltkrieg?

«Es ist keine einfache juristische Frage», gab sich Professor Rainer Schweizer am Dienstag bei seinem Gastreferat an der Universität Zürich überzeugt. Es frage sich nämlich, was damals als Unrecht galt. Die Schweiz war im 18. Jahrhundert kein moderner Staat, sondern ein «staatenbündlerisch geprägtes Staatswesen mit einem nur rudimentären gemeinsamen Recht».

Entsprechend waren rechtlich vor allem die jeweiligen örtlichen Vorschriften von Bedeutung. Diese beschäftigten sich allerdings selten mit dem Thema Sklaverei. Eine Ausnahme stellt das Engadin dar, welches den Sklaventransport über seine Pässe verbot.

«Dass sich ein Staat mit seiner Geschichte beschäftigt, ist vor allem auch wichtig, damit sich Unrecht nicht wiederholt», so Referent Prof. Rainer Schweizer.

Völkerrechtliches Subjekt

Klar ist aber für Rainer Schweizer, dass die Schweiz bereits seit Mitte des 17. Jahrhunderts ein völkerrechtliches Subjekt gewesen sei: «Somit war das damalige Völkerrecht auch für die Schweiz gültig und dieses missbilligte die Sklaverei klar.»

Die Französische Erklärung der Menschenrechte habe die Sklaverei ebenso als unzulässig betrachtet wie die Schlussakte des Wiener Kongresses von 1815 und die allgemeine, massgebliche Rechtslehre jener Zeit. Deutlich werde dies nicht zuletzt dadurch, dass Sklaverei zwangsläufig mit Straftaten wie Gefangennahme und oft auch Folter verbunden war.

Verjährung mit Grenzen

Aber ist nicht längst verjährt, was vor 150 oder 200 Jahren geschah? Die Rechtsgrundlage des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag definiert Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sieht dafür keine Verjährungsfristen vor. Dies gilt allerdings nur für Verbrechen, die seit Inkrafttreten dieser Rechtsgrundlage im Jahre 2001 geschehen sind.

Gemäss Rainer Schweizer hat es aber auch im früheren Völkerrecht schon Grenzen der Verjährung gegeben. «Für schwerste Verbrechen wie auch für Ansprüche von Völkern und Staaten aufgrund von Straftaten war schon damals keine Verjährung vorgesehen.»

Traumatisierte Ethnien

Der Referent leitet daraus die Verpflichtung auch der Schweiz ab, sich der Vergangenheit zu stellen und diese aufzuarbeiten. Ähnlich wie Gewalttaten bei Opfern zu psychischen Traumata führen, die zum Teil ein Leben lang nachwirken, sei dies «auch bei Ethnien und ihrer Geschichte» möglich. So seien gewisse Länder durch den Sklavenhandel wirtschaftlich ruiniert worden. Sie dürften deshalb Hilfe erwarten bei der «Überwindung der Nachwirkungen». Dies sei eine Frage der Solidarität mit den Nachkommen.

Schäden ermitteln

Schweizer ist aber auch überzeugt, dass die Schweiz aufgrund des Völkerrechts die Pflicht hat, ihre Geschichte hinsichtlich der Sklaverei zumindest aufzuarbeiten. Ob auch allfällige Leistungen zur Wiedergutmachung angebracht wären, sei schwieriger zu beurteilen. Zuerst müssten Nachwirkungen der Sklaverei durch wirtschaftswissenschaftliche oder soziologische Methoden erfasst werden.

Bei der Diskussion um solche Wiedergutmachungen gehe es im Übrigen nicht darum, dass Nachkommen der damaligen Profiteure und Sklavenhändler zur Kasse gebeten werden. Rainer Schweizer: «Wiedergutmachung ist vorrangig Sache des Staates. Gemäss Völkerrecht umfasst die Verantwortlichkeit von Staaten nämlich auch Straftaten Privater. Staaten können dafür verantwortlich sein, diese nicht verhindert zu haben.»

Kontinuität des Unrechts

Dass sich ein Staat mit seiner Geschichte beschäftigt, sei vor allem auch wichtig, damit sich Unrecht nicht wiederholt. Erschreckend sei nämlich die «Kontinuität des Unrechts der Sklaverei». Allen zusätzlich im 20. Jahrhundert abgeschlossenen internationalen Abkommen beispielsweise gegen Frauenhandel und Sklaverei zum Trotz, seien weltweit bis zu zwei Millionen Menschen Opfer des Menschenhandels. «Gemäss Schätzungen des Bundesamtes für Polizei werden allein in der Schweiz jährlich 1500 bis 3000 Frauen und Kinder zu Prostitution und Zwangsarbeit versklavt», so Schweizer.

Weiterführende Informationen