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Vermitteln statt bestrafen

Der Kanton Zürich führt seit 2002 ein Pilotprojekt durch, wo Mediationen anstelle von Strafverfahren durchgeführt werden. Eine Forschungsgruppe am Kriminologischen Institut unter Leitung von Professor Christian Schwarzenegger hat das Projekt evaluiert. Die Bilanz fällt positiv aus: In 90 Prozent aller Fälle kam es zu einer gütlichen Einigung. Geschädigte und Beschuldigte zeigten sich mehrheitlich zufrieden.
Marita Fuchs

Ein unachtsamer Bauer fährt mit seinem Traktor eine Nachbarin an. Da es sich um fahrlässige Körperverletzung handelt, kommt es zu einer Strafuntersuchung. Allerdings gibt es seit 2002 im Kanton Zürich eine Alternative zur Anklage und Aburteilung durch ein Gericht: die Strafmediation.

Falls der Staatsanwalt oder die Staatsanwältin zustimmt und auch Beklagte und Geschädigte einwilligen, kann man versuchen, den Konflikt aussergerichtlich beizulegen. Die Untersuchungsbehörde verweist dann die Parteien an eine Mediatorin oder einen Mediator, die als neutrale Vermittler den streitenden Parteien helfen, zu einer Lösung zu kommen. In der Mediation zwischen dem Traktorlenker und seiner Nachbarin einigten sich die Parteien darauf, dass der Bauer sich schriftlich zu entschuldigen hat und seine Nachbarin materiell entschädigt.

Untersuchten die Resultate von Strafmediationen im Kanton Zürich: Veio Zanolini (links) und Professor Christian Schwarzenegger.

Hohe Erfolgsquote

«Die Mediation kann nicht das Strafverfahren ersetzen», sagt Christian Schwarzenegger, Professor am Kriminologischen Institut der Universität Zürich. «Es gibt jedoch viele Streitfälle - vor allem mittelschwere Delikte -, die für eine Mediation geeignet sind.» Zudem können die Parteien aktiv zu einer Lösung beitragen und das Geschehene besser verarbeiten. Mediationen können sich für die Geschädigten positiv auswirken, falls es ihnen gelingt, ihre Gefühle über erlittenes Unrecht auszudrücken. «Im besten Fall machen die Beteiligten die heilsame Erfahrung eines befriedeten Streits», sagt Christian Schwarzenegger.

Die Strafmeditation wurden im Kanton Zürich als Pilotprojekt von der Mediationsfachstelle «kon§ens Straf-Mediation Zürich» durchgeführt. Diese Fachstelle nahm die zugewiesenen Mediationen entgegen und wurde von drei Personen mit insgesamt 120 Stellenprozenten geführt. Christian Schwarzenegger, Urs Thalmann und Veio Zanolini evaluierten das Projekt und verfassten einen Bericht dazu. Die Autoren ziehen eine positive Bilanz: 90 Prozent aller Mediationen verliefen erfolgreich. In zwei Drittel dieser Fälle einigten sich die Parteien auf eine Entschuldigung, in den restlichen erhielten die Geschädigten eine materielle Entschädigung.

Höhere Kosten

Obwohl – laut Evaluationsbericht – die Mediationsverfahren speditiv abgewickelt worden seien, kamen sie deutlich teurer zu stehen als Strafuntersuchungen bei gleichartigen Straftaten. Im Durchschnitt kostete eine Mediation rund 1200 Franken, eine vergleichbare Strafuntersuchung durch die Staatsanwaltschaft aber bloss 390 Franken. Allerdings sind diese Kosten wesentlich höher, wenn es zu einer Anklage und einem Strafverfahren vor Gericht kommt. Auch der zeitliche Aufwand war rund dreimal höher: Eine Mediation dauerte im Schnitt sechzehn Stunden, während eine ähnliche Strafuntersuchung nach lediglich fünf Stunden erledigt war. «Man muss diese Zahlen relativieren», sagt Christian Schwarzenegger, «die Fixkosten lassen sich für Mediationen wesentlich reduzieren, wenn eine kritische Masse an Verfahren erreicht wird.»

Dies würden Erfahrungen aus Österreich belegen, wo die Mediation schon seit 1986 Bestandteil des Strafgesetzes ist. Ab 500 Fällen pro Jahr würden auch die Strafverfolgungsbehörden entlastet. Um Kosten zu verringern, schlägt der Kriminologe Christian Schwarzenegger vor, dass mehrere Kantone zusammen arbeiten sollten. Sie könnten zum Beispiel eine überregionale Fachstelle für Strafmediation einrichten.

Noch wenig Jugendliche

In der zweijährigen Pilotprojektphase bis September 2004 konnten 64 Fälle zum Abschluss gebracht werden. «Gemessen an der Arbeitslast der Zürcher Strafverfolgungsbehörden ist dies eine sehr geringe Zahl», sagt Veio Zanolini, Assistent am Lehrstuhl Schwarzenegger. Allerdings müsse auch berücksichtigt werden, dass die Mediationsfachstelle in der Projektphase personell limitiert gewesen sei. Zudem sei sie von den Überweisungen durch die Staatsanwälte abhängig gewesen.

«Weniger als die Hälfte der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte haben der Fachstelle einen Fall überwiesen. Die hohe Erfolgsquote zeigt jedoch, dass die überwiesenen Fälle sich gut für eine Mediation geeignet haben», sagt Christian Schwarzenegger. Wolle man weiterhin Mediationen anbieten, müssten verbindliche Kriterien festgelegt werden, die bestimmen, unter welchen Bedingungen eine Mediation anzusetzen sei.

17 Prozent der Mediationen betrafen Delikte von Jugendlichen. Für Christian Schwarzenegger ist es erstaunlich, dass nicht mehr Jugendanwälte und -anwältinnen Fälle an die Mediationsfachstelle delegiert haben. «Die Mediation bietet sich doch gerade bei mittelschweren Delikten von Jugendlichen an, wie zum Beispiel Entreissdiebstähle.»

Man könne noch keine Aussagen darüber machen, ob die Rückfallquote bei Straftätern, die an einer Mediation teilgenommen haben, geringer sei als bei einem gerichtlichen Verfahren. Vergleichbare Zahlen liegen laut Christian Schwarzenegger noch nicht vor. Zudem sei es schwierig, Vergleichs- und Kontrollgruppen zusammenzustellen, denn Umstände und Beteiligte seien häufig nicht miteinander vergleichbar.

Hohe Erwartungen

Christian Schwarzenegger und sein Team konnten belegen, dass die Beteiligten nach einer Mediation in der Regel zufrieden waren. 82 Prozent der Geschädigten waren sehr zufrieden, bei den Beschuldigten waren es 79 Prozent. Gut die Hälfte der Geschädigten gab an, dass die Vereinbarungen ganz umgesetzt worden seien. Knapp ein Fünftel stellte fest, dass die Vereinbarung überwiegend eingehalten werde und ein weiteres Fünftel war der Auffassung, dass die Beschuldigten ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen seien.

Demgegenüber sind alle Angeschuldigten der Meinung, dass sie sich ganz oder zum grössten Teil an die Vereinbarungen gehalten hätten. «Hinter diesen Zahlen stecken zum Teil auch überzogene Erwartungen der Geschädigten», sagt Veio Zanolini. Denn in den meisten Fällen hätten sich die Beschuldigten an die Vereinbarungen gehalten. Von der Mediation werde häufig zuviel erwartet, so auch im Fall des Bauers und seiner Nachbarin: Sie sei sehr enttäuscht gewesen, dass der Bauer nach Abbitte und Vergütung von da an nicht besonders freundlich zu ihr gewesen sei.