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Wenn in China die Putzfrauen Auto fahren

Angesichts des chinesischen Marktes mit seinen 1,3 Milliarden Konsumentinnen und Konsumenten bekommen Schweizer Unternehmer glänzende Augen. Was vom Wachstumsmarkt China zu erwarten ist, und was es bedeutet, wenn in China die Putzfrauen Auto fahren, wurde an einem Podium an der Universität Zürich erörtert.
Theo von Däniken

«Die Universität Zürich ist mit ihrem Studienangebot zu China im deutschsprachigen Raum konkurrenzlos», hielt Rektor Hans Weder in seiner Begrüssung fest.

Seit China seine Wirtschaft für ausländische Unternehmen Schritt für Schritt öffnet und wirtschaftliche Reformen Privateigentum und Unternehmertum zulassen, hat sich das bevölkerungsreichste Land der Erde in atemberaubenden Tempo zu einer global bedeutenden wirtschaftlichen Macht entwickelt. Kein Wunder nimmt das Interesse hiesiger Unternehmen am dynamischen Wachstumsmarkt noch immer stark zu.

Das Executive MBA Programm der Universität Zürich beobachtet diese Entwicklung seit längerem. Am Mittwoch und Donnerstag wurde erstmals eine Forumsveranstaltung zu China abgehalten. Den Abschluss bildete eine öffentliche Podiumsveranstaltung unter dem Titel «China – Chancen und Risiken eines Wachstumsmarktes», die am Donnerstagabend die Aula füllte.

Harmonie und Nachhaltigkeit seien für die chinesische Regierung wichtige Prinzipien bei der Entwickung des Landes, erläuterte Botschafter Bangzao Zhu.

Keine «Orchideenfächer»

Die Beschäftigung mit China ist an der Universität Zürich nicht erst von Belang, seit das Land wirtschaftlich bedeutsam geworden ist, wie Rektor Hans Weder in seiner Begrüssung festhielt. Vor der ökonomischen Attraktivität habe die Faszination durch die Kultur und Zivilisation Chinas gestanden. Hier sei das Studienangebot der Universität Zürich mit dem Ostasiatischen Seminar und der Abteilung Ostasien des Kunsthistorischen Institutes im deutschsprachigen Raum konkurrenzlos. Dabei würden aber nicht so genannte «Orchideenfächer» gepflegt, sondern interkulturelle Kompetenz vermittelt, die wirtschaftlich und gesellschaftlich von Bedeutung sei.

In grossen Sprüngen an die Spitze

Was Chancen und Risiken des Wachstumsmarktes China betrifft, waren sich die teilnehmenden Experten weitgehend einig: Risiken bestehend zwar, doch die Chancen sind ungleich grösser. Mit eindrücklichen Zahlen belegte der chinesische Botschafter in der Schweiz, Bangzao Zhu, den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg seines Landes. Vor wenigen Jahrzehnten für die Weltwirtschaft noch kaum von Bedeutung, hat sich China – gemessen an zahlreichen wirtschaftlichen Kennziffern – unter den ersten Ländern der Welt etabliert und drängt weiter an die Spitze.

«Wir sollten die Entwicklung Chinas mit Freude aufnehmen»: Urs Schoettli, China-Korrespondent der NZZ.

Diese Entwicklung werde China auf der Grundlage der Globalisierung und Öffnung weitertreiben, erläuterte Zhu und machte klar, dass China wirtschaftlich und politisch eine wichtigere Rolle zu spielen gewillt ist. Dies aber, so betonte Zhu, im Rahmen des bestehenden internationalen Systems. China habe fast alle wichtigen internationalen Abkommen unterzeichnet und sei gewillt, das bestehende internationale System zu erhalten und weiter zu entwickeln.

Trotz des enormen wirtschaftlichen Aufstiegs sei China aber nach wie vor das grösste Entwicklungsland der Erde, rief Zhu in Erinnerung. Ein grosser Teil der Bevölkerung lebe noch immer unter der Armutsgrenze und es seien grosse Anstrengungen nötig, um China auf das Niveau eines entwickelten Landes zu bringen, so Zhu.

Das wachsende Vermögen der Chinesinnen und Chinesen ist für die Schweizer Banken interessant: Hans-Ulrich Doerig, Vizepräsident des Verwaltungsrates der Credit Suisse Group.

Leiden an der grossen Zahl

«Alle grossen Probleme, die die Welt bewegen, müssen in China in extremen Masse ausgestanden werden», begründete Ulrich Schoettli, China-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), seine Faszination für das Land. Er warnte davor, den Aufstieg Chinas ängstlich und misstrauisch zu verfolgen: «Ein reiches China ist im Interesse der ganzen Welt.» Denn die Grösse des Landes bedeutet, dass auch alle Probleme grösste Tragweite annehmen. Krisen wie beispielsweise im Balkan hätten Flüchtlingsströme zur Folge, die sich nicht im Bereich der Hunderttausende, sondern von Dutzenden Millionen bewegten, erklärte Schoettli.

Dass Chinas Probleme für den ganzen Planeten von Bedeutung sind, zeigt sich beispielsweise im Bereich der Energie. Chinas Verbrauch an Primärenergieträgern, insbesondere Erdöl, hat in den vergangenen Jahren sprunghaft zugenommen. Vom Selbstversorger ist China in wenigen Jahren zum zweitgrössten Erdölimporteur nach den USA aufgestiegen. Tendenz steigend. «Wenn in China die Putzfrauen Auto fahren – und das können sie sich heutzutage leisten – dann wird es eng für uns», brachte Schoettli die Folgen des steigenden Lebensstandarts in China auf den Punkt. Insbesondere im Bereich der Energieeffizienz müsse deshalb China grosse Anstrengungen unternehmen, so Schoettli. Die wirtschaftliche Entwicklung hilft dabei: «China kann es sich leisten, die Umwelt zu schützen.»

Betrat 1978 mit der Gründung des ersten chinesisch-westlichen Joint-Venture Neuland: Ex-Botschafter und Unternehmer Uli Sigg.

Von sehr gut bis ungenügend

Während er China für den wirtschaftlichen Leistungsausweis eine Bestnote erteilen würde, so fiele seine Bilanz in der sozialen Entwicklung schon weniger gut aus, meinte Schoettli. Problematisch sei insbesondere das steigende Gefälle zwischen den sozialen Schichten. «Unter Mao lebten alle Chinesen in der Steinzeit. Heute leben die Chinesen in verschiedenen Zeitaltern», so Schoettli pointiert. Als Ungenügend bezeichnete er die politische Entwicklung, zeigte sich aber optimistisch, dass die derzeitige Führungsriege mit Präsident Hu Jintao und Regierungschef Wen Jiabao politische Reformen angehe. «China hat die Kraft und die Grundlagen, sich politisch zu modernisieren», ist Schoettli überzeugt. Dabei muss das Land aber aus eigener Kraft und vorsichtig vorgehen. «Denn wenn es zum Absturz kommt, dann gewinnen immer die Protagonisten der übelsten Ideen».

Optimismus prägte auch die Voten der Podiumsdiskussion zu den Problemfeldern, die Moderator Schoettli ansprach. So besteht etwa im Bankenbereich Probleme bei der Transparenz von Bilanzen oder Unklarheiten in den Fragen, wie Unternehmen geführt werden, welche Organe mit welchen Kompetenzen ausgestattet sind, wie Hans Ulrich Doerig, Vizepräsident des Verwaltungsrates der Credit Suisse Group (CS) erklärte. Trotzdem ist der chinesische Markt für die Banken interessant. Die beiden Schweizer Grossbanken UBS und CS spielen in China vor allem bei Börsengängen (IPO) eine grosse Rolle. Interessant sei auch die steigende Vermögensbildung der Chinesen, so Doerig.

«Die Chinesen sind schnell, flexibel und wenig autoritätsgläubig»: Peter Wiesendanger, Verantwortlicher für das China-Geschäft der Zehnder Group AG.

Pragmatismus statt Rechthaberei

Dass im Bereich der Rechtssicherheit und Transparenz noch Nachholbedarf besteht, räumte auch Uli Sigg, ehemaliger Botschafter der Schweiz in China ein. Er verwies aber auf das rasche Tempo, in welchem China eine bis in die späten 70-er Jahre nicht vorhande Gesetzgebung zu Unternehmen erarbeitet habe. Als Sigg 1978 den ersten Joint-Venture zwischen einer chinesischen und einer westlichen Firma gründete, bestanden kaum rechtliche Grundlagen dafür. Heute gebe es einen ansehnlichen Gesetzesapparat zum Gesellschaftsrecht. Allerdings mangle es oft an kundigen Juristen, um die Gesetze auch durchsetzen zu können, sagte Sigg.

«Die Rechtssicherheit nimmt zu», bestätigte Peter Wiesendanger, Verantwortlicher des China-Geschäfts der Zehnder Group. Allerdings sei der Rechtsweg, selbst bei bestehender Gesetzesgrundlage nicht immer der beste Weg: «Bevor man gegen eine hohe Behörde vor Gericht geht, sucht man lieber eine pragmatische Lösung», sagte Wiesendanger.

Sinologie-Professor Robert Gassmann sieht im utilitaristischen Naturverständnis der Chinesen eine gute Grundlage für den Umweltschutz.

Unterschiedliches Rechtsverständnis

Das chinesische Rechtsverständnis sei mit dem europäischen tatsächlich nicht vergleichbar, erläuterte Robert Gassman, Sinologie-Professor an der Universität Zürich. Insbesondere die für Europa zentrale Idee der Gleichheit vor dem Recht sei in China nicht verankert. Hierarchien und Loyalitäten, die sich beispielsweise aus Familienbeziehungen ergäben, spielten eine wichtigere Rolle. In diesem Sinne hätten die Chinesen ein anderes Verhältnis zur staatlichen Autorität. Dass es deshalb aber besonders schwierig sei, in China Geschäftsbeziehungen zu unterhalten, verneinte Gassman. Ähnliche Probleme ergeben sich in jeder Geschäftsbeziehung im Ausland: «Es reicht, wenn Sie den Gotthard überqueren, um ein anderes Verhältnis zu staatlicher Autorität vorzufinden», so Gassmann.