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Medizin für den Hausarzt

Asthma, Schwindel, Bluthochdruck – Hausärzte sind oft die erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Problemen. Anfang September ist an der Universität Zürich die «Einheit für Hausarztmedizin» gegründet worden. Diese will die Forschung über die spezifischen medizinischen Fragen der Hausärzte verstärken und der medizinischen Grundversorgung im Studium mehr Gewicht zu geben. unipublic im Gespräch mit Dr. Elisabeth Bandi-Ott, Hausärztin und Leiterin der neuen Einheit.
Das Interview führte Adrian Ritter

Hausärztin und seit 1. September 2005 Leiterin der neuen Einheit für Hausarztmedizin an der Universität Zürich: Dr. Elisabeth Bandi-Ott.

Unipublic: Frau Bandi-Ott, gibt es in der Schweiz tatsächlich einen hausärztlichen Versorgungsnotstand, wie in den Medien zu lesen ist?

Bandi-Ott: Insbesondere in ländlichen Regionen trifft dies durchaus zu. Ich schätze, dass in der Schweiz rund 6000 Ärztinnen und Ärzte als Grundversorger oder Hausärzte bezeichnet werden können. Ohne entsprechende Massnahmen wird es in zehn Jahren einen gravierenden Mangel geben. Der Beruf des Hausarztes ist nicht mehr attraktiv. Eine neue Studie an der Universität Basel zeigt, dass nur 10 Prozent der Medizinstudierenden sich am Ende des Studiums für den Weg zum Allgemeinpraktiker interessieren. Um den Bedarf decken zu können, müsste dieser Anteil aber bei 50 Prozent liegen.

Woran liegt es, dass der Beruf nicht mehr attraktiv ist?

Einerseits gibt es immer mehr Möglichkeiten, sich zu spezialisieren und der Allgemeinpraktiker verdient im Vergleich zu Spezialisten zum Teil deutlich weniger. Andererseits sind heute bei jungen Ärztinnen und Ärzten vermehrt Teilzeit- und Teamarbeit gefragt. Bereits heute sind zwei Drittel der Erstsemestrigen Frauen. Diese werden in Zukunft vermehrt ihr berufliches Standbein auch während der Familienphase beibehalten wollen. Dies ist gerade in ländlichen Gebieten mit häufigem Notfalldienst am Abend und Wochenende nur schwer möglich. Ein Hausarzt, der in Pension geht, findet daher kaum noch eine Nachfolge für seine Praxis. Solche verwaisten Hausarztpraxen gibt es aber auch in Städten wie Basel, Bern und Zürich. Mit dem Zulassungsstopp für Jungärzte ist dem Nachwuchs ein weiteres Hindernis in den Weg gelegt werden.

Was kann gegen diese Entwicklung getan werden?

Die eine Korrektur wird sich seitens der Ärzte selber ergeben. In der erwähnten Studie der Universität Basel sagten 84 Prozent derjenigen, die Allgemeinpraktiker werden wollen, sie würden eine Gemeinschaftspraxis bevorzugen. Die Einzelpraxis ist somit ein Auslaufmodell. Es macht auch keinen Sinn, alleine die ganze Infrastruktur und Verwaltung zu unterhalten. Ich rechne damit, dass in Zukunft in der Regel zwei bis vier Ärzte gemeinsam eine Praxis betreiben werden.

Elisabeth Bandi-Ott ist neben ihrer universitären Arbeit seit fast 20 Jahren in einer Gemeinschaftspraxis als Hausärztin tätig. Sie vermutet, dass die Einzelpraxis von Hausärzten ein «Auslaufmodell» ist.

Welche Entwicklungen sind seitens einer Universität nötig?

Die neue «Einheit für Hausarztmedizin» will die Allgemeinmedizin als akademische Disziplin mit eigenen Lehrinhalten, Forschung und klinischer Tätigkeit auf dem Spezialgebiet der Primärversorgung stärken. Diese Aufgabe beginnt damit, während dem Medizinstudium das Berufsbild des Hausarztes bekannter zu machen. Es mag erstaunen, aber die Medizinstudierenden wissen wenig darüber, da sie selber selten krank sind und wenig zum Arzt gehen.

Über welches Wissen muss ein Hausarzt verfügen?

Der Hausarzt ist erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Problemen. Diese Aufgabe erfordert eine breite Ausbildung. Heute ist es so, dass das hausärztliche Handwerk in der Regel erst nach dem Übertritt in die Praxis und dort im Alleingang gelernt werden muss. Das muss sich ändern. Mit dem reformierten Medizinstudium sind wir auf dem richtigen Weg. Die Studierenden sollen bereits während des Studiums im Rahmen von Gruppenunterricht und Einzeltutoriat beim Hausarzt lernen können. Das ist nötig, denn an einem Universitätsspital begegnet der Lernende kaum Symptomen wie Schwindel und Husten, wie er sie nachher in der Hausarztpraxis antreffen wird. Die Hoffnung bei all diesen Bestrebungen ist natürlich auch, dass sich am Ende des Studiums mehr Absolvierende für die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin entscheiden.

Wie soll diese Weiterbildung aussehen?

Die Weiterbildung zum Facharzttitel dauert grundsätzlich fünf Jahre. Das Krankenversicherungsgesetz schreibt für den Titel Allgemeinmediziner FMH eine ambulante Tätigkeit von mindestens einem halben Jahr vor. Sinnvoll wäre meiner Ansicht nach, dass zwei der fünf Jahre in der Hausarztpraxis oder bei einer ambulanten Stelle an einem Spital absolviert werden können. Die Frage ist allerdings, wer diese Praxisassistenzen bezahlen soll, denn die Hausärzte selber können sich kaum eine solche Assistenz leisten. Noch bis 2007 finanziert das Projekt «Praxisassistenz» des Kollegiums für Hausarztmedizin solche Assistenzen. Wie es nach 2007 mit diesem hauptsächlich von der FMH finanzierten Projekt weitergeht, ist allerdings noch offen.

Welche Bedürfnisse haben Hausärzte, die in der Praxis tätig sind?

Hausärzte benötigen einerseits gute Fortbildungsangebote, wie wir sie heute bereits haben. Andererseits haben Hausärzte spezifische medizinische Fragestellungen, die sie besser erforscht haben möchten. Zum Beispiel besteht der Wunsch, medizinische Richtlinien auf ihre Wirksamkeit in der Praxis zu überprüfen. Eine typische Frage wäre: Wie verläuft eine Mittelohrentzündung mit oder ohne Behandlung mit Antibiotika? Es ist diese evidenzbasierte Forschung, die Hausärzten hilfreich ist und bei der sie selber mitmachen können und auch wollen, wie eine Umfrage beispielsweise unter den Zürcher Hausärzten gezeigt hat. Hausärzte haben viele Patienten, die sie motivieren könnten, an solchen Studien teilzunehmen.

Forschungsthemen zu sammeln ist eine der Hauptaufgaben der neuen Einheit für Hausarztmedizin?

Richtig, ab 2006 soll dazu auch eine weitere 50 Prozent-Stelle geschaffen werden. Bei diesen Forschungsprojekten werden wir eng mit dem Horten-Zentrum für praxisorientierte Forschung und Wissenstransfer des Universitätsspitals zusammenarbeiten.

Neben der Forschung besteht meine Aufgabe als Leiterin der Einheit im Moment vor allem darin, neue Lehrangebote aufzubauen und Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis für eine Lehrtätigkeit zu gewinnen. Das neue Curriculum des Medizinstudiums sieht vor, dass die Grundversorgung in jedem Studienjahr thematisiert wird. Ich erachte es als wichtig, dass die Dozierenden auch selber in der Praxis tätig sind. Ich selber bin neben meinem 50 Prozent- Pensum an der Universität auch als Hausärztin tätig.

Seitens der Hausärzte steht die Forderung nach einem eigentlichen Institut für Hausarztmedizin im Raum. Was wäre der Unterschied zur Einheit?

Das universitäre Institut hätte einen eigentlichen Lehrstuhl für Hausarztmedizin, wie das zum Beispiel in Deutschland schon an vielen Universitäten existiert. Ich möchte daher junge Medizinerinnen und Mediziner motivieren, eine Habilitation im Bereich Hausarztmedizin zu schreiben, um sich nachher in Zürich auf einen solchen neu zu gründenden Lehrstuhl bewerben zu können. Dass ein solcher mittel- bis langfristig eingerichtet wird, hat die Universität Zürich bereits signalisiert.