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Infektionskrankheiten - zwischen Prävention und Hysterie

Neue Infektionskrankheiten wie Sars oder Vogelgrippe fordern nicht nur die Medizin heraus. Auch Gesellschaft und Politik sind aufgefordert, Neues zu lernen. Im Rahmen des Symposiums «Invisible Enemies» an der Universität Zürich ging ein Podiumsgespräch am vergangenen Freitag den Mechanismen von Angst, Prävention und der Rolle der Medien nach.
Adrian Ritter

Allen Leuten Recht getan, ist eine Kunst die niemand kann. Diese Erfahrung macht derzeit der Epidemiologe Robert Steffen vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich. Als Vorsitzender der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Influenza-Pandemieplanung sei er in der Vogelgrippe-Diskussion ständig in Gefahr, dass man ihm entweder Hysterie oder Gleichgültigkeit vorwerfe, so Steffen.

Lieber vorsorgen als einfach denken, «es wird dann schon nichts passieren»: Robert Steffen vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich ist Vorsitzender der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Influenza-Pandemieplanung.

«Es stimmt zwar, dass heute noch kein Vogelgrippe-Virus existiert, das eine globale Epidemie verursachen könnte. Tatsache ist aber, dass es in der Geschichte immer wieder Grippe-Pandemien gegeben hat.» Steffen ist es daher lieber, vorzusorgen als nur zu denken, «es wird dann schon nichts passieren».

Nachlassende Bedeutung der Infektionskrankheiten

Für Podiumsmoderator Philipp Sarasin von der Forschungsstelle für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Zürich sind AIDS, Sars und Vogelgrippe «schwerwiegende Anzeichen einer offenbar neuen Situation». Während noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts Tuberkulose die häufigste Todesursache in der Schweiz gewesen sei, hätten Phänomene wie Herzkreislaufkrankheiten und Krebs inzwischen die klassischen Infektionskrankheiten abgelöst.

Diskutierten unter der Leitung von Philipp Sarasin (Mitte) von der Forschungsstelle für Wirtschafts- und Sozialgeschichte über Infektionskrankheiten: Podiumsteilnehmer im Kongresshaus Zürich am vergangenen Freitag.

Das Zeitalter der Antibiotika schien sogar versprechen zu können, die Infektionskrankheiten lägen definitiv hinter uns. Der Grund für die nachlassende Bedeutung der Infektionskrankheiten ist allerdings gemäss Sarasin historisch betrachtet eher der verbesserten Hygiene und Ernährung sowie den neu entwickelten Impfungen als den Antibiotika zuzuschreiben.

Nicht überall verschwunden

Warum aber sind heutzutage Infektionskrankheiten wieder ein Thema, wollte Sarasin von den Podiumsteilnehmenden wissen. Robert Steffen sieht die Gründe unter anderem in der «Verdichtung der menschlichen Gesellschaft», wie sie uns Grossstädte wie Mexiko City vor Augen führen. Zugenommen habe auch der internationale Verkehr, was neue Ausbreitungswege mit sich bringe.

Jan van Overbeck, Chief Medical Officer der Versicherungsgesellschaft Swiss Re, erinnerte daran, dass die Infektionskrankheiten zwar in der westlichen Welt, keineswegs aber in der Dritten Welt verschwunden waren, wie das Beispiel Malaria zeige.

Ungewohntes Tempo

Auf einen weiteren Faktor wies Elisabeth Zemp Stutz, Oberärztin am Insitut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel, hin. Die neuen Infektionskrankheiten breiten sich mit einer Geschwindigkeit aus, an die wir uns von Krankheiten wie Krebs mit einem eher langsamen Verlauf nicht gewohnt seien.

Weil heute jeder per Flugzeug in alle Welt gelangen könne, fühle sich beispielsweise bei Sars auch plötzlich jeder bedroht, sagte Wolfgang Preiser, Virologie und Tropenmediziner an der Universität Stellenbosch in Südafrika.

Prieser rechnet allerdings damit, dass Sars eine «Episode war, die noch einmal glimpflich abgelaufen ist». Sollte das Problem wieder auftreten, seien unterdessen wirkungsvolle Gegenmassnahmen bekannt. Auswirkungen auf die Zukunft habe Sars nur insofern, als dass die Gesellschaft an diesem Beispiel habe lernen können, wie auf solche Herausforderungen zu reagieren sei - nämlich mit einer guten internationalen Zusammenarbeit.

Hektik folgt der Ignoranz?

Christian Griot, Direktor des Instituts für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe in Mittelhäusern/Bern, wies im Zusammenhang mit der Vogelgrippe auf die Rolle der Medien hin. Das Problem sei schon 2003 bekannt gewesen, von den Medien allerdings erst später thematisiert worden.

«Präservative und Gurten im Auto tragen die Leute nur, wenn man es ihnen immer wieder sagt»: Roger Staub, Leiter der Abteilung HIV und AIDS beim Bundesamt für Gesundheit. Neben ihm Elisabeth Zemp Stutz, Oberärztin am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel.

«Jetzt herrscht Hektik, dabei sagen wir den Politikern schon seit zwei Jahren, dass es die Vogelgrippe gibt», bestätigte Roger Staub, Leiter der Abteilung HIV und AIDS beim Bundesamt für Gesundheit. Wie wichtig die politischen Akteure im Gesundheitswesen sind, zeigt sich für Staub auch am Beispiel der Stop-Aids-Kampagne. Die grosse Kunst sei es, die Politiker immer wieder davon zu überzeugen, dass eine Kampagne noch nötig ist: «Das ist uns bei Aids zum Glück gelungen – denn Präservative und Gurten im Auto tragen die Leute nur, wenn man es ihnen immer wieder sagt.»

Die Angst vor dem Akuten

Nötig wäre gemäss Staub auch eine Kampagne gegen Übergewicht, wofür sich aber ohne entsprechende Bundeskompetenz wie beim Thema Aids in unserem förderalistischen System niemand zuständig fühle. Auf der gesellschaftlichen Ebene vermutet Staub, dass die «Lust an der Angst vor etwas Akutem» den Menschen immer noch lieber sei, als sich ständig bewusst zu sein, dass wir auf unser Gewicht achten und uns für unsere Gesundheit mehr bewegen sollten.

«Was Panik auslöst, wird auch eher Massnahmen und Investitionen auslösen», ist auch Elisabeth Zemp Stutz überzeugt. Wie eine Gesellschaft Risiken wahrnehme und damit umgehe, folge vielen Mechanismen, «aber sicher nicht nur der Logik».

Wie die Schweiz mit den neuen Infektionskrankheiten umgeht, zeigten Griot und Steffen am Beispiel der Vogelgrippe auf. «Es laufen viele Aktivitäten, diese sind aber nicht unbedingt sichtbar für die Öffentlichkeit und für die Medien interessant genug», so Griot. Zumindest bei einer geplanten Massnahme der Behörden zeigen sich die Medien bereits interessiert. Wenn demnächst Wildvögel auf Vogelgrippe untersucht werden, wird «10vor10» darüber berichten, wie Giot bekannt gab.

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