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Gehirn aus der Innenperspektive

Hirnforschung und Neurowissenschaften haben sich in den vergangenen Jahren verstärkt mit der Frage nach dem Bewusstsein beschäftigt. Zum Auftakt der diesjährigen BrainFair liessen die Organisatoren von Universität Zürich und ETH Zürich einen Philosophen zu Wort kommen. Thomas Metzinger, Philosophieprofessor aus Mainz, ist einer, der die Brücke zwischen Philosophie und Neurowissenschaften schlägt.
Theo von Däniken

Ungewöhnlich, dass die BrainFair, die seit sieben Jahren stattfindende Veranstaltungsreihe des Zentrums für Neurowissenschaften von Universität und ETH Zürich zur internationalen Woche des Gehirns, ausgerechnet einen Philosophen für den Eröffnungsvortrag einlud. Sind doch Neurowissenschaftler von den Beiträgen, die Philosophen zur Erklärung des Gehirns leisten können, nicht immer begeistert.

Labyrinth von Mystizismus und Irrationalität: Prorektor Alexander Borbély deutet das Plakat des Festivals Science et Cite + Brainfair Zürich 2005.

Begriffe klären

Der Beitrag der Philosophie liege nicht darin, empirisches Wissen über das Gehirn zu erzeugen, zitierte Alexander Borbély, Prorektor Forschung der Universität Zürich in seiner Begrüssung den Philosophen Peter Hacker. Das sei auch nicht ihre Aufgabe. Die Philosophie könne aber dazu beitragen, die begrifflichen Strukturen zu klären.

Das Thema des Festivals Science et Cite + Brainfair Zürich 2005, «Conscience» – «Bewusstsein und Gewissen», könne auch in das Labyrinth von Mystizismus und Irrationalität führen, so Borbély. Er warnte vor einer doppelten Buchhaltung, in der die Errungenschaften der modernen Forschung überlieferten Haltungen und Vorstellungen gegenüberstünden.

Brücken zwischen Philosophie und Neurowisschenschaften

Jetzt, da die Neurowissenschaft daran sei, Grenzen zu sprengen, sei es wichtig, wieder eine Brücke zur Philosophie – «der Mutter aller Wissenschaften» – zu schlagen, begründete Marie-Claude Hepp-Reymond von Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich die Einladung des Philosophen Thomas Metzinger. Die Philosophie könne der Neurowissenschaft helfen, ihre Problemstellungen besser zu definieren und einzukreisen.

Setzt neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse in philosophische Erkenntnis um: Thomas Metzinger.

Gehört das «Bewusstsein» zur physikalischen Welt?

Kann man «Bewusstsein» definieren und fassbar machen als Teil der physikalischen Welt? Oder ist bewusstes Erleben mehr und anders, als man physikalisch und neurophysiologisch über das Erleben wissen kann? Für den Philosophen Thomas Metzinger von der Universität Mainz ist eine Kernfrage in der Bewusstseinforschung die Frage nach der 1.Person-Perspektive. Was braucht es, damit ein informationsverarbeitendes System wie unser Hirn, das Darstellungen der Welt herstellt, eine «Innenperspektive» hat?

«Phänomenales Selbstmodell»

Metzinger postuliert dafür das so genannte «phänomenale Selbstmodell»: das heisst, ein zusamenhängendes inneres Modell von sich selber als einer Ganzheit. Das phänomenale (wahrgenommene) Selbstmodell ist dabei beim Menschen ein virtuelles, das nur aktiviert wird, wenn es gebraucht wird. «Etwa am Morgen, wenn wir aufwachen und zum Kühlschrank gehen», so Metzinger.

Das phänomenale Selbstmodell, das uns ein «Ich-Gefühl» und eine «Perspektive» ermöglicht, kann jedoch instabil werden, wenn wichtige Inputs von Aussen fehlen, wie Metzinger anhand von Experimenten und Krankheiten erläuterte. So können beispielsweise Astronauten nach langer Schwerelosigkeit das Gefühl für oben und unten verlieren. Abhilfe schafft ein kräftiger Schlag auf die Ferse, der dem Körper wieder anzeigt, wo unten ist.

Eine Fehlfunktion des phänomenalen Selbstmodells können auch Phantomschmerzen oder das Erkennen von eigenen als fremde Körperteile sein. Das Selbstmodell beziehe sich aber nicht nur auf die Wahrnehmung, sondern auch auf den Willen. Ein gestörtes Selbstmodell ist so auch bei psychisch Kranken vorhanden, die ihre Handlungen als nicht mehr von sich selber gesteuert wahrnehmen.

Die Innenperspektive als «Waffe im kognitiven Wettrüsten»

Waffe im kognitiven Wettrüsten

Stabilität gewinnt das Selbstmodell laut Metzinger daraus, dass es für das System (also den Menschen) eine wichtige Rolle bei derErfüllung seiner Ziele übernimmt und zieht dazu eine evolutionsbiologische Argumentation bei. «Die Innenperspektive ist eine Waffe des Menschen, die er im Verlauf des kognitiven Wettrüstens erfunden und optimiert hat», so Metzinger.

Damit stellt sich aber die Frage, wie dieses Selbstmodell im Menschen verankert ist, so dass es sich von anderen Repräsentationen beispielsweise von Gegenständen, die wir wahrnehmen, unterscheidet und als das Zentrum erkannt wird. Metzinger erklärt dies dadurch, dass das phänomenale Selbstmodell das einzige Modell ist, das im Gehirn durch eine kontinuierliche Quelle von intern generierten Inputs, etwa aus dem Gleichgewichtssinn, den Eingeweiden oder Blutgefässen, verankert ist.

«Naives-realistisches Selbstmissverständnis»

Auch ein solcherart zentriertes Selbstmodell ist jedoch noch kein Selbst, wie Metzinger betonte. Damit daraus ein «Ich-Gefühl» entstehen kann, darf der Mensch das von ihm selbst aktivierte Selbstmodell nicht mehr als Modell erkennen. «Wir selbst sind nicht in der Lage, unser eigenes subsymbolisches Selbstmodell als Modell zu erkennen», so die These Metzingers. Der Mensch unterliege einem «naiv-realistischen Selbstmissverständnis», jedoch entstehe dadurch das unhintergehbare phänomenale Selbst.

Strengenommen, habe also niemand ein «Selbst», dieses werde nur als «Selbst» wahrgenommen. Man solle sich aber hüten, dem allzu populären Begriff der Ich-Illusion aufzusitzen, so Metzinger. «Denn wenn das Ich eine Illusion ist, wer ist es dann, der diese Illusion hat?»