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Tagung am Deutschen Seminar

«Endlich die Eltern besser verstehen»

Die 68er: Das sind Studentenproteste und Neomarxismus, das Lebensgefühl des Tabubrechens, Drogenkonsums und der Wohngemeinschaften. Kulturelle Codes wurden radikal umgestaltet. Doch welcher Techniken bedienten sich die Aktiven dabei? Diese Frage untersucht eine Tagung am 4. und 5. Februar am Deutschen Seminar der Universität Zürich. In unipublic äussern sich die beiden Organisatoren, Joachim Scharloth und Martin Klimke, über die Verklärung der 68er und den Wunsch, die eigenen Eltern zu verstehen.
Mit Joachim Scharloth und Martin Klimke sprach Sascha Renner

Ob im Gerichtssaal oder in der Vorlesung: Seifenblasen waren im Zuge von 1968 eine beliebte Protestgeste gegen drögen Frontalunterricht, Autorität und Langeweile. Im Bild die beiden Organisatoren der Tagung, Joachim Scharloth (links) von der Universität Zürich und Martin Klimke, Universität Heidelberg.

unipublic: Joachim Scharloth, die Faszination für die 68er-Bewegung ist ungebrochen. Woran liegt das?

Joachim Scharloth: Es ist weniger das Politische, was uns heute fasziniert. Die Leute finden nicht mehr den linken Dogmatismus interessant, der ist out, Marx rezipiert man heute kaum noch. Die Aktionsformen jedoch, die in Kommunen und Universitäten praktiziert wurden, oder die Happenings des Schweizer Untergrund-Aktivisten und Schriftstellers Urban Gwerder finden immer noch begeistertes Interesse. Es sind die Formen öffentlicher Inszenierung, die Techniken, wie man soziale Ordnung bewusst macht, punktuell stört oder gar umgestaltet, die ich sehr faszinierend finde.

Die erste Tagung des Interdisziplinären Forschungskolloquiums Protestbewegungen (IFP) fand im Juli 2004 statt. Nun, ein halbes Jahr später, folgt bereits die zweite. Eine Erfolgsgeschichte?

Scharloth: Wir hatten eine grosse Resonanz auf die erste Tagung in Heidelberg. Viele meiner Studierenden haben mir gesagt, sie möchten endlich einmal ihre Eltern verstehen. Aber im Ernst: 1968 ist ein Thema, das momentan ziemlich hoch in der Tagespolitik steht und auch als neues Forschungsthema entdeckt wurde, vor allem von einer jüngeren Generation von Wissenschaftlern. In Heidelberg haben wir uns damit beschäftigt, die Grundlage für unser Forschungsnetzwerk zu legen und uns grundsätzliche Gedanken zu machen: Wie wird mit 68 Erinnerungspolitik betrieben, wer hat die Diskurshoheit, wie präsentieren uns Zeitzeugen 68, und was kann die Forschung dazu sagen?

Die 68er-Bewegung gibt zurzeit in Deutschland viel zu Reden. Warum die gegenwärtige Konjunktur?

Scharloth: Gesellschaftlich wird 68 in der Bundesrepublik stark über die rot-grüne Regierung vermittelt, die einige herausragende Repräsentanten der Studentenbewegung in ihren Reihen hat, Joschka Fischer oder auch Otto Schily. Damit ist 68 natürlich ein ganz grosses Thema in Deutschland. Aber auch in der Schweiz definieren sich viele Personen, die auch in Schlüsselpositionen an der Universität sind, sehr stark über diese Zeit. Sie hat etwas Identitätsstiftendes für viele Leute.

Martin Klimke: Ein Katalysator war natürlich die Debatte um Aussenminister Joschka Fischers Vergangenheit vor vier Jahren. Damals kam eine öffentliche Diskussion um die Frage auf: Wie verortet man 68 überhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik? Ist es Teil der Erfolgsgeschichte, und hängt es ursächlich mit dem Terrorismus der Siebzigerjahre zusammen? In der Wissenschaft wurde das Thema vor zehn Jahren entdeckt, intensiver wird der Diskurs seit fünf Jahren geführt.

Neigen wir heute dazu, das Phänomen der Jugendrevolten romantisch zu verklären?

Klimke: Die kulturelle Dimension hat schon pophafte Züge angenommen. Es gibt die 68er- und die Che-Guevara-T-Shirts, die Kommerzialisierung hat Einzug gehalten. Neben dem Mythos gibt es aber genauso das Schreckgespenst der Jugendrevolte. Es kommt immer darauf an, in welcher Position man sich befindet. Das macht es einfach, 68 im politischen Tagesgeschäft zu instrumentalisieren. Das Interessante unserer Generation ist es zu sehen, was wirklich dahinter steckt.

Scharloth: Es gibt da einen echten Generationen-Gap, kann man sagen. Wir schauen die Quellen mit anderen Interessen an. Die 68er und die Zeitzeugen stecken noch in ideologischen Kämpfen drin – für uns sind die nicht mehr gültig. Wir stellen nicht mehr die Frage: War 68 eine Erfolgsgeschichte? Das interessiert die Aktivisten. Wir schauen nicht, hat es funktioniert, sondern, was ist passiert und wie?