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Theologie und Weltraum

«Wir sind Teil des Himmels»

Andreas Losch und Matthias Wüthrich beschäftigen sich mit der Frage, was die Erforschung und Nutzung des Weltalls für die Theologie und die Menschheit bedeutet. Dabei geht es auch um praktische Fragen wie jene, ob es auch für das All Nachhaltigkeitsziele braucht.
Thomas Gull, Roger Nickl
Beschäftigen sich mit dem Weltraum und mit der Frage nach ausserirdischem Leben: die beiden Theologen Matthias Wüthrich (links) und Andreas Losch am UZH Space Hub. (Bild: Stefan Walter))

Andreas Losch, Matthias Wüthrich, Sie sind Teil des UZH Space Hub, wo vor allem Forschende der Naturwissenschaften zu Fragen der Fernerkundung, der Luftfahrt und des Kosmos arbeiten. Was interessiert Sie als Theologen am Weltraum?

Matthias Wüthrich: Mich interessiert aus theologischer Perspektive beispielsweise die Frage, was Leben ist, und in diesem Zusammenhang auch die astrobiologische Frage nach extraterrestrischem Leben. Dazu habe ich zusammen mit UZH-Space-Hub-Direktor Oliver Ullrich schon Lehrveranstaltungen gemacht. Was sucht man eigentlich, wenn man nach Leben im Universum sucht? Diese Frage ist zirkulär. Man hat schon ein Verständnis von Leben, um überhaupt Leben entdecken zu können. Da besteht Reflexionsbedarf. Ich beschäftige mich aber auch mit der Frage, was eigentlich der Himmel ist.

Ist das denn nicht klar?

Wüthrich: Nicht unbedingt. Der religiöse Himmel (Heaven) und der naturphilosophische oder naturwissenschaftliche Himmel (Sky) wurden bis in die Frühe Neuzeit immer zusammen gedacht. Dann beginnen sie langsam auseinanderzubrechen. Der religiöse Himmel wurde von den Naturwissenschaften an den Rand gedrängt. Für die Theologie ist er aber essenziell. Die Frage ist nun, wie sich unter modernen Bedingungen Heaven und Sky zusammendenken lassen.

Herr Losch, weshalb sind Sie Teil des UZH Space Hub?

Andreas Losch: Ich bin 2014 in die Schweiz gekommen und habe zuerst als Theologe am Center for Space and Habitability der Universität Bern geforscht. Dort habe ich an einem Projekt mitgearbeitet, das sich aus astrobiologischer Perspektive mit möglichem Leben jenseits unseres Planeten beschäftigte. Später habe ich mich dann mit einer Arbeit zum Thema «Der gestirnte Himmel über uns. Theologie, Naturwissenschaft und Ethik» an der UZH habilitiert. Und ich habe ein eigenes Projekt zur planetaren Nachhaltigkeit, wie ich das genannt habe, lanciert – zu Nachhaltigkeitsfragen auf der Erde und im erdnahen Weltraum. Seit ich in der Schweiz bin, ist der Weltraum also ein wichtiges Thema in meiner Agenda.

Portraitfoto Matthias Wüthrich

Wenn irgendwann intelligentes ausserirdisches Leben entdeckt würde, wäre das eine weitere Relativierung des anthropozentrischen Weltbildes, das die westliche Geschichte geprägt hat.

Matthias Wüthrich
Theologe

Sie interessieren sich beide für Fragen nach extraterrestrischem Leben. Inwiefern sind diese theologisch relevant?

Wüthrich: Ich möchte zuerst einen Schlenker machen: Als 1968 die Sonde «Apollo 8» vom Mond aus die Erde ablichtete, ist unser blauer Planet das erste Mal so richtig ins Bewusstsein der Menschheit gedrungen. Das Bild der fragilen blauen Murmel hat viele Emotionen ausgelöst und hatte einen grossen Einfluss etwa auf die Öko-Bewegung. Es ist für mich auch ein Sinnbild für die Frage, wie ich mit diesem Thema umgehe. Denn das Ausgreifen in den Kosmos löst einen Rückblick auf uns selber aus, auf unser Selbst- und Weltverständnis. Was immer wir im Universum entdecken werden, hat Einfluss auf uns und muss interpretiert und verstanden werden. Wenn wir jetzt nach Leben dort draussen suchen, dann hat das eben auch einen Einfluss auf das, was uns hier auf der Erde umtreibt. Meine Rolle als Theologe ist nicht nur, danach zu fragen, wie denn Leben mit Gott zusammenhängt, sondern zunächst mal einfach bei der Klärung zu helfen, was wir denn machen, wenn wir nach Leben fragen. Ist das beispielsweise überhaupt ein naturwissenschaftlicher Begriff?

Und, ist es einer?

Wüthrich: Ich würde sagen, nein. Naturwissenschaften können Lebensphänomene beschreiben, sie können Eigenschaftslisten und Biosignaturen von Leben erheben. Und sie können auflisten und umkreisen, was funktional zum Leben gehört. Aber sobald wir zu einer prinzipiellen Definition ausholen und sagen «Leben ist – », haben wir die Ebene naturwissenschaftlicher Methodik verlassen und sind auf einer weltanschaulichen Ebene. Sich damit zu befassen, ist eine wichtige Aufgabe der Theologie und der Ethik.

Welche Fragen können die Naturwissenschaften denn nicht beantworten, Theologie und Ethik aber schon?

Losch: Wir brauchen Werte, um zu handeln und um zu entscheiden, was gut ist und was nicht. Solche Wertefragen sind nicht Thema der Naturwissenschaften. Theologie und Ethik sind dagegen Disziplinen, die darüber intensiv nachdenken.

Herr Wüthrich, Sie haben gesagt, das Erforschen des Kosmos habe auch Rückwirkungen auf das Leben und unser Selbstverständnis auf der Erde. Wie würde denn extraterrestrisches Leben den Blick auf uns selbst verändern?

Wüthrich: Es wäre eine weitere Dezentrierung des Menschen, eine weitere «Kränkung», wie es Sigmund Freud genannt hat. Nach Kopernikus sind die Erde und der Mensch nicht mehr Mittelpunkt des Universums, nach Darwin stammt der Mensch vom Affen ab, nach Freud ist er nicht mehr «Herr im eigenen Haus», weil es unbewusste Tiefenschichten in ihm gibt, die ihn bestimmen. Heute – das ist der nächste Schritt – denken viele, wir würden von Maschinen mit KI überholt. Wenn nun irgendwann vielleicht sogar intelligentes ausserirdisches Leben entdeckt würde, wäre das eine weitere Relativierung des anthropozentrischen Weltbildes, das die westliche Geschichte geprägt hat.

Losch: In einer Vorlesung habe ich einmal versucht, die Frage, was die Existenz von ausserirdischen Leben für die Theologie bedeuten würde, fundamental durchzubuchstabieren – für die Schöpfungs-, Offenbarungs- und Erlösungstheologie.

Mit welchem Ergebnis?

Losch: Nehmen wir zum Beispiel die Schöpfungstheologie. Dort ist die Argumentation am einfachsten. Nimmt man die Existenz von ausserirdischem Leben an, dann gibt es irgendwo im Universum noch eine zweite Schöpfung, einen zweiten Anfang von Leben. «The more the merrier» könnte man dazu sagen – es ist schön und gereicht Gott zur Ehre, dass es mehr Leben ausserhalb der Erde gibt. Bereits im 18. Jahrhundert konnten die Menschen viel mit dem Gedanken anfangen, dass es Leben jenseits der Erde gibt. Damals waren das noch keine «Aliens», wie man heute sagen würde, sondern man sprach von «Bewohnern fremder Welten».

In der Vergangenheit hat man auch angenommen, dass Gott im Himmel wohnt. Heute schauen wir dagegen in ein gottloses Universum. Wann ist der naturwissenschaftlichen Betrachtung des Kosmos Gott abhandengekommen?

Wüthrich: Das war ein sukzessiver Prozess. Oft wird Newtons mechanisches Weltbild als Wendepunkt genannt. Für Newton selbst waren Glaube und Naturwissenschaft aber noch eine Einheit. Er ging noch von einer göttlichen Vorsehung aus, die den ganzen kosmischen Raum zusammenhält. In der Rezeption von Newton wird dieses Weltbild dann aber immer mechanistischer, Gott geht sozusagen allmählich verloren. Diese Entwicklung kann man nicht an einem bestimmten Punkt festmachen.

Der Himmel wird allmählich entzaubert?

Losch: Vielleicht kann man auch sagen, dass Gottes Wirken zuerst überall gedacht wurde. Und weil das so war, konnte man den Kosmos auch mal genauso gut ohne Gott denken. Wenn man Gott weglässt, funktionieren die Naturgesetze immer noch – auch ohne den Gesetzgeber sozusagen.

Wüthrich: Die Folgen dieser Entwicklung waren für die Theologie schon einschneidend. Sowohl die katholische als auch die protestantische Tradition gingen davon aus, dass Gott im Himmel wohnt, inklusive der Seligen, der Engel und Christus, der nach der Himmelfahrt zur Rechten Gottes ist. Wenn diese Vorstellung wegfällt, dann fragt man sich, wo Gott denn nun sei. Der kritische Theologe David Friedrich Strauss (1808–1874) hat dann etwa amüsiert gesagt: «Gott geriet in Wohnungsnot.» Die Theologie hatte in der Moderne die Aufgabe, diesen Ausfall zu kompensieren.

Sie haben sich in Ihrer Habilitation mit einer Theologie des Raums beschäftigt. Kann sie eine Lösung für die Wohnungsnot Gottes anbieten?

Wüthrich: Ich denke zumindest, dass wir Raum in der Theologie neu, das heisst relationaler denken sollten. Man muss unterscheiden zwischen einem Containermodell und einem relationalen Modell des Raumes. In der Vergangenheit wurde Gott in einem containerartig vorgestellten, hellglänzenden, unbeweglichen, transzendenten Ort jenseits der äussersten Fixsternsphäre lokalisiert. Wenn wir heute Raum relational denken, ermöglicht das eine neue Konfiguration auch des religiösen Himmels. Der Himmel ist dann dort, wo Gott ist, und nicht umgekehrt Gott dort, wo der Himmel ist. Der religiöse Himmel wird potenziell «irdischer». Eigentlich wurde auch durch die naturwissenschaftliche Forschung deutlich, dass wir auf der Erde schon im Himmel sind. Wir sind ein winziger Teil dieses Universums.

Portraitfoto Andreas Losch

George Lemaître hat mit der Big-Bang-Theorie, inspiriert von der biblischen Schöpfungsgeschichte, eine bis heute anerkannte wissenschaftliche Theorie für den Ursprung des Universums formuliert.

Andreas Losch
Theologe

Am UZH Space Hub erforschen unter anderen Astrophysiker:innen dieses Universum. Sie beschäftigen sich beispielsweise mit Dunkler Materie oder dem Big Bang. Gibt es da Berührungspunkte mit der Theologie, wo man gegenseitig voneinander profitieren kann?

Wüthrich: Der Himmel hat immer schon so etwas wie Transzendenzvorstellungen ausgelöst und er tut das immer noch, wie Umfragen bei Jugendlichen zeigen. Ein Beitrag der Theologie zum Space Hub könnte zum Beispiel sein, bei der Aufklärung von historischen Voraussetzungen solcher Vorstellungen oder von Modellen und Metaphern in der Astronomie zu helfen. Andreas, hast du nicht einmal erwähnt, dass das theologische Konzept der Creatio ex nihilo, der Schöpfung aus dem Nichts, eine Vorlage gewesen ist für die Theorie des Big Bang?

Losch: Ich habe mich immer gefragt, ob die Theologie den Naturwissenschaften etwas beibringen kann. Dann habe ich ein historisches Beispiel dafür gefunden, die Big-Bang-Theorie. Ihr Erfinder war George Lemaître (1894–1966). Der Belgier war Priester und Astrophysiker. Er hat die Idee formuliert, dass das Universum einen Anfang gehabt haben könnte. Bis zu diesem Zeitpunkt ging man mit Aristoteles’ Weltewigkeitslehre davon aus, es habe die Welt und das Universum immer gegeben und es werde sie immer geben. Lemaître hat mit der Big-Bang-Theorie, inspiriert von der biblischen Schöpfungsgeschichte, eine bis heute anerkannte wissenschaftliche Theorie für den Ursprung des Universums formuliert.

Wüthrich: Als Ergänzung: Die Creatio ex nihilo ist eigentlich gar nicht biblisch, sondern eine spätere Reformulierung einer althebräischen Vorstellung von Schöpfung, die so etwas wie Materie schon vorausgesetzt hat und in diesem Sinn gar nicht eine Schöpfung aus dem Nichts war. Das Beispiel zeigt aber, wie die Geistesgeschichte immer wieder Vorstellungen produziert hat, die dann subkutan eingeflossen sind in naturwissenschaftliche Konzepte und den öffentlichen Diskurs. Das gilt beispielsweise auch für den theologisch geprägten Begriff der Bewahrung der Schöpfung, der sich selbst im säkularen Kontext durchgesetzt hat.

Losch: Für Naturwissenschaftler könnte es interessant sein, ihr Vorverständnis noch einmal neu im Licht bestehender geisteswissenschaftlicher Konzepte zu reflektieren. Wie das Beispiel des Big Bang zeigt, könnte das zu wissenschaftlichen Durchbrüchen beitragen.

Sie haben gesagt, Naturwissenschaften könnten keinen Sinn produzieren. Ihre Erkenntnisse müssen in einen grösseren Zusammenhang gestellt und interpretiert werden. Was können Sie als Theologen da leisten?

Wüthrich: Es ist auch unsere Aufgabe, wissenschaftliche Erkenntnisse zu verbinden mit den Sinnfragen, die uns bewegen. Die Theologie tut das immer auch vor dem Hintergrund biblisch geprägter Narrative und ihrer breiten Wirkungsgeschichte. Diese untersuchen wir und wir schreiben sie weiter.

Können Sie das erklären?

Wüthrich: Es gibt tradierte religiöse Narrative. Religion lebt davon, dass man diese sinnstiftenden Erzählungen bewohnt, dass man sein eigenes Leben in sie einzeichnet und das Leben deutet im Horizont dieser Geschichten. Theologie versucht, diese Narrative zu verstehen, zu deuten und für die Gegenwart fruchtbar zu machen, aber auch zu kritisieren. Innerhalb dieser Narrative gibt es Sinnpotenziale, die sich auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse anwenden lassen. Das moderne Diskursfeld, wo solche Anwendungen wissenschaftlich reflektiert werden, nennt sich «Science and Religion».

Herr Losch, Sie beschäftigen sich mit der planetaren Nachhaltigkeit. In diesem Kontext plädieren sie für ein achtzehntes Nachhaltigkeitsziel der UNO für den Weltraum. Können Sie erklären, worum es dabei geht?

Losch: Der englische Begriff für «nachhaltig», also «sustainable», kommt ursprünglich aus dem Weltrat der Kirchen. Er wurde dann für den Bericht «Unsere gemeinsame Zukunft» der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung übernommen, der 1987 veröffentlicht wurde. Seitdem ist er ein fester Bestandteil öffentlicher Diskussionen. Ich war der Meinung, Nachhaltigkeit müsse auch im Weltraum eine Rolle spielen. Als ich mir dann die Nachhaltigkeitsziele der UNO angeschaut habe, habe ich mich gefragt, wo ist der Weltraum? Wir haben die planetaren Grenzen, von denen wir sagen, sie dürften nicht überschritten werden. Vielleicht sollten wir solche auch für den Weltraum definieren.

Welche Nachhaltigkeitsprobleme sehen Sie im Weltraum?

Losch: Da sind die Satelliten, die in immer grösserer Zahl um die Erde kreisen. Was geschieht mit dem Mond, wenn wir dort Weltraumbergbau betreiben? Oder: Wie beeinflussen die menschlichen Aktivitäten im All den Nachthimmel? Wenn wir immer mehr Satelliten in den Erdorbit schiessen, müssen wir uns auch über deren spätere Entsorgung Gedanken machen. Lange Zeit dachte man, das Problem mit den ausgemusterten Satelliten löse sich dadurch, dass sie langsam zur Erde gleiten und dann verglühen. Doch damit sind sie natürlich nicht einfach weg, sondern sie hinterlassen Partikel in den sensiblen Schichten der Atmosphäre. Wie das die Atmosphäre beeinflusst und verändert, ist noch nicht erforscht.

Ist Nachhaltigkeit für die Weltraum-Enthusiasten überhaupt ein Thema?

Losch: Durchaus. Doch sie steht halt nicht zuoberst auf der Prioritätenliste. 2018 wurde ich zum Weltraumkongress der Vereinten Nationen eingeladen, weil damals kaum jemand an diesem Thema gearbeitet hat. Heute sehe ich meine Aufgabe darin, diesen Aspekt in Projekte und Tagungen einzubringen, auch am UZH Space Hub.

Ist es vorstellbar, dass die UNO ein 18. Nachhaltigkeitsziel formuliert?

Losch: Das wurde mehrfach dem Committee on the Peaceful Uses of Outer Space der UNO vorgeschlagen. Die Frage ist, was 2030 mit den Nachhaltigkeitszielen passiert, ob diese neu aufgelegt werden oder ob es ein Nachfolgemodell gibt, die Nachhaltigkeitsziele sind ja selbst Nachfolger der Millenniumziele der Vereinten Nationen. Ich glaube, der Weltraum wird auf jeden Fall eine Rolle spielen, offen ist, ob für ihn ein eigenes Ziel definiert wird.

Weiterführende Informationen

UZH Magazin

Dieses Interview stammt aus dem
UZH Magazin 1/2025.