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Sexual Harassment Awareness Day

Viel mehr Prävention nötig

Sexualisierte Gewalt sei in allen gesellschaftlichen Bereichen präsent, betonte die Opferhilfeberaterin Agota Lavoyer in einem Referat an der UZH und forderte einen Kulturwandel. Zur Gewaltprävention soll auch der nationale Tag gegen sexuelle Belästigung an Hochschulen beitragen, der am 29. April stattfindet.
Barbara Simpson

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Demonstrierende Frauen, die #MeToo-Schilder hochhalten
Alle Angehörigen der Hochschullandschaft sollten in einem sicheren und respektvollen Umfeld studieren und arbeiten können. (Bild: istock/Olena Bardysheva)

Ihren Vortrag an der Universität Zürich im Rahmen der Ringvorlesung «#MeToo und nun?» beginnt Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt, mit einer absurd anmutenden Anekdote über Hutnadeln. Diese Accessoires dienten um die Jahrhundert­wende eigentlich dazu, kunstvolle Hutkreationen in der Frisur zu verankern, damit sie nicht vom Wind davongetragen wurden. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Nadeln auch zur Selbst­verteidigung taugten, wenn Frauen sich etwa gegen übergriffiges Verhalten wehren mussten. Die Folge davon war nicht etwa ein besserer Schutz für die Frauen, die sich ohne männliche Begleitung in den öffentlichen Raum wagten – sondern ein Verbot der spitzen, vermeintlich allgemein­gefährlichen Hutnadeln.

An dieser Begebenheit lassen sich verschiedene Aspekte einer Kultur der sexualisierten Gewalt aufzeigen, die nach wie vor in unserer Gesellschaft verankert sind, so Lavoyer: Der Schutz der Täter und die Abwertung der Opfer, eine patriarchale Ordnung und die Tatsache, dass Frauen, die ihren Platz einfordern wollen, Übergriffen ausgesetzt sind.

Breites Spektrum von sexualisierter Gewalt

Was ist sexualisierte Gewalt? «Darunter fallen alle Handlungen, die die sexuelle Integrität eines Menschen verletzen – von unangemessenen Bemerkungen («Cat-Calling») über sexualisierte Berührungen bis hin zu schweren sexuellen Übergriffen», erklärt Agota Lavoyer, die sich dezidiert als Opferhilfeberaterin, Referentin, Netzaktivistin und Buchautorin für Gewaltbetroffene einsetzt und die Prävention von häuslicher und sexualisierter Gewalt verstärken will.

Ihr geht es darum, eine Kultur der sexualisierten Gewalt zu hinterfragen und aufzubrechen. «Der englische Begriff dazu ist «Rape Culture» und wird oft missverstanden», sagt sie. «Er bedeutet nicht, dass wir in einer Gesellschaft leben, die Vergewaltigung gut findet.» Vielmehr beschreibe der Ausdruck eine Gesellschaft, in der sexualisierte Gewalt zugelassen und selten geahndet wird, in der Opfer sexualisierter Gewalt abgewertet oder mitschuldig gemacht und Täter häufig entlastet werden.

Eine Frage der Kultur

Sexismus und Geschlechterstereotype sind kulturell tradiert. Gerade deshalb gibt es gemäss Lavoyer Hoffnung, denn kulturelle Muster können verändert werden. Dazu gilt es, Position zu beziehen, um sexistische Strukturen sichtbar zu machen und Betroffene zu unterstützen. Das beginne schon bei sexistischen Sprüchen oder Witzen.

Ein Demonstrationsplakat, auf dem steht: "Sexist jokes are boring"
Position beziehen, um sexistische Strukturen sichtbar zu machen. (Bild: istock/Andriy Bocko)

Wirkungsvoll sei der Internettrend #microfeminism, der die kleinen Gesten des antisexistischen Engagements – auch und gerade von Männern – im direkten Umfeld in den Mittelpunkt stellt. «Frauen brauchen keine Männer, die sie beschützen. Sie brauchen Männer, die aufhören, sich gegenseitig zu beschützen», so Lavoyer. Damit bekämen Jungen und junge Männer auch gute Vorbilder. Und sie zitiert einen weiteren Slogan: «Fix the system, not the women».

Auch Hochschulen sind keine «safe spaces»

Anhand von Hochrechnungen macht sie deutlich, wie viele Menschen von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Gemäss einer Studie des SECO aus dem Jahr 2024 wird jede zweite Frau am Arbeitsplatz sexuell belästigt. «Das sind 1,5 Millionen Frauen in der Schweiz», rechnet Lavoyer vor. «In der Golder-Studie von 2019 gab jede achte Frau über 16 Jahren in der Schweiz an, vergewaltigt worden zu sein: das sind 430'000 Frauen. Das sind keine Einzelfälle.» Im Gegenteil: Laut Kriminalstatistik des Bundes ist die Tendenz unter jungen Menschen steigend.

Agota Lavoyer

Prävention ist wichtig. Viel mehr Prävention ist nötig.

Agota Lavoyer
Expertin für sexualisierte Gewalt

Egal ob am Arbeitsplatz, in Vereinen, in der Freizeit – das Ausmass sexualisierter Gewalt ist hoch. Auch die Hochschulen sind keine «safe spaces». Deshalb haben die Schweizer Hochschulen und Forschungsinstitutionen am 29. April den nationalen Tag gegen sexuelle Belästigung an Hochschulen ausgerufen. Eine Reihe von Veranstaltungen soll an diesem Tag die Hochschulangehörigen sensibilisieren, Unterstützungsangebote bekannter machen und Handlungsanregungen geben.

«Prävention ist wichtig. Viel mehr Prävention ist nötig», betont Lavoyer am Ende ihres Vortrags. Dabei sei die Primärprävention besonders bedeutsam: Es gelte, genau hinzuschauen, worauf sexualisierte Gewalt basiert, wodurch sie ermöglicht wird und durch welche Konditionen sie verstärkt wird. Nur durch eine umfassende Präventionsarbeit könne langfristig eine kulturelle Veränderung erreicht werden.