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Philosophie Festival Zürich

Eine Pille für die Liebe?

«Mit Gefühl» heisst das Thema des Zürcher Philosophie Festivals vom 23. bis 25. Januar. Holger Baumann, Philosoph und Bioethiker an der UZH, moderiert am Festival ein Gedankenexperiment zur Frage, ob Liebe eine freie Entscheidung sei.
Carole Scheidegger
Illustration: Eine zerbrochene Pille, aus der ein Herz fällt
Wie wäre es, wenn wir eine andere Person mit einer Liebespille dazu bringen könnten, sich in uns zu verlieben? Um diese Frage geht es in einem Gedankenexperiment am Philosophie Festival Zürich. (Bild: iStock.com/KrizzDaPaul )

Sie gehen am Philosophie Festival Zürich in einem Gedankenexperiment der Frage nach, ob Liebe eine freie Entscheidung sei. Was hat die Liebe, was haben Gefühle mit Philosophie zu tun?

Holger Baumann: Die Philosophie hat die Gefühle in den letzten Jahrzehnten wieder stärker für sich entdeckt und Fragen wie zum Beispiel «Wie lassen sich Gefühle näher bestimmen und inwieweit sind sie rational kritisierbar?» oder «Welche Rolle kommt Gefühlen beim Handeln und in der Moral zu?» diskutiert. Gerade mit Blick auf die letzten beiden Fragen wurde den Gefühlen dabei vermehrt eine positive und konstruktive Rolle zugeschrieben. Es wurde etwa – in meinen Augen durchaus überzeugend – dafür argumentiert, dass durch Gefühle motivierte Handlungen zumindest in manchen Fällen vernünftiger sein können als Handlungen, bei denen wir lange überlegt haben; oder dass wir erst durch Gefühle in der Lage sind, moralisch wichtige Aspekte einer Situation zu erkennen. In neuerer Zeit sind Philosophinnen und Philosophen natürlich auch durch die rasanten Entwicklungen in der Hirnforschung oder im Bereich der künstlichen Intelligenz herausgefordert worden, die neue Fragen nach der Natur von Gefühlen aufwerfen. 

Holger Baumann

Die Liebe ist ohne Frage eines der wichtigsten Gefühle im menschlichen Leben, aber wenn wir sie zu verstehen versuchen, geraten wir schnell in Widersprüche oder das Phänomen zerrinnt uns zwischen den Fingern.

Holger Baumann
Philosoph und Bioethiker, Dozent Advanced Studies in Applied Ethics

Warum ist die Liebe für die Philosophie interessant?

Die Liebe ist ohne Frage eines der wichtigsten Gefühle im menschlichen Leben, aber wenn wir sie zu verstehen versuchen, geraten wir schnell in Widersprüche oder das Phänomen zerrinnt uns zwischen den Fingern: Viele haben schon die Erfahrung gemacht, dass Liebe «blind» macht, aber ebenso, dass Liebe uns die Welt «klar» oder «richtig» sehen lässt. Auch ist unbestritten, dass die Liebe uns zumindest teilweise ergreift und unverfügbar ist, aber zugleich fühlen wir uns in der Liebe manchmal besonders frei. Und wenn wir auf die Frage, warum wir eine Person lieben, einfach Eigenschaften dieser Person aufzählen, dann scheint das eine seltsame Antwort zu sein, aber trotzdem lieben wir ja diese individuelle Person nicht einfach zufällig.

Die Philosophie versucht diese Aspekte zu verstehen und in ein kohärentes Bild zu fügen. Über diese klassischen philosophischen Themen hinaus ist Liebe auch deshalb besonders interessant, weil verschiedene Schichten unseres Selbst – wir sind nicht nur rationale, sondern unter anderem auch biologische, soziale und emotionale Wesen – in der Liebe zusammenkommen. So setzt sich die Philosophie in neuerer Zeit mit Thesen auseinander, denen zufolge Liebe nichts anderes als ein biochemischer Prozess ist, oder die Philosophie kritisiert bestimmte Ideale «romantischer Liebe» – etwa die wohl noch immer verbreiteten Ideale von monogamen oder heterosexuellen Liebesbeziehungen oder die Idee der «Verschmelzung» von zwei Personen in der Liebe. Dabei wird aufgezeigt, dass solche Ideale oft auf zufälligen und manchmal unterdrückenden gesellschaftlichen Normen aufbauen.

Die Forschung entschlüsselt immer stärker, welche chemischen Prozesse bei Gefühlen beteiligt sind. Ändert das etwas an der Einschätzung der Philosophie?

Die Forschung zu biochemischen Prozessen, die Gefühlen unterliegen, bietet eine wichtige Perspektive für das Verständnis von Liebe und möglicherweise auch für die Behandlung von Beeinträchtigungen oder Störungen in diesem Bereich. Auch philosophische Theorien der Gefühle rezipieren diese Forschung zunehmend und versuchen sie zu integrieren. Eine Schlussfolgerung, auf die man manchmal trifft, geht jedoch sicherlich zu schnell: Die Tatsache, dass Gefühle mit bestimmten biochemischen Prozessen verbunden sind, zeigt noch nicht, dass Gefühle nichts anderes als biochemische Zustände sind, oder dass Gefühle weniger bedeutend, authentisch oder frei sind, als wir denken. Denn wie es zu diesen biochemischen Prozessen kommt, und ob sie sich auch ohne die normalerweise mit komplexen Gefühlen verbundene Überzeugungen oder Werturteile einfach «herstellen» lassen, bleibt weitgehend offen.

Sie haben sich als Philosoph mit ethischen Fragen der Kindheit beschäftigt. Die Liebe von Eltern zu Kindern wird oft als «bedingungslos» beschrieben – wie sehen Sie das?

Das Ideal der bedingungslosen Liebe wird oft romantisiert und zugespitzt, gleichzeitig ist nicht so klar, was damit genau gemeint ist. Ich glaube, ein wichtiges Element der Idee der bedingungslosen Liebe ist, dass Eltern ihre Kinder so lieben sollten, dass ihre Liebe nicht abhängig ist von bestimmten Leistungen oder Eigenschaften, sondern dass sie ihre Kinder lieben, wie sie sind. Diese Erfahrung von Akzeptanz und Liebe ist für Kinder von grosser Bedeutung.

Aber das Ideal bedingungsloser Liebe kann falsch verstanden werden oder zu weit gehen: dass man Kinder bedingungslos liebt, bedeutet nicht, dass man ihnen keine Grenzen setzt, dass man sie nicht fordert und fördert oder ihnen beibringt, die Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen. Philosophinnen und Philosophen unterscheiden an dieser Stelle manchmal zwischen akzeptierender Liebe – das ist die Idee, die andere Person so zu akzeptieren, wie sie ist – und transformativer Liebe. Letztere drückt sich darin aus, dass man aktiv dazu beiträgt, dass sich die andere Person weiterentwickeln und entfalten kann.

Wie läuft das Gedankenexperiment am Philosophie Festival genau ab?

Wir schauen zuerst einen Kurzfilm (Filosofix), in dem eine unglücklich verliebte Person mit Hilfe einer «Liebespille» eine andere Person für sich gewinnen will. Im Film wird die Frage gestellt, ob man eine andere Person auf diese Weise beeinflussen darf – schliesslich sei Liebe ja sowieso nie eine freie Entscheidung und wir würden andere Personen gerade am Anfang von Liebesbeziehungen auf vielfältige andere Weisen beeinflussen oder gar manipulieren.

Ausgehend von der Diskussion dieser Frage kommen wir dann sicherlich auf eine Reihe von anderen Themen: Kann es eine Liebespille überhaupt geben? Was würde das für unser Verständnis von Liebe bedeuten? Wäre es eine gute Idee, wie manche Bioethikerinnen argumentiert haben, «love drugs» für die Rettung von eigentlich gelingenden Beziehungen einzusetzen, in denen nur das Begehren fehlt, oder «anti-love drugs» für das Verlassen von toxischen Liebesbeziehungen zu verwenden? Und so weiter. Die Veranstaltung ist sehr interaktiv, alle können mitdiskutieren und ihre eigenen Gedanken über das Wesen und die Freiheit der Liebe einbringen.

Sie haben bereits mehrmals beim Philosophie Festival Diskussionen moderiert. Was schätzen Sie am Festival?

Ich schätze vor allem die offene und neugierige Atmosphäre, die spürbare Freude daran, sich auszutauschen. Während und vor allem auch zwischen den Veranstaltungen sitzen ganz unterschiedliche Menschen zusammen und diskutieren über interessante Fragen. Auch die Vielfalt der Veranstaltungen gefällt mir, in denen Gäste mit verschiedenem Hintergrund lebensnah über philosophische Fragen sprechen.

Weiterführende Informationen

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Dr. Holger Baumann (Senior Researcher / Lecturer / Project Development and Funding / Dozent am ASAE)