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Psychologie

Wie Teams auf engem Raum funktionieren

Sechs Leute, die vier Wochen lang eine Weltraummission simulieren. Sie wohnen und arbeiten auf engstem Raum. Wie kann das gut gehen? Das erforscht ein Psychologe der UZH.
Carole Scheidegger
Ein Teil des LunAres-Teams im Kontrollraum der Forschungsstation. (Bild: zVg)

Es klingt nach Big-Brother-Haus, ist aber ein Forschungsprojekt: Sechs Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt haben in der nachgebauten Raumstation LunAres im polnischen Piła während vier Wochen eine Weltraummission simuliert. UZH-Psychologieprofessor Jan B. Schmutz hat das Projekt geleitet und erzählt im Interview, wie das Experiment verlief und ob sich die Erkenntnisse auf normale Arbeitssituationen übertragen lassen.

Wie kann man sich den Ablauf dieser simulierten Mission vorstellen?

Jan B. Schmutz: Der Alltag auf einer Raumstation wurde möglichst genau nachgebildet. Die Zeit war durchgetaktet, die Teilnehmenden mussten beispielsweise Experimente durchführen oder andere Aufgaben erledigen. Sie schliefen in Stockbetten und assen Trockennahrung. Sie verbrachten also viel Zeit auf engstem Raum, mit wenig Privatsphäre oder Freizeit. Alle Crewmitglieder hatten spezifische Rollen: Es gab einen Kommandanten, der die Führung innehatte, einen Chefingenieur, ausserdem Verantwortliche für Kommunikation, Medizin, Biologielabor und Forschungsprojekte.

Wie sieht die Station aus?

Sie ist wie ein Oktogon angeordnet, mit Kommandozentrale, Küche, Schlafraum und Biologielabor. Zudem gibt es einen komplett dunklen Aussenbereich, wo die Teilnehmenden quasi auf dem Mond waren. Diese «extravehicular activities» waren mit viel Aufwand verbunden, die Teilnehmenden mussten Sicherheitsvorschriften einhalten und durch eine Schleuse gehen. Allein das Anziehen des Aussenanzugs dauerte etwa eine halbe Stunde.

Was können Sie uns über die Crewmitglieder sagen?

Sie wurden von den LunAres-Betreibern rekrutiert. Die Teilnehmenden stammten aus den USA, aus Kanada, Brasilien, Indien und Polen. Manche von ihnen arbeiten im Sektor Raumfahrt, andere studieren verwandte Fächer. Spürbar war eine echte Begeisterung für Wissenschaft und Weltraumforschung, sie möchten einen Beitrag leisten, um diesen Bereich weiterzubringen.

Eine Person im Raumanzug steuert mit einem iPad ein kleines Raupenfahrzeug auf einer simulierten Mondiberfläche.
Ein Teammitglied bei einer so genannten extravehicular activity, die Einsätze af der Mondoberfläche simulieren. (Bild zVg)

Was ist Ihr Forschungsinteresse?

Das Hauptziel war, den Einfluss von Isolation und Mangel an Privatsphäre auf das individuelle Wohlbefinden, aber auch auf Teaminteraktionen zu untersuchen. Bis heute weiss die Wissenschaft relativ wenig darüber, was bei einem Team, das auf engstem Raum zusammen auskommen muss, dazu führt, dass es gut funktioniert, und was diese Zusammenarbeit mit den einzelnen Menschen macht. Im Hinblick auf zukünftige Missionen im Weltall, etwa auf einer Raumstation oder auf Flügen zum Mond oder Mars macht es darum Sinn, durch solche Simulationen mehr herauszufinden: Wie muss man Teams trainieren, auf welche Eigenschaften muss man bei der Auswahl der Leute achten?

Wie haben Sie die Mission begleitet?

Ich betreue das Projekt gemeinsam mit meiner Mitarbeiterin Monika Maślikowska und meinem Mitarbeiter Thomas Walker. Verschiedene Methoden kommen zum Einsatz:  Wir setzten zum einen eine Tagebuchstudie ein: Die Teilnehmenden füllten jeden Tag quantitative Fragebogen aus und hielten in einem Tagebuch fest, wie es ihnen geht. Ausserdem führten wir vor und nach der vier Wochen dauernden Mission Interviews durch, sowohl einzeln als auch mit der ganzen Gruppe. Zudem – und das ist ein Novum – verwendeten wir Sensoren, die die Nähe zu anderen Teammitglieder messen. Jedes Teammitglied trug einen Sensor, womit wir nach der Mission soziale Netzwerke berechnen konnten: Wir sehen, wer wie viel Kontakt mit wem hatte, können die Positionen im Netzwerk bestimmen. Zusammen mit den anderen Daten sehen wir die Auswirkungen auf das individuelle Wohlbefinden und die Position im Team.

Gab es Kameraüberwachung?

Zwei Mitarbeiter von LunAres fungierten quasi als Bodenpersonal und waren Kontaktpersonen zur Aussenwelt. Sie hatten aus Sicherheitsgründen Einblick via Kameras, diese Aufnahmen werden von uns aber nicht ausgewertet.

Jan Schmutz

Solche Missionen brauchen eine gute Vorbereitung, vielleicht auch Psychoedukation, und die bewusste Feststellung, dass es wichtig ist, an einem guten Teamklima zu arbeiten.

Jan B. Schmutz
Professor für Angewandte Teamforschung

Was sind die ersten Ergebnisse Ihrer Forschung?

Wir haben sehr viele und komplexe Daten erhoben, besonders die Netzwerkdaten haben einen hohen Komplexitätsgrad. Wir stehen mit der Auswertung noch ganz am Anfang. Aber grundsätzlich lässt sich bereits sagen, dass wir sehr zufrieden sind mit der Mission. Wenn man sechs Leute für vier Wochen in Isolation schickt, trägt man auch eine Verantwortung, da diese Situation belastend sein kann. Im Allgemeinen hat die Crew es sehr gut gemacht. Wir haben auch in den Interviews gesehen, dass die Gruppe sehr zusammengeschweisst war. Es gab aber auch Konflikte, die die Crew glücklicherweise selbst lösen konnte.

Um was drehten sich die Konflikte?

Meistens ging es um unterschiedliche Erwartungen dazu, wie eine Sache ablaufen sollte. Gerade Führungsstile können in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich sein. Dazu kommen natürlich die Umstände: Wenn Leute überlastet sind, nicht sehr gut schlafen, kein Sonnenlicht haben, zu sechst in einem Raum sind, reduziert das die persönlichen Ressourcen. Man ist dünnhäutiger. Dann können mehr Missverständnisse entstehen, die zu Konflikten führen.

Welche Resultate haben Sie überrascht?

Ein Ergebnis war so überraschend, dass ich zuerst dachte, ich hätte einen Vorzeichenfehler gemacht bei den Auswertungen. Aber es ist tatsächlich so, dass es bei dieser Mission nicht vorteilhaft war, wenn ein Teammitglied im Netzwerk im Zentrum stand. Je mehr Kontakt ein Crewmitglied mit den anderen hatte, umso eher empfand es negative Emotionen, fühlte sich weniger unterstützt und hatte sogar das Gefühl von Isolation. Normalerweise geht die Netzwerktheorie davon aus, dass es eine positive Ressource ist, wenn jemand zentral positioniert ist, also gute Verbindungen im Team hat. Hier haben wir aber gesehen, dass es jenen schlechter ging, die mehr Kontakte mit den anderen hatten.

Wie erklären Sie sich das?

Im Kontext dieser Mission waren die Leute gezwungen, mit den anderen zu interagieren. Das ist nicht unbedingt schlecht, aber es braucht immer Energie. Natürlich stellt eine solche Mission eine extreme Situation dar. Es kann zu viele Interaktionen geben. Die Implikation aus dieser Erkenntnis ist, dass Allein-Zeiten oder Rückzugsorte eingeplant werden sollten. Wir werden versuchen, diesen Effekt in weiteren Missionen zu replizieren.

Lassen sich die Ergebnisse dieser Forschung auf andere Arbeitskontexte übertragen? Schliesslich sind die wenigsten Menschen Astronaut:innen.

Sehr ähnliche Anforderungen bestehen bei Expeditionen, zum Beispiel in die Antarktis. Auch auf Ölbohrinseln, im Bergbau oder beim Militär gibt es ähnliche Situationen – überall, wo Menschen auf sehr engem Raum zusammenarbeiten. Ich bin aber überzeugt, dass grundsätzlich in sehr vielen Arbeitssituationen ähnliche Faktoren den Erfolg eines Teams ausmachen: zum Beispiel ein positives Teamklima und ein Klima von psychologischer Sicherheit, wenn es also alle wagen, Kritik zu äussern, ohne dass sie negative Folgen befürchten. Ein anderer Punkt sind die Erwartungen, die man ans Team hat: Es braucht ein gemeinsames Verständnis davon, was das Ziel ist.

Wie kann ein gutes Teamklima erreicht werden?

Solche Missionen brauchen eine gute Vorbereitung, vielleicht auch Psychoedukation, und die bewusste Feststellung, dass es wichtig ist, an einem guten Teamklima zu arbeiten. Hilfreich ist zum Beispiel, dass man konstruktiv und nicht auf die Person bezogen Feedback gibt. Wichtig ist es auch, gerade für Vorgesetzte, Wertschätzung zu zeigen und aktiv Feedback einzuholen. Sie sollten also fragen, was verbessert werden kann und ob sie etwas am eigenen Vorgehen verändern sollen. So merken die Teammitglieder, dass ihre Meinung gefragt ist. Für ein Team kann es eine zentrale Strategie sein, dass es gemeinsam reflektiert, was es gut macht und wo es sich verbessern könnte.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Haben Sie selbst schon an einer solchen Mission teilgenommen?

Nein, es würde mich aber reizen. Ich müsste allerdings zuerst noch mit meiner Familie verhandeln, ob ich einfach einen Monat verschwinden kann… Ich fände es sehr spannend zu sehen, wie ich selbst in einer solchen Situation reagieren würde. Ob ich zum Beispiel die Dinge, die ich empfehle, auch selbst anwenden kann.