Header

Suche
Astrophysik

Bisher grösste Simulation des Universums

Die Euclid-Mission der European Space Agency ESA hat die grösste je erstellte Simulation des Kosmos publiziert. Grundlage für die Modellierung waren Algorithmen, die UZH-Professor Joachim Stadel entwickelte.
Theo von Däniken
Ein Ausschnitt aus der neuen Simulation: Jeder Punkt steht für eine Galaxie, blaue Punkte markieren Galaxien im Zentrum von Dunkler-Materie-Klumpen, während rote Punkte Satelliten innerhalb dieser Klumpen bezeichnen. (Bild: Jorge Carretero & Pau Tallada, Port d’Informació Científica / Euclid Consortium)

Die heute veröffentlichte Simulation mit dem Namen «Flagship 2 Galaxy Mock» ist die grösste je erstellte Simulation des Universums. Sie zeigt 3,4 Milliarden Galaxien mit jeweils 400 verschiedenen Parametern wie etwa die Helligkeit, die Position, die Geschwindigkeit oder die Form einer Galaxie. Die Simulation dient unter anderem dazu, die Daten der Mission Euclid auszuwerten. Der ESA-Satellit Euclid vermisst seit Juni 2023 in nie dagewesener Auflösung einen grossen Teil des Universums.

Die Simulation basiert auf einem Algorithmus, den UZH-Professor Joachim Stadel entwickelt hat. Sie wurde bereits 2019 auf dem Hochleistungsrechner Piz Daint am Schweizerischen Zentrum für Supercomputing CSCS in Lugano gerechnet und war bahnbrechend vom Umfang der Rechenkapazität her. Gut 80% der Rechenleistung des damals drittgrössten Supercomputers der Welt wurde für die Berechnung des virtuellen Universums eingesetzt. «Es war eine riesige Herausforderung, einen so grossen Teil des Universums mit einer so grossen Auflösung in einer Berechnung simulieren zu können», erinnert sich Stadel.

Joachim Stadel

Es war eine riesige Herausforderung, einen so grossen Teil des Universums mit einer so grossen Auflösung in einer Berechnung simulieren zu können.

Joachim Stadel
Astrophysiker

Die Berechnung simulierte die Bewegung von 4 Billionen Partikeln unter dem Einfluss der gegenseitigen Gravitationskräfte. In einem zweiten Schritt wurde diese kosmologische Karte mit den Galaxien angereichert, die im Beobachtungsfeld von Euclid liegen. So sollte sie ein möglichst genaues Abbild dessen liefern, was Euclid beobachten wird.

Automatisierte Datenanalyse

«Die Simulationen sind extrem wichtig, damit wir die Analyse der Euclid-Daten vorbereiten können», erklärt Julian Adamek vom Institut für Astrophysik an der UZH, der zusammen mit Stadel und Aurel Schneider an der Erstellung der Simulation beteiligt war. Denn Euclid liefert Daten in solcher Menge und Geschwindigkeit, dass sie in einem ersten Schritt automatisiert verarbeitet werden müssen. Wie die Daten zu interpretieren sind, musste im Vorfeld der Mission anhand der Simulation entwickelt werden.

Die Simulation basiert auf dem anerkannten Standardmodell der Kosmologie und berücksichtigt den aktuellen Stand des Wissens darüber, wie unser Universum zusammengesetzt ist und durch welche Prozesse es geformt wird. Stadel und Adamek erwarten, dass die Daten von Euclid die in der Simulation errechnete Verteilung der Materie im Universum grundsätzlich bestätigen.

Risse im Standardmodell

Dennoch rechnen die beiden auch mit Überraschungen oder unerwarteten Entdeckungen: «Es gibt bereits verschiedene Hinweis auf Risse im Standardmodell», erklärt Stadel. Euclid könnte weitere solche Phänomene, die durch das Standardmodell nicht erklärt werden können, zu Tage fördern. «Es wird spannend sein zu sehen, ob das Modell den neuen hochpräzisen Daten von Euclid standhält, oder ob wir Hinweise auf neue Schwachstellen finden», so Adamek.

Julian Adamek

Es wird spannend sein zu sehen, ob das Modell den neuen hochpräzisen Daten von Euclid standhält, oder ob wir Hinweise auf neue Schwachstellen finden.

Julian Adamek
Astrophysiker

Die Astrophysiker erhoffen sich unter anderem ein besseres Verständnis darüber, was die geheimnisvolle Dunkle Energie ist, die für die Ausdehnung des Universums verantwortlich ist. «Im Modell ist die Dunkle Energie einfach eine Konstante, die die Ausdehnung des Universums erklären kann», so Stadel.

Die Daten von Euclid ermöglichen nun, bis zu zehn Milliarden Jahre in die Vergangenheit zu schauen. «Wir können sehen, wie sich das Universum damals ausgedehnt hat und so messen, wie konstant dieser Wert wirklich ist», sagt Adamek. Auch wenn Euclid noch keine definitiven Antworten liefern kann, so ist Stadel überzeugt: «Mit Euclid werden wir einen Schritt in diese mysteriöse Welt der Dunklen Energie machen.»

Hohe Auflösung

Euclid ist die bisher umfassendste Vermessung des Universums, nicht nur was die Ausdehnung, sondern auch was die Genauigkeit betrifft. Dank der hohen Auflösung können zum Beispiel ganz kleine Verzerrungen in den Abbildungen der Galaxien erkannt werden. Diese Verzerrungen entstehen durch so genannte Gravitationslinsen: Zonen von hoher Materiedichte und Gravitation, die das Licht ablenken. Sie geben Aufschluss darüber, wie die sonst unsichtbare Dunkle Materie im Universum verteilt ist.

Zudem ermöglichen die Spektralmessungen auf dem Euclid-Satelliten, die Entfernung von Galaxien sehr genau zu bestimmen. Dadurch kann eine dreidimensionale Verteilung der Galaxien im Raum erstellt werden. Mit diesen beiden Messmethoden deckt Euclid ein riesiges Gebiet ab: eine Kugel mit einem Radius von zehn Milliarden Lichtjahren.

An der Veröffentlichung der Simulation beteiligte Institutionen

Der Galaxienkatalog wurde von den folgenden Institutionen innerhalb des Euclid-Konsortiums erstellt:

  • dem Institut für Weltraumwissenschaften (ICE-CSIC)
  • das Institut d’Estudis Espacials de Catalunya (IEEC)
  • das Port d’Informació Científica (PIC) (betrieben im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem Centro de Investigaciones Energéticas, Medioambientales y Tecnológicas (CIEMAT) und dem Institut de Física d’Altes Energies (IFAE))
  • die Universität Zürich
  • das Istituto Nazionale di Astrofisica (INAF)
  • die französische Kommission für alternative Energien und Atomenergie (CEA)
  • das University College London (UCL) und
  • das Institut d'Astrophysique de Paris (IAP).

Blick auf seltene Phänomene

Adamek rechnet damit, dass Euclid auch spannende Entdeckungen ermöglicht, die gar nicht im primären Fokus der Mission liegen. «Gewisse Phänomene sind im Kosmos sehr selten, aber weil Euclid einen so grossen Bereich abdeckt, ist die Chance gross, dass wir viele Dinge entdecken, die selten oder unerwartet sind.»

Im März dieses Jahres wurden erstmals von Euclid gemessene Daten publiziert. Dieser «Quick Data Release» enthielt nur einen kleinen Bruchteil der Euclid-Daten, gab aber den Forschenden bereits neue Einblicke in die Netzstruktur des Kosmos oder in Galaxienhaufen. Die Publikation weiterer Daten von Euclid ist im kommenden Frühjahr geplant.