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Das Publikum möge einen Gedanken erübrigen für den englischen Typen mit Verbindungen zu Deutschland, der in den USA lehre, aber am Abend von Trumps Wiederwahl in Zürich über die Lage Asiens spreche, nur um danach per Zoom noch eine Vorlesung über die Weimarer Republik für seine «traumatisierten Studierenden» in New York zu halten. So eröffnete Tooze sein Referat – der englische Typ ist natürlich er selbst, der tatsächlich ein wildes Kaleidoskop an Fakten auf sich versammelt. Es ging weiter mit einer grossen Ladung an «Food for Thought», die Tooze dem Publikum in Schnellsprech servierte.
Zuvor war auch UZH-Prorektor Christian Schwarzenegger auf die Unsicherheiten in der geopolitischen Landschaft zu sprechen gekommen, die nach Trumps Wahl eher zunehmen werden. Die «America first»-Politik werde aller Wahrscheinlichkeit nach zu Spannungen mit den Handelspartnern der USA führen, wie auch innerhalb der NATO. Die Präsidentin der Asia Society und frühere koreanische Aussenministerin Kyung-wha Kan hatte betont, dass tiefes gegenseitiges Verständnis mit den Ländern und der Bevölkerung Asiens der Weg zu Frieden und Wohlstand sei.
Wie Nico Luchsinger, der Executive Director der Asia Society Switzerland, erklärte, hatte Tooze ein sehr offenes Briefing für seine Rede erhalten: «Sprechen Sie über die Lage Asiens». Wo fängt man da an? Tooze begann damit, dass das «Drama der US-Wahl» in Asien kaum gleich gesehen werde wie in Europa, wahrscheinlich sei die Perspektive sogar in Zürich anders als in Berlin. Es sei wohl nicht übertrieben zu sagen, dass Trump für Berlin eine «Polykrise» bedeute, ein Begriff, den Tooze bekannt gemacht hat. Schliesslich sei Europa in Sachen Sicherheit von den USA abhängig. «Der Populismus, das Abwenden von der Nato, das Leugnen des Klimawandels, die enthemmte Persönlichkeit» – das erschüttere Europa zutiefst.
In Asien sehe man die Wahl wohl entspannter. China zucke die Achseln, weil es wisse, dass es so oder so Amerikas Antagonist sein werde. Ein wirkliches Äquivalent zur Nato gibt es in Asien auch nicht. Und was den Handel angeht: «Früher haben wir China in unsere Supply Chains integriert – jetzt betteln wir darum, in ihre aufgenommen zu werden.» Für Asien spiele der innerasiatische Handel eine viel grössere Rolle, das sei der Driver des Wachstums. Vielleicht werde der amerikanische Protektionismus, den wir nun erwarten können, Chinas Marktmacht ein wenig einschränken. Aber das sei marginal, befand Tooze. Asien liege vorn in Schlüsselbereichen der globalen Produktion. Trump komme zudem wunderbar zurecht mit autokratischen Persönlichkeiten wie Duterte und Modi, Putin und Mohammed bin Salman.
Alles fein in Asien also? Ist die Rede von den Polykrisen nur eine Fantasie des Westens? Nein, so einfach machte es sich Tooze nicht. In eindrücklichen Grafiken zeigte er, dass zwar in Ostasien die absolute Armut praktisch ausgerottet ist – vormals bitterarme Länder wie Südkorea oder China haben sich grösstenteils und auf spektakuläre Weise davon befreit. Doch in Südostasien und Südasien sieht das Bild schon wieder anders aus: Dort ist Armut noch eine Realität. 134 Millionen Inder:innen leben mit dem Äquivalent von 2,5 Dollar pro Tag, darüber liegt eine Mitteklasse, die teilweise einen sehr mageren Lohn bezieht.
Von Indien wechselte Tooze nach Bangladesch, wo eine richtige Revolution vor unseren Augen stattgefunden habe, die wir im Westen, beschäftigt mit der Ukraine und dem Nahen Osten, aber kaum wahrgenommen hätten. 170 Millionen Menschen habe diese Revolution erreicht und grundsätzliche gesellschaftliche Übereinkünfte über den Haufen geworfen. Auf der anderen Seite des Kontinents: Pakistan, eine der fragilsten Wirtschaften der Welt. Thailand: Möge als ruhiger Hafen erscheinen, sei aber in einem Teufelskreis von konservativen Kräften und reaktionären Eliten gefangen. Dann Laos: massive Wirtschaftskrise. Nachbar Vietnam: zunehmend autoritär regiert.
Und das Klima: Gemäss Weltbank sei Ostasien zwar sehr verletzlich gegenüber dem Klimawandel, gleichzeitig aufgrund ökonomischer Faktoren resilient. Südostasien aber sei vulnerabel und zu wenig reich, um sicher durch die Krise zu gehen. Anfang der 1990er-Jahre habe Asien die USA und Europa bei der Menge des CO2-Ausstosses überholt – wobei Tooze keinesfalls die kumulierten Emissionen herunterspielen wolle, die der Westen in all den Jahren zuvor in die Atmosphäre gepumpt habe. Aber so wie sich die Lage nun zukunftsgerichtet präsentiere, sei für den Klimaschutz die US-Wahl weniger wichtig als die Entscheidungen, die gerade in Peking getroffen würden. Denn bis Februar 2025 müssen laut dem Pariser Abkommen die Staaten die nächste Runde der national festgelegten Beiträge einreichen.
Der Westen habe bis anhin enttäuschende Antworten auf die Klimakrise gegeben und es verpasst, die entscheidende Kraft bei der Gestaltung neuer Technologien oder der Finanzierung einer wirklich nachhaltigen Entwicklung zu sein. Die Frage der Stunde sei, ob Peking es besser machen könne.
Asien sei der grosse Motor des Wandels, hielt Tooze zusammenfassend fest. Der Kontinent sei auch der grosse Generator von Lösungen. Das müsse der Kontinent auch sein, denn trotz des Optimismus und des Selbstbewusstseins befinde er sich im Fadenkreuz der Polykrisen. Es steht viel auf dem Spiel, denn in dieser Weltgegend wohnten einige der vulnerabelsten Menschen der Welt.
«Wenn wir in Europa und im Westen nicht überrumpelt werden wollen, wenn wir wirklich global leben wollen, dann müssen wir die Eigenständigkeit und Autonomie Asiens verstehen und akzeptieren, denn unsere Probleme sind nicht ihre Probleme», erklärte Tooth. Es gelte, die enorme regionale Vielfalt zu verstehen und die Ereignisse nicht nur in groben Zügen, sondern im Detail und in Echtzeit zu verstehen.