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Prix Schläfli (SCNAT)

Schildkröten eine Stimme verleihen

Schildkröten galten lange als vorwiegend stumme Tiere. Gabriel Jorgewich-Cohen hat in seiner Dissertation gezeigt, dass sie durchaus akustisch kommunizieren. Dafür wird der Postdoktorand am Paläontologischen Institut der UZH mit dem Prix Schläfli in Biologie ausgezeichnet.
Astrid Tomczak-Plewka
Viele Schildkrötenarten, von denen man annahm, sie seien stumm, verfügen in Wirklichkeit über ein breites und komplexes akustisches Repertoire. (Bild: Rafael C.B. Paradero)

Sein erstes Wort war «Mama», sein zweites «Fisch» – nachdem er einen Fischteich entdeckt hatte. «Mein Vater war deswegen ziemlich enttäuscht», sagt Gabriel Jorgewich-Cohen, Postdoktorand am Paläontologischen Institut. Mit dieser Anekdote antwortet er auf die Frage, warum er Biologie studiert hat. «Ich denke, ich hatte keine grosse Wahl, die Biologie hat mich gewählt.» Sein besonderes Interesse galt schon immer Reptilien und Amphibien. «Ich hatte Schildkröten als Haustiere und wollte mehr über sie erfahren, damit ich mich besser um sie kümmern kann», erzählt er. Doch während seines Studiums stellte der gebürtige Brasilianer schnell fest, dass die Studienlage ziemlich dünn war. Ein Grund dafür liegt in der begrenzten Anzahl Tiere: Schildkröten gehören – nach den Krokodilen – zur zweitkleinsten Gruppe der Wirbeltiere. «Ausserdem sind sie gefährdet und oft schwer zugänglich, wahrscheinlich wissen wir deshalb nicht so viel.»

Damit wollte sich Jorgewich-Cohen aber nicht zufriedengeben. Also begann er zu recherchieren und stiess unter anderem auf Videos von sich paarenden Landschildkröten. «Die Männchen machen sehr lustige Geräusche», sagt er. Doch abgesehen davon galten Schildkröten als eher stumme Zeitgenossen, die nicht vokal kommunizieren. Dann traf Jorgewich-Cohen Forschende, die festgestellt hatten, dass Wasserschildkröten im Amazonas bereits als Embryos Geräusche machen. «Ich sagte mir, das ist seltsam. Wir sehen Landschildkröten, die Geräusche machen, wir sehen Wasserschildkröten. Aber diese beiden Vertreter der Schildkröten sind nicht nah miteinander verwandt. Was ist mit all den anderen Arten?»

«Ich konnte nicht aufhören zu lächeln»

Jorgewich-Cohen kontaktierte einen Toningenieur, der für den jungen Biologen spezielle Unterwassermikrophone entwickelte. Für ihn tat sich eine neue Klangwelt auf. «Das war super aufregend», sagt er. «Sie alle machten Geräusche und ich hatte nun Aufnahmen von einer Spezies, die nie zuvor aufgenommen worden war. Ich konnte nicht aufhören zu lächeln.» Allerdings mischte sich in seine Freude auch Unsicherheit, weil das noch nie zuvor jemand gemacht hatte.»

Tiere kommunizieren seit mehr als 400 Millionen Jahren akustisch

Inzwischen war Jorgewich-Cohen Doktorand an der Universität Zürich, arbeitete jedoch an einem anderen Thema. Eines Tages erzählte er seinem Betreuer von seiner Entdeckung, der stellte den Kontakt zu einem Bio-Akustiker her – eins kam zum anderen, Jorgewich-Cohen reiste in Tierpärke in ganz Europa und in den Amazonas, um Aufnahmen zu sammeln. Schliesslich widmete er drei von fünf Kapiteln seiner Dissertation seinen akustischen Befunden. Und diese stellen Annahmen der Evolutionsbiologie in Frage: Bis dato war die Forschung nämlich davon ausgegangen, dass die akustische Verständigung in der Natur eher spät und unabhängig voneinander in mehreren Tiergruppen entstand. Nachdem Jorgewich-Cohen und andere Forschende rund 1800 Aufnahmen von 53 Arten gesammelt hatten, lag der Schluss nahe, dass die akustische Kommunikation schon seit mehr als 400 Millionen Jahren existiert, nämlich seit der Zeit, als die Nasenatmung entstanden ist, zu der auch Reptilien fähig sind. «Aus evolutionärer Sicht sind also die Geräusche von Fröschen, Vögeln, Säugetieren und Schildkröten das gleiche», erklärt der Biologe.

Gabriel Jorgewich-Cohen_quote

Ich hatte keine grosse Wahl, die Biologie hat mich gewählt.

Gabriel Jorgewich-Cohen
Biologe

Kreativität und Enthusiasmus

«Gabriel zeichnet sich durch seine wirklich kreativen und pragmatischen Ansätze für originelle Forschungsfragen und seinen gesunden Ehrgeiz aus, der von enthusiastischer Entschlossenheit und Rücksichtnahme auf andere und die Umwelt geprägt ist», schreibt sein Betreuer Marcelo Sanchez, Professor für Paläobiologie. Fast scheint es, als hätte sich Gabriel Jorgewich-Cohen etwas in die Erwachsenenwelt gerettet, wovon viele träumen: Kindlichen Enthusiasmus. «Meine Interessen sind ganz einfach», sagt er. «Ich liebe Tiere und beschäftige mich gerne mit ihnen.» Dass er nun für diese Beschäftigung mit dem Prix Schläfli, der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) ausgezeichnet wird, konnte er zunächst nicht glauben. «Ich sass im Büro, als ich die Nachricht erhielt. Ich habe laut losgeschrien», erzählt er. «Meine Kollegen haben mir erst mal einen Tequila Shot gegeben.»

Gut möglich, dass es nicht bei diesem einen Shot geblieben ist: Gern trifft sich Jorgewich-Cohen mit seinen Freunden für Drinks. Und er kocht mit Hingabe. «Zurzeit ist das mein liebstes Hobby – und ich passe es dem jeweiligen Land an», sagt er. «Wenn ich italienisch koche, höre ich auch italienische Musik und trage vielleicht ein italienisches Fussballtrikot.» Früher bekochte er seine Familie, heute seine Freundin. Gerne würde er wieder nach Brasilien zurückkehren und dort weiter forschen – am liebsten im Amazonas. «Dort gibt’s so viele verschiedene Tiere, es wäre toll», sagt er. Ausserdem vermisse er seine Familie und seinen Hund. Er ist zuversichtlich, dass er seine akademischen Pläne verwirklichen kann, ob in Brasilien oder anderswo. «Ich bin ehrgeizig in dem Sinn, dass es Dinge gibt, von denen ich möchte, dass sie passieren. Dann finde ich einen Weg, damit es klappt.» Macht irgendwie Sinn aus dem Mund des Mannes, der den Sound stummer Tiere hörbar gemacht hat.

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