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Psychologischen Beratungsstelle

«Nicht auf die angenehmen Dinge verzichten»

Der 10. Oktober ist Tag der psychischen Gesundheit. Grund genug, sich mit der Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle (PBS) von UZH und ETH zu unterhalten. Livia Bohli sagt, was die psychische Gesundheit stärkt und was die PBS leistet.
Carole Scheidegger
Livia Bohli
Livia Bohli leitet die Psychologischen Beratungsstelle (PBS) von UZH und ETH seit knapp einem Jahr.

Livia Bohli, mit welchen Themen kommen die Studierenden in die Psychologische Beratungsstelle (PBS) von UZH und ETH?
Livia Bohli: Die Themen sind unterschiedlich, aber es gibt einige, die immer wiederkehren, beispielsweise Prokrastination, Prüfungsangst oder Motivationsprobleme. Oft sind die Studierenden in mehreren Bereichen gleichzeitig belastet: in der Familie, in der Partnerschaft oder aufgrund eines Lebensereignisses. Diese Belastungen wirken sich auf die studienbezogenen Themen aus. Im Kontext von Stress und Überforderung können beispielsweise Konzentrationsprobleme, Interessenverlust und Ängste auftreten. Sehr häufig haben psychische Belastungssituationen auch Schlafstörungen zur Folge.

Wie gross ist der Druck, den die Studierenden erleben?
Grundsätzlich ist die Lebensphase während des Studiums anspruchsvoll. Es ist die Spätadoleszenz, die Entwicklungsaufgaben wie die Ablösung vom Elternhaus und eine Identitätsentwicklung mit sich bringt. Gleichzeitig sind die Studierenden mit den Herausforderungen des Studiums konfrontiert und erleben Druck und Stress. Viele Studierende müssen neue soziale Kontakte knüpfen oder Einsamkeitsgefühle bewältigen. Wir von der PBS können psychisch belastete Studierende unterstützen, um frühzeitig ungünstigen Entwicklungen im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit, die Gesundheit und das Wohlbefinden vorzubeugen.

Was bietet die PBS an?
Wir sind eine niederschwellige Anlaufstelle für Studierende und Doktorierende und unterstützen bei persönlichen oder studienbezogenen Problemen. Wir machen entweder eine Kurzberatung oder eine Abklärung: Das heisst, wir schauen gemeinsam mit den Studierenden, was sie brauchen, und vermitteln gegebenenfalls weiter, beispielsweise an eine:n Psychotherapeut:in oder eine andere Beratungsstelle. Im vergangenen Jahr haben wir bei 38,6 Prozent aller Beratungen Psychotherapie empfohlen. Mit unserem Fachwissen können wir die Studierenden sehr gut auf eine Psychotherapie vorbereiten: Was ist Psychotherapie überhaupt? Was kann ich erwarten? Was muss ich beitragen? Wie wird sie finanziert?
Zudem bieten wir Workshops zur Erweiterung der psychosozialen Kompetenzen an.  
 

Grundsätzlich ist die Lebensphase während des Studiums anspruchsvoll.

Livia Bohli
Psychologischen Beratungsstelle (PBS) von UZH und ETH

Was raten Sie Studierenden, die in einer sehr akuten Krise sind?
Wenn sich jemand in einer akuten (suizidalen) psychischen Krise befindet, ist es notwendig, sich direkt an andere Anlaufstellen zu wenden, die rund um die Uhr verfügbar sind und unmittelbar unterstützen können (siehe Kasten). 

Psychotherapie und psychische Störungen sind in den letzten Jahren etwas enttabuisiert worden. Welche Auswirkungen hat das?
Einige Störungen sind tatsächlich weniger tabuisiert, beispielsweise die Depression, ADHS oder Angststörungen. Viele Studierende sind heute besser informiert als früher und bringen selbsterworbene Kompetenzen mit in die Beratung. Auch die Bereitschaft, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist grösser. Das ist grundsätzlich eine positive Entwicklung.
Die Kehrseite ist ein möglicher Leistungsdruck, sozial kompetent, kommunikationsfreudig und konfliktlösungsfähig sein zu müssen. Das kommt zu den anderen Anforderungen hinzu, die viele an sich selbst stellen.

Was können Studierende tun, um ihre psychische Gesundheit zu stärken?
Wir erleben es oft, dass Studierende sehr leistungsorientiert sind und unter grossem Druck stehen. Vor Prüfungen spitzt sich die Situation noch zu. Viele lassen dann ihre Freizeitaktivitäten weg, was längerfristig zu Erschöpfung und weiteren Beschwerden führen kann. Sie gehen nicht mehr joggen oder treffen sich nicht mehr mit Freunden. Wir Berater:innen möchten den Studierenden mitgeben, dass sie Selbstfürsorge oder Energiemanagement betreiben, gerade auch in Prüfungsphasen. Sie sollen herausfinden, was ihnen Energie gibt.   

Gibt es dafür allgemeine Tipps?
Ein Patentrezept gibt es leider nicht. Wir empfehlen den Studierenden, individuell herauszufinden, was ihnen guttut, womit die Batterien wieder aufgeladen werden können. Es ist wichtig, für sich selbst einen Ausgleich zu finden: Brauche ich nach einem langen Tag in der Bibliothek, an dem ich viel kognitive Arbeit geleistet habe, soziale Kontakte? Oder Ruhe? Oder vielleicht eine kreative Tätigkeit, wie Malen oder Töpfern? Oder bin ich ein sportlicher Typ, der Bewegung braucht? Oder eine spirituelle Verbindung? Wir raten, Aktivitäten auszuprobieren und sich dabei selbst besser kennenzulernen.

Was tun Sie selbst, wenn Sie traurig sind?
Ich finde es heilsam, dann in Verbindung zu gehen: Zum einen in Verbindung mit mir selbst. Die Trauer wahrnehmen und versuchen zu verstehen, was sie bedeutet. Mich um mich selbst zu kümmern. Zum anderen gehe ich auch in Verbindung nach aussen. Zum Beispiel bei einem Waldspaziergang mit der Natur. Oder ich suche das Gespräch mit einer guten Freundin.

Gehört es zum Menschsein, manchmal traurig zu sein?
Traurigkeit ist ein normales menschliches Gefühl. Eine Emotion, die sich in verschiedenen Zuständen manifestiert: im Körper, im Fühlen, im Denken und im Verhalten. Es ist wichtig, der Trauer Raum zu geben und sie als menschlich anzuerkennen. Wir können nicht 24 Stunden am Tag glücklich sein. Erst, wenn die Traurigkeit länger anhält, kann dies Hinweis auf eine Erkrankung sein.

Gibt es Dinge, die Sie von Ihren Klient:innen gelernt haben?
Meine jüngste Klientin war 17 Jahre alt, die älteste 93 Jahre. Von ihnen habe ich gelernt, dass ein Leben lang Entwicklung und Wachstum möglich ist, auch noch kurz vor dem Tod. Vielleicht kann das die Studierenden auch ein wenig entlasten: Sie müssen nicht alles schon jetzt erreichen, sondern dürfen sich auch Zeit lassen. Und jede Lebensphase bietet ihre Chancen. Man kann Dinge ausprobieren, dadurch wachsen und sich weiterentwickeln. Vielleicht merkt man, dass der Weg woanders hinführt. Aber es ist kein Verlust, sondern eine Erfahrung, wenn man mal einen Umweg macht.

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