Navigation auf uzh.ch
Die Forschungsgruppen des Universitäts-Kinderspitals Zürich (Kispi) arbeiten seit diesem Sommer in ihrem neuen weissen Rundbau an der August-Forel-Strasse 51. Das Kispi selbst befindet sich gegenüber auf der anderen Strassenseite. Zu Fuss ist man in wenigen Minuten dort.
Mit dem Umzug nach Zürich Lengg konnte die traditionell enge Verbindung von pädiatrischer Forschung und Spital endlich auch räumlich umgesetzt werden – «ein riesiger Vorteil», sagen der Direktor Forschung und Lehre, Matthias Baumgartner, und die Forschungsmanagerin Nicole Meili unisono. Im neuen Forschungsgebäude laufen sich alle immer wieder über den Weg – Masterstudierende, Doktorierende, Postdocs und Professor:innen. «Das gibt zum ersten Mal in der langen Geschichte des Kispi ein Instituts-Feeling und schafft Synergien», sagt Baumgartner. Vorbei die Zeiten, als sich die Mitglieder von Forschungsgruppen kaum kannten, da sie über die ganze Stadt verteilt arbeiteten.
Im Neubau sind miteinander verwandte Forschungsgebiete, die technische Infrastruktur gemeinsam nutzen, auf dem gleichen Stockwerk angesiedelt. So befinden sich zum Beispiel die Stoffwechselforschung, die Klinische Chemie, die Endokrinologie und die Erforschung des Tumorstoffwechsels auf der gleichen Etage.«Bereits brechen bisherige Abteilungsgrenzen auf», konnte Matthias Baumgartner beobachten. Insbesondere beim Bestreben, Künstliche Intelligenz (KI) in der Pädiatrie gewinnbringend zu nutzen. Die Data-Science-erfahrenen Forschenden aus der Onkologie, der Magnetresonanzforschung, der Intensivmedizin und die Bioinformatiker:innen der Abteilung Stoffwechselkrankheiten kommen miteinander ins Gespräch. «Das ist grossartig», freut sich der Direktor Forschung und Lehre. «Der Neubau ist ein Game Changer.»
Das Kispi befindet sich mitten im Spital-Cluster Lengg. So ist die Universitätsklinik Balgrist, die sich auf Erkrankungen des Bewegungsapparats spezialisiert hat, ganz in der Nähe. Mit dem Balgrist ist das Kispi seit längerem über die Sarkom-Forschung verbunden, die sehr seltene, bösartige Tumoren im Stütz- und Bindegewebe von Kindern erforscht.
Eine hilfreiche Nachbarin ist auch die Schweizerische Epilepsie-Klinik, mit der das Kispi ebenfalls eng zusammenarbeitet. Sie wird dem Kispi in Zukunft neu auch Studios für Eltern zur Verfügung stellen, deren Kinder länger im Kispi in Behandlung sind.
Matthias Baumgartner ist neben seiner Tätigkeit als Kispi-Forschungsdirektor auch UZH-Professor für Stoffwechselkrankheiten bei Kindern und leitet das Neugeborenen-Screening. Das Labor für die nötige Spezialdiagnostik ist im Neubau im Geschoss unmittelbar über der Stoffwechsel-Forschung angesiedelt. «Beim Neugeborenen-Screening suchen wir nach seltenen Krankheiten, die sich gut behandeln lassen», sagt Baumgartner. «Werden Babys, die an einer seltenen Krankheit leiden, früh behandelt, können sie als Kinder und Erwachsene meist ein normales Leben führen.»
KI könnte datenbasiert Inputs geben, was schwerkranken Kindern am ehesten hilft.
Für eine gute Diagnostik und Therapie seltener Krankheiten – und bei Kindern sind fast alle schweren Krankheiten selten – ist eine möglichst breite Zusammenarbeit unabdingbar. Dazu beitragen will die derzeit laufende grosse Studie «SwissPedHealth» der Swiss Personalized Health Initiative. Co-Leiter ist der Kispi-Intensivmediziner Luregn Schlapbach. Ziel ist es, einen «National Data Stream» aufzubauen, der von allen Schweizer Kinderspitälern gespeist wird. Die bisher verstreuten Daten sollen gesammelt und der klinischen Forschung zugänglich gemacht werden. «Ein riesengrosses Unterfangen», sagt Baumgartner, «vor allem eine sichere Infrastruktur und die Kollaborationen sind aufwendig aufzubauen.»
Der Co-Leiter Luregn Schlapbach hat Künstliche Intelligenz und Machine Learning in die klinische Forschung eingebracht. «Das ist ein grosser Gewinn fürs Kinderspital», sagt Baumgartner, «und bringt einen direkten Benefit für die Patient:innen.» In Zukunft soll der Bereich KI weiter wachsen. Bereits ist eine kritische Grösse an Postdocs aus verschiedenen Abteilungen erreicht, dank der es möglich wird, mehr Fördergelder für die Forschung mit KI zu akquirieren. «Wir möchten den Impetus nutzen, den wir durch SwissPedHealth erhalten haben, um am Kispi und schweizweit die Digitalisierung voranzutreiben», sagt Baumgartner. Er ist überzeugt, dass damit bessere und schnellere Entscheide zum Wohle der Patient:innen gefällt werden können. «Im besten Fall wird KI uns datenbasiert Inputs geben können, was bei schwerkranken Kindern am ehesten hilft.»
Ein weiterer Teil von SwissPedHealth ist das sogenannte Lighthouse Project. Es will in enger Zusammenarbeit mit der ETH Zürich die Diagnostik schwerstkranker Neugeborener und Kinder auf der Intensivstation mithilfe von Multiomics verbessern. Multiomics bedeutet, dass nicht nur das Erbgut (Genom), sondern auch die Proteine (Proteom) und der Stoffwechsel (Metabolom) der Schwerkranken sowie die RNA (RNA-Seq) untersucht werden, um die Ursachen herauszufinden, die zum lebensgefährlichen Zustand geführt haben. Eine der grossen Herausforderungen dabei ist das Abholen des Einverständnisses der Eltern, dass das Kispi die gewonnenen Daten für Forschungszwecke nutzen darf. Wenn ein Kind auf der Neonatologie oder der Intensivstation liegt, ist das eine äusserst belastende Situation für die Angehörigen. Mitarbeitende der Bioethik der ETH Zürich untersuchen und unterstützen das Kispi im Bestreben, die Patient:innen und deren Eltern gut in die Multiomics-Forschung miteinzubeziehen.
Das Kispi baut derzeit auch eine Biodatenbank mit Zell- und Blutproben und den wichtigsten dazugehörigen Daten auf. Dazu arbeitet es mit der UZH, der ETH Zürich und den drei anderen universitären Kliniken in Zürich zusammen. Die wertvollen Samples sollen allen Forschenden zur Verfügung stehen. Im zweiten Untergeschoss des neuen Kispi-Forschungsgebäudes befindet sich eine hervorragende Infrastruktur für die Kühlung der biologischen Proben. Das System wird rund um die Uhr nach neuesten Sicherheitsstandards überwacht und bietet eine optimale Lagerung der Proben. «Das ist ein riesiger Vorteil, den wir so vor dem Umzug nicht hatten», betont Forschungsmanagerin Nicole Meili.
Am neuen Standort Lengg gibt es nicht nur genügend Platz für die bestehenden Forschungsunterfangen, es existiert sogar noch eine Reservefläche für Neues. «Am alten Standort in Hottingen mussten wir bei Anfragen teils aus Platzmangel abwinken oder an Räumlichkeiten der Universität Zürich verweisen», sagt Baumgartner. Nun kann dem erfreulichen Umstand, dass die Drittmittel-Einnahmen für die Forschung in den letzten fünf Jahren stetig gestiegen sind, endlich Rechnung getragen werden: «Es ist wieder möglich, dass eine neue SNF-Professur oder eine ERC-Grant-Empfängerin zu uns kommen könnte», sagt Baumgartner.
Die unmittelbare Nähe von Forschungsneubau und Kinderspital erleichtert die Verzahnung von Klinik und Forschung. Wie das genau vor sich geht, schildert Baumgartner am Beispiel der Professorin Bea Latal, die zusammen mit Oskar Jenni die Abteilung Entwicklungspädiatrie leitet. Im Kispi hat Latal fixe Sprechstundenzeiten, während denen sie Patient:innen behandelt; sie ist auch für die Supervision von Assistenzärzt:innen verantwortlich und leitet die klinischen Rapporte. Als Forscherin führt sie mehrere gross angelegte, klinische Kohortenstudien durch, in denen sie das Spektrum, den Schweregrad und den Verlauf von Entwicklungsstörungen bei Risikokindern beschreibt und neue Interventionen zur Verbesserung der Entwicklung dieser Kinder testet. Daneben nimmt sie zahlreiche weitere akademische Aufgaben wahr.
Im neuen Forschungsgebäude arbeiten auch drei Professor:innen, die ausschliesslich forschen: in der Magnetresonanz-Forschung, der Schlafforschung und der Stammzellenforschung. Auch ihnen hat der Umzug einen langgehegten Wunsch erfüllt: topmoderne Labors und eine stimulierende Arbeitsumgebung. «Die Zustände in Hottingen waren in den letzten Jahren prekär, jetzt haben alle endlich eine sehr gute Infrastruktur zur Verfügung», sagt Forschungsmanagerin Nicole Meili.
Das neue Forschungsgebäude wurde so konzipiert, dass sich die Infrastruktur an wandelnde Bedürfnisse und Kollaborationen anpassen lässt, führt Meili aus. Die Labors sind mit einer Standardausrüstung versehen, die für Forschende aus den verschiedensten Disziplinen taugt, gleichzeitig lassen sich die Labors an veränderte Bedürfnisse und Kollaborationen anpassen.
Auf eine fixe Zuteilung von Quadratmetern pro Professur wurde verzichtet. Je nach Zuwachs oder Weggang von Doktorierenden oder Postdocs erhalten Forschungsgruppen mehr oder weniger Arbeits- und Laborarbeitsplätze. Alle paar Jahre werden die Platzverhältnisse neu angeschaut.
Im Neubau wurden zahlreiche Begegnungsorte eingerichtet. So hat es auf jeder Etage eine Kaffeeecke, in der Bibliothek wurden Arbeitsplatz-Nischen integriert, und im Eingangsbereich lädt das Bistro zum Austausch ein. «Am Kispi legen wir allgemein Wert darauf, dass man sich trifft, sich kennenlernt, auch die Leute vom Spital, und auch mal gemeinsam feiert», sagt Meili. «Diese Austauschkultur wird hier wirklich gelebt.»
In den untersten beiden Stockwerken des Forschungsneubaus wurden sogenannte UZH Core Labs eingerichtet. Sie sind mit den neuesten Gerätschaften für Mikroskopie und Durchflusszytometrie bestückt. Damit lässt sich Forschung auf höchstem Niveau betreiben, insbesondere in den Bereichen Immunologie, Onkologie und Stoffwechsel. Die Core Labs stehen aber allen Medizinstudierenden, Doktorierenden oder Postdocs der Medizinischen Fakultät offen. «Es ist ein grosser Vorteil, wenn man diese grossartigen, aber teuren Forschungsinstrumente teilen kann», sagt Baumgartner.
Die Forschung am Kispi gehört gemäss Baumgartner zu den zehn Besten in Europa. Einige Bereiche blicken auf eine lange Tradition zurück. So auch die Forschung zu Stoffwechselkrankheiten bei Kindern, die Baumgartner leitet. Aktuell ist diese auf rund fünfzig Forscher:innen angewachsen, und es werden fünf verschiedene SNF-Projekte durchgeführt. «Über die Jahre bildete sich eine starke Forschungsgruppe, die weiterwächst», so Baumgartner. «Wenn man eine gewisse Grösse erreicht hat, zieht das weiteres Talent an.»
Im Forschungsneubau befindet sich auch eines der wenigen GMP-Labore für Stammzell-Transplantationen und für die Weiterentwicklung von Haut aus dem Labor. GMP bedeutet Good Manufacturing Practice, das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Forschenden die Stammzellen und die «Labor»-Haut so weiterentwickeln, dass sie gut funktionieren und sich beispielsweise züchten lassen. GMP-Labore sind hochreine Labortrakte, in denen unter strengsten Auflagen Stammzellen oder Hautzellen für die Transplantation in Klinik-Patient:innen hergestellt werden. «Bei diesen neuen Arten von Transplantationen arbeiten Kinderspital und Forschung sehr eng zusammen», sagt Baumgartner und Meili fügt an: «Alles, was erforscht und nach gründlicher Prüfung für gut befunden wird, findet den Weg direkt in die Klinik.»
Es liessen sich noch weitere positive Auswirkungen des Umzugs nach Zürich Lengg aufzählen. Als Letztes sei nur noch ein Aspekt erwähnt: «Früher wussten viele nicht, dass das Kispi eine Forschung hat», so Baumgartner. Und das, obwohl das Zürcher Kinderspital weltweit zu den Besten gehört. Nun hat es mit dem markanten weissen Rundbau von Herzog & de Meuron zum ersten Mal in seiner 150-jährigen Geschichte ein sichtbares Wahrzeichen, das seiner Bedeutung entspricht.