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Pride-Monat

«Geschlechtliche Minderheiten sind stärker diskriminiert»

Der Juni ist Pride-Monat. Wie es queeren Menschen in der Schweiz geht, wissen Tabea Hässler und Léïla Eisner: Sie führen jährlich das Schweizer LGBTIQ+ Panel durch. Die beiden geben Auskunft über sogenannte «Konversionstherapien», Diskriminierung und den Einfluss von Nemo.
Carole Scheidegger
Zwei Regenbogenfahnen, die aus einem Fenster hängen
Das Schweizer LGBTIQ+ Panel ist eine Längsschnittstudie, die seit 2019 jährlich die Situation von LGBTIQ+-Personen in der Schweiz untersucht. (Bild: Stock.com)

Vor einigen Jahren fiel Tabea Hässler und Léïla Eisner auf, wie wenig Daten über die Situation von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans, intergeschlechtlichen und queeren Personen (LGBTIQ+) in der Schweiz vorliegen. Das wollten die beiden ändern. 2019 starteten sie deshalb das Schweizer LGBTIQ+ Panel. In jährlichen Umfragen erheben sie, wie sich LGBTIQ+-Personen in die Schweizer Gesellschaft integriert fühlen. Zentral ist dabei, dass es sich um eine Längsschnittstudie handelt: «Wir wollen erfassen, wie sich die Situation im Laufe der Zeit verändert», sagt Tabea Hässler, die eine Oberassistenz am Lehrstuhl für Sozialpsychologie der UZH innehat. Das Panel überwindet auch den «Röstigraben»: Von Anfang an wurden Teilnehmende in allen Landesteilen der Schweiz rekrutiert.

An der letzten Befragungswelle nahmen gut 2'800 Personen teil (siehe Kasten). Welche Fragen beschäftigen sie besonders? «Fehlende Rechte, vor allem für Angehörige geschlechtlicher Minderheiten, sind ein grosses Thema», sagt Léïla Eisner, Oberassistentin am Lehrstuhl Sozialpsychologie an der UZH. «Dazu zählt die fehlende Möglichkeit für einen dritten Geschlechtseintrag in amtlichen Dokumenten.»

Leila Eisner

Angehörige geschlechtliche Minderheiten erfahren mehr Diskriminierung, erhalten weniger Unterstützung und weisen eine schlechtere Gesundheit auf.

Léïla Eisner
Oberassistentin in Sozialpsychologie

Über die Jahre zeigte sich, dass Angehörige geschlechtlicher Minderheiten, also zum Beispiel trans, non-binäre oder intergeschlechtliche Personen, einen höheren Grad an Diskriminierung angaben als Angehörige sexueller Minderheiten, zu denen lesbische, schwule und bisexuelle Personen gehören. «Angehörige geschlechtlicher Minderheiten sind dreifach benachteiligt: Sie erfahren mehr Diskriminierung, erhalten weniger Unterstützung und sind bei schlechterer Gesundheit», sagt Eisner. Menschen können sowohl einer sexuellen als auch einer geschlechtlichen Minderheit angehören. Um den Zeitaufwand für die Beantwortung der Umfrage zu verringern, füllen die Teilnehmenden nur eine Version des Panels-Fragebogens aus.

Eine bleibende Sorge der Panel-Teilnehmenden sind ausserdem medizinisch nicht notwendige Eingriffe bei intergeschlechtlichen Kindern, die noch nicht urteilsfähig sind.

Nemo schafft Sichtbarkeit

Die Befragten wünschen sich mehr Repräsentation in der Öffentlichkeit. Was kann eine prominente Person für die Anliegen der LGBTIQ+-Community bewirken, zum Beispiel Nemo mit dem kürzlichen Sieg am ESC? «Wir wissen aus der Forschung, dass der persönliche Kontakt sehr gut Vorurteile abbauen kann. Mit Nemo erhalten die Anliegen von non-binären Personen ein Gesicht. So kann Empathie aufgebaut werden», sagt Hässler.  «Mir scheint, dass in den Diskussionen über die Gleichstellung von LGBTIQ+ Personen oft die Menschen verloren gehen. Manche nehmen die Debatte nur noch als politisch korrekt oder inkorrekt wahr und vergessen, dass es ganz grundlegend um den respektvollen Umgang mit Menschen geht.»

Tabea Hässler

Wir wissen aus der Forschung, dass der persönliche Kontakt sehr gut Vorurteile abbauen kann.

Tabea Hässler
Oberassistenz am Sozialpsychologischen Institut

Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen ist nach wie vor ein Thema: 10,7 Prozent der Angehörigen einer sexuellen Minderheit gaben in der jüngsten Umfrage an, Ziel eines Hassverbrechens gewesen zu sein. Bei den Angehörigen geschlechtlicher Minderheiten waren es sogar 17,7 Prozent. Nur knapp jede vierte betroffene Person zeigte den Übergriff bei der Polizei an. Die Gründe für diese tiefe Zahl an Anzeigen sind vielfältig, genannt wurde unter anderem das mangelnde Vertrauen in die Strafverfolgung und die Angst, weiter diskriminiert zu werden.

Problematische «Konversionstherapien»

Im Fokus der jüngsten Umfrage waren auch sogenannte «Konversionstherapien». Dabei handelt es sich um Versuche, die sexuelle Orientierung oder die geschlechtliche Identität einer Person zu ändern oder zu unterdrücken. «Sogenannte Konversionstherapien sind keine wissenschaftlich fundierten Therapien. Sie werden oft von Laien durchgeführt, das heisst von Personen, die weder psychologisches noch medizinisches Fachwissen haben», betont Hässler. 9,5 Prozent der befragten Mitglieder sexueller Minderheiten und 15,5 Prozent der Angehörigen geschlechtlicher Minderheiten hatten an solchen Versuchen teilgenommen. Das kann gefährlich sein: «Viele Studien zeigen, dass man die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität nicht von aussen verändern kann und dass sich sogenannte «Konversionstherapien» sehr schädlich auswirken können, bis hin zu selbstverletzendem Verhalten oder Suizid. Daher spricht sich die Schweizer Gesellschaft für Psychologie klar für ein Verbot aus», so Hässler weiter. 

Wie es an den Schweizer Universitäten aussieht

Das Panel erhebt auch, wie es Angehörigen von Schweizer Universitäten geht. Ein Drittel der lesbischen, schwulen oder bisexuellen Personen und sogar die Hälfte der transgender oder non-binären Personen gaben an, dass sie sich an ihrer Hochschule nicht geoutet haben. «Das deutet auf fehlendes Vertrauen hin», sagen Eisner und Hässler. «Hier gibt es noch Arbeit zu leisten, denn es ist belegt, dass die akademische Leistung grösser ist, wenn sich Menschen in ihrem Umfeld wohlfühlen.» Für wichtig halten Eisner und Hässler Beratungsdienstleistungen, wie sie die Abteilung Gleichstellung und Diversität der UZH und die Studierendenvereinigungen Polyunique anbieten. Es wäre wünschenswert, sagen sie, dass diese Angebote noch bekannter würden.

Eisner und Hässler werten es als wichtiges Signal, dass die UZH in Dokumenten genderneutrale Formulierungen verwendet und dass trans Studierende an der UZH die Möglichkeit haben, Namen und Geschlechtseintrag abweichend vom amtlichen Ausweis zu verwenden. Sie begrüssen zudem die UZH-Kampagne «CommUNIty», die für einen wertschätzenden Umgang sensibilisiert und unter anderem auf Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung aufmerksam macht.

Positive Entwicklungen

In der Schweiz kam es seit dem Start des Panels 2019 auch zu Entwicklungen, die die Befragten positiv beurteilten: zum Beispiel die Ehe für alle, die Vereinfachung der Änderung des Geschlechtseintrags bei offiziellen Dokumenten und die Ausweitung des Anti-Diskriminierungsgesetzes auf die sexuelle Orientierung. «Wir wissen aus der internationalen Forschung, dass mit einer solchen rechtlichen Gleichstellung die Akzeptanz von Minderheiten zunimmt», erklärt Eisner. «Manche Teilnehmende des Panels bedauerten aber, dass die Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität nicht ins Gesetz aufgenommen wurde.»