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Paul-Karrer-Medaille

«Man muss ein Champion des Scheiterns sein»

Nobelpreisträgerin Katalin Karikó besuchte kürzlich die UZH, um die Paul-Karrer-Medaille entgegenzunehmen. Die ungarisch-amerikanische Biochemikerin musste bei ihrer bahnbrechenden mRNA-Forschung zahlreiche Rückschläge hinnehmen. Im Interview erzählt sie, was sie zum Weitermachen motivierte und welchen Rat sie jungen Forschenden gibt.
Carole Scheidegger
Roland Sigel und Katalin Kariko
Roland Sigel, Dekan der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der UZH, überreicht Katalin Karikó die Paul-Karrer-Medaille.

Katalin Karikó, was bedeutet es Ihnen, die Paul-Karrer-Medaille zu erhalten?

Katalin Karikó: Als ich erfuhr, dass ich diese Auszeichnung erhalte, erinnerte ich mich daran, dass Paul Karrer im selben Jahr wie Albert Szent-Györgyi den Nobelpreis erhielt. Das war 1937. Szent-Györgyi war Professor an der Universität von Szeged, wo ich studiert habe und jetzt als Professorin tätig bin. Paul Karrer wie auch Albert Szent-Györgyi forschten an der Isolierung von Vitaminen. Sie inspirierten viele andere Wissenschaftler.

Es ist eine Ehre für mich, die Paul-Karrer-Medaille zu erhalten. Auszeichnungen nehme ich immer im Namen all der Wissenschaftler entgegen, die vor mir kamen und jahrzehntelang an mRNA gearbeitet haben. (mRNA, Abkürzung für messenger RNA, ist eine abgeleitete Form der DNA und enthält den Bauplan für ein Proteinmolekül, Anm. d. Red.)

Welchen Rat geben Sie Studierenden oder jungen Forschenden?

Während meines Aufenthalts in Zürich traf ich mich mit einigen Doktoranden, Doktorandinnen und Postdocs. Ich sagte ihnen, was ich im Laufe der Jahre gelernt habe: Das Wichtigste ist, dass sie Freude an dem haben, was sie tun. Denn wenn man mit dem, was man tut, zufrieden ist, macht man mehr davon, und so baut man Expertise auf. Und ich habe ihnen gesagt, dass auch die körperliche und psychische Gesundheit sehr wichtig ist. Mit 50 Jahren lief ich den Marathon in viereinhalb Stunden. Ich habe die Studierenden aufgefordert, meine Zeit zu schlagen.

Katalin Kariko Quote

Mein Rat an junge Forschende: Das Wichtigste ist, dass sie Freude an dem haben, was sie tun.

Katalin Karikó

Haben Sie einen besonderen Ratschlag für die Frauen in der Wissenschaft?

Nun, ich würde mich eher an die Regierungen wenden: Sie sollten ihnen mit einer erschwinglichen, hochwertigen Kinderbetreuung zur Seite stehen, wie ich sie in Ungarn hatte. Wissenschaftlerinnen sollten sich nicht zwischen einer Karriere und einer Familie entscheiden müssen. Und sie sollten einen Partner finden, der sie unterstützt und ihren Traum versteht.

Sie scheinen sehr widerstandsfähig zu sein, auch wenn die Umstände schwierig sind.

Ich würde nicht hier sitzen, wenn ich in der Schule nicht gelernt hätte, wie man mit Stress umgeht. Ich las damals das Buch «Stress beherrscht unser Leben» von Hans Selye. Später wurde mir klar, dass es der stoischen Philosophie ähnlich ist: Man muss sich auf das konzentrieren, was man ändern kann. Man sollte sich immer fragen: «Was kann ich tun?», nicht, was andere Leute tun sollten. Das gilt auch, wenn ein Paper oder ein Förderantrag abgelehnt wird.

Sie haben sich schon sehr früh mit der mRNA-Forschung beschäftigt. Was hat Sie ursprünglich dazu inspiriert, in diesem Bereich tätig zu werden?

Ich muss gestehen, dass ich keine Visionärin bin. Ich kann mich konzentrieren und durchhalten – das ist es, was ich kann. Nach meinem Universitätsabschluss wollte ich in einem Labor arbeiten. Ich mochte Pflanzen und Genetik, aber es war nur eine Stelle frei in einem Labor, das sich mit Lipiden beschäftigte, also Fettmolekülen. Langweilig. Aber dann kamen Wissenschaftler zu uns ins Team, die an den Erbgutmolekülen DNA und RNA forschten. Und eines Tages sagte der Leiter des RNA-Teams zu mir, er habe eine freie Stelle und ich könne dort promovieren. Deshalb ist ein weiterer Rat an die Studierenden: Was immer man euch gibt, nehmt es an, vertieft euch darin und lernt.

1985 verliessen Sie Ungarn und zogen in die USA.

Meine Position in Szeged wurde gekündigt. Ich wollte zunächst irgendwo in Europa arbeiten, aber da wir hinter dem «Eisernen Vorhang» waren, konnte ich in Europa keine Arbeit finden. Also musste ich in die USA ziehen.

Dort haben Sie Ihre Forschung über mRNA betrieben. Haben Sie vorausgesehen, welche Rolle die mRNA bei Impfstoffen spielen könnte, und wenn ja, ab wann?

Ich war daran interessiert, mRNA aus therapeutischen Gründen zu entwickeln, und konzentrierte mich vorerst nicht auf Impfstoffe. In den 1990er Jahren war die Behandlung von HIV ein grosses Thema.

Wie sind Sie zur Impfstoffforschung gekommen?

An der Universität Pennsylvania lernte ich Drew Weissman am Kopierer kennen. Wir waren in verschiedenen Abteilungen und Gebäuden: Ich war in der Neurochirurgie, er ist Immunologe. Wir kombinierten unser Fachwissen in verschiedenen Bereichen und arbeiteten an mRNA-Impfstoffen. Ursprünglich stand die entzündliche Natur der mRNA ihrer medizinischen Verwendung für Impfungen im Wege. Indem wir einen der Bausteine der mRNA, Uridin, durch Pseudouridin ersetzten, wurde die entzündliche Reaktion der mRNA verhindert. Diese Entdeckung führte schliesslich zur Entwicklung des mRNA-Impfstoffs gegen Covid-19.

Sie haben eng mit Drew Weissman zusammengearbeitet. Gemeinsam wurden Sie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Was braucht es, damit eine wissenschaftliche Zusammenarbeit erfolgreich ist?

Wir haben uns gegenseitig weitergebildet und respektiert. Man muss bereit sein, dem anderen zuzuhören. Ich habe von Drew alles über Immunologie gelernt. Zum Beispiel über die dendritischen Zellen, die erst kurz zuvor entdeckt worden waren. Und er lernte von mir über RNA.

Normalerweise schaue ich nach vorne und setze meine ganze Energie in das, was ich als nächstes tun kann.

Katalin Karikó

Sie wurden von Ihrer Stelle an der Universität Pennsylvania degradiert. Wie haben Sie die Energie gefunden, Ihre Arbeit fortzusetzen?

Noch einmal: Es ist am besten, sich nicht mit den Entscheidungen anderer Leute aufzuhalten. Ich war damals 58 Jahre alt, und nachdem ich meine Stelle verloren hatte, wurden mir zwei Jobs angeboten: einer bei Moderna, der andere bei Biontech. Ich fing also bei Biontech an und musste dafür nach Deutschland umziehen. Das war anfangs nicht einfach, aber normalerweise schaue ich einfach nach vorne und setze meine ganze Energie in das, was ich als nächstes tun kann.

Jetzt ist das Thema mRNA-Impfstoffe auch ausserhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft bekannt geworden.

Ja, und es ist sehr wichtig, dass wir der Öffentlichkeit die Wissenschaft und den wissenschaftlichen Prozess vermitteln. Wir müssen offenlegen, was wir wissen, aber auch, was wir nicht wissen. So können die Menschen verstehen, wie der Prozess funktioniert, und ihm vertrauen. Aber natürlich kursieren auch Fehlinformationen über die mRNA-Impfstoffe. In Ungarn gibt es sogar eine kleine politische Partei, die behauptet, ich sei wegen der Impfungen eine Massenmörderin. Das Corona-Virus ist ein RNA-Virus, ich denke, das ist auch wichtig zu wissen. Für die Impfung nutzen wir nur ein kleines Stück davon. Es infiziert die geimpften Menschen also nicht, aber dieses kleine Stück wird ihrem Immunsystem helfen, richtig zu reagieren. Und natürlich hat jedes Medikament Nebenwirkungen, sie können positiv oder negativ sein. Es geht immer darum abzuwägen, wie gross der Nutzen ist, wenn man die Krankheit nicht bekommt, im Vergleich zu den möglichen Nebenwirkungen.

Welche anderen Anwendungen für die mRNA-Technologie gibt es?

Zurzeit laufen mehr als 250 klinische Versuche am Menschen. Viele konzentrieren sich auf Viren, gegen die es noch keine Impfung gibt, wie HIV, das Epstein-Barr-Virus oder neu auftretende Krankheiten wie Affenpocken. Es laufen weitere Versuche für Krankheiten, gegen die es bereits Impfstoffe gibt. Aber mRNA-Impfstoffe werden viel billiger und damit für die Menschen erschwinglicher und zugänglicher sein.

mRNA könnte auch für bakterielle Krankheiten wie die durch Borrelien verursachte Lyme-Krankheit verwendet werden. Auch ein Malaria-Impfstoff befindet sich bereits in klinischen Versuchen am Menschen. Andere Anwendungen sind in der Krebsbehandlung zu finden: Es handelt sich um individualisierte Krebsimpfstoffe für Patienten nach Entfernung eines Tumors. Dies wird zum Beispiel für Bauchspeicheldrüsenkrebs und Melanome erforscht.

Woran arbeiten Sie jetzt?

Ich bin nun noch Beraterin bei Biontech. Meine Stelle habe ich 2022 aufgegeben. Ausserdem arbeite ich an der Universität von Szeged und helfe den Studierenden bei verschiedenen RNA-Projekten. Ich versuche, Forschende zu unterstützen, indem ich sie berate oder Kontakte vermittle, wenn sie keine Antwort von Leuten in höherer Position erhalten.

Wie hat sich Ihr Leben nach der Verleihung des Nobelpreises 2023 verändert?

Schon davor war mein Leben ab 2021 ziemlich hektisch. Im Februar 2021 erhielt ich den ersten Preis. Zuerst wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte. Als Wissenschaftlerin arbeitet man ja meistens im Stillen. Ich habe nie von irgendeiner Art von Preis geträumt. Ich wusste, dass meine Forschung gut war, auch ohne Preise, und dass sie eines Tages jemand aufgreifen wird und eine Krankheit damit behandeln wird. Als Wissenschaftlerin stellt man sich etwas vor, was noch niemand versucht hat, sonst wäre man keine Wissenschaftlerin. Und wenn es nicht klappt, hat man schon viele, viele weitere Lösungen gefunden. Aber als Wissenschaftlerin scheitert man immer wieder, und man muss ein Champion des Scheiterns sein.

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