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FAN Sommeranlass

Die EU und Kants «ewiger» Frieden

Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant veröffentlichte 1795 seine Schrift «Zum ewigen Frieden». Darin formulierte er die Bedingungen für einen dauerhaften Frieden zwischen den Nationen. Eine Idee, die heute teilweise verwirklicht ist, wie UZH-Philosoph Francis Cheneval argumentiert.
Thomas Gull
Philosoph Francis Cheneval spricht über Kant
Immanuel Kants Vision eines «ewigen» Friedens ist keine Illusion, sagt Philosoph Francis Cheneval, doch wir müssen geduldig sein. (Bild Adriana Hefti)

Zweimal pro Jahr lädt der Fonds zur Förderung des akademischen Nachwuchses (FAN) seine Unterstützer:innen zu einem Anlass ein, an dem sie sich mit von ihnen geförderten Nachwuchswissenschaftler:innen austauschen können. Beim diesjährigen Sommeranlass im Restaurant Uniturm stellten die Juristin Corina Heri und der Mediziner Tobias Weiss ihre vom FAN unterstützten Projekte vor. Als Hauptredner beantwortete UZH-Philosophieprofessor Francis Cheneval die Frage, ob die in Kants Schrift «Zum Ewigen Frieden» formulierte Vision eines dauerhaften Friedens eine vergebliche Hoffnung sei.

Konflikte zwischen Staaten auf dem Rechtsweg lösen

Immanuel Kant veröffentlichte seine wichtigste politische Schrift 1795 vor dem Hintergrund des Friedens von Basel zwischen Frankreich und Preussen. In seiner Schrift betonte Kant, Krieg sei ein Übel, weil im Krieg die Rechte der Menschen nicht gesichert werden können. Und er formulierte die Bedingungen für einen dauerhaften Frieden, der mehr sein sollte als das Ausbleiben des Krieges. Dieses so Kant, sei nur eine Art «Waffenstillstand» bis zur nächsten Eskalation. Der wirkliche Frieden hingegen ist ein Zustand des Rechts zwischen den Staaten, analog zum Rechtszustand zwischen den Bürgern eines Staates. In dieser Rechtsordnung werden Konflikte nicht mehr mit kriegerischen Mitteln, sondern auf dem Rechtsweg gelöst. Geschaffen wird diese verbindliche Rechtsordnung durch einen Vertrag zwischen den Staaten, die sich zu einem «Völkerbund» zusammenschliessen, der den «ewigen» Frieden sichern soll.

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Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben, ist kein Naturzustand der vielmehr ein Zustand des Krieges ist. Die bürgerliche Verfassung muss republikanisch sein.

Immanuel Kant
Philosoph

Demokratien bekriegen sich nicht gegenseitig

Ein Kernpunkt von Kants Argument war, dass diese Staaten republikanisch verfasst sein sollten: «Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben, ist kein Naturzustand der vielmehr ein Zustand des Krieges ist. Die bürgerliche Verfassung muss republikanisch sein», so Kant. Das ist bemerkenswert, denn zu seiner Zeit gab es auf der Welt zwei Republiken: die USA und Frankreich. Der Königsberger Philosoph argumentierte, dass Bürger, die selbst über Krieg und Frieden entscheiden, sich gut überlegen, «ein so schlimmes Spiel anzufangen». Daraus ergibt sich, dass Demokratien in denen die Bürger:innen das Sagen haben, nur höchst widerwillig Krieg führen und vor allem nicht gegeneinander. Diese Theorie des «Demokratischen Friedens» besagt, dass es zwischen demokratischen Staaten keine Kriege geben sollte. Sie ist mittlerweile auch empirisch belegt.

Zur Zeit Kants schien die Vorstellung eines dauerhaften Friedens zwischen republikanischen, das heisst demokratischen Staaten, recht illusorisch. Kant selbst lebte in Königsberg (heute Kaliningrad) in Preussen, einem absolutistisch regierten Königreich, in dem allzu revolutionäre Ideen zensuriert wurden.

Die EU als «Völkerbund» im Sinne Kants

Wie Francis Cheneval aufzeigte, war Kants zeitlich unbegrenzte Hoffnung auf Frieden zwischen demokratischen Staaten nicht vergeblich. Obwohl es heute noch Kriege gibt, auch in Europa, und obwohl mit dem Völkerbund eine überstaatliche Organisation scheiterte, die sich an Kants Ideen orientierte, gibt es einen Staatenbund, der Kants Ideal in die Tat umgesetzt hat: die EU. Sie ist ein Zusammenschluss demokratischer Staaten, wo Konflikte zwischen den Staaten auf dem Rechtsweg gelöst werden. Die EU sei ein «Völkerbund» im Sinne Kants, erklärte Cheneval an seinem Vortrag. Er wies darauf hin, dass es mittlerweile weltweit 91 Demokratien gibt, eine Zahl, die der preussische Philosoph wohl für eine Fantasterei gehalten hätte. Diesen stehen 88 Autokratien gegenüber.

Francis Cheneval kam deshalb zum Schluss, der «ewige» Frieden sei zwar noch nicht erreicht, es gebe jedoch «genug begründete Hoffnung auf Frieden». Deshalb, so Cheneval, müsse der Weg zu einer zunehmend friedlichen Welt weiter beschritten werden, mit dem Ziel, dass das Recht die Verhältnisse zwischen den Staaten definiert und nicht der Krieg.

Weiterführende Informationen

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Buchtipp: Markus Willaschek «Kant. die Revolution des Denkens»