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«Begrüssenswerte Entwicklung»

Nähern sich die Staatspräsidenten der rivalisierenden Grossmächte China und USA nach Monaten der Funkstille wieder an? Die Sinologin Simona A. Grano ordnet das Treffen zwischen Joe Biden und Xi Jinping vom 15. November in Kalifornien ein. Grano sprach an der gestrigen internationalen Konferenz «State of Asia 2023» über Taiwan, das zwischen den beiden Grossmächten steht und dessen anstehende Wahlen weder China noch die USA unberührt lassen.
Brigitte Blöchlinger

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UZH-Sinologin Simona Grano (Bild zVg)

Nach einem Jahr Funkstille haben sich der US-amerikanische Präsident Joe Biden und der chinesische Staatspräsident Xi Jinping vor kurzem wieder persönlich getroffen. Erleben wir endlich eine Annäherung der beiden Kontrahenten?

Simona A. Grano: Es ist für die Welt von entscheidender Bedeutung, dass die USA und China ihre Beziehungen verantwortungsbewusst gestalten. Wenn die beiden Supermächte einen Weg zur Zusammenarbeit finden, um zur Lösung geopolitischer Konfliktpunkte und der globalen Krisen in den Bereichen Klima, Nahrungsmittel und Energie beizutragen, wäre dies eine äusserst begrüssenswerte Entwicklung. Denn es würde der Welt und vor allem den kleinen und mittleren Ländern signalisieren, dass sie weiterhin mit China oder den USA zusammenarbeiten können, ohne Vergeltungsmassnahmen der anderen Supermacht befürchten zu müssen. Viele Länder wollen sich nicht zwischen den USA und China entscheiden und fühlen sich in der derzeitigen geopolitischen Polarisierung, die sie vor eine unangenehme Wahl stellt, unwohl. Ich denke, beide Seiten sind sich darüber im Klaren, dass eine Verbesserung der Beziehungen im Interesse aller liegt. Aber ob die Stabilisierung der bilateralen Beziehungen und die derzeitige Phase der Entspannung und des guten Willens andauern werden oder nicht, müssen wir abwarten.

Welche konkreten Fortschritte wurden bei den bilateralen Gesprächen verzeichnet?

Es wurden vor allem in drei Bereichen konkrete Ergebnisse erzielt: Erstens soll der Austausch von Personen ausgeweitet werden. Als Beispiele für solche «people to people exchanges» sind der Studierendenaustausch, Tourismus, Business und Flugbewegungen zu nennen.

Zweitens soll die Kommunikation auf Militärebene wieder aufgenommen werden. Im Südchinesischen Meer und in der Strasse von Taiwan kommt es immer wieder zu gefährlichen Flugmanövern chinesischer Militärflugzeuge und Beinahe-Kollisionen mit der US-Luftwaffe. Insbesondere im Vorfeld der Wahlen in Taiwan im kommenden Januar ist die Wiederaufnahme der militärischen Kommunikation positiv zu bewerten.

Als drittes konkretes Ziel soll die Zusammenarbeit bei der Drogenbekämpfung verstärkt werden. 

Werten Sie das Treffen von Biden und Xi als Erfolg?

Der Xi-Biden-Gipfel wird von vielen als Erfolg gewertet. Ich würde sagen, es ist ein guter Anfang. Denn seit Xis letzter Reise in die USA vor sechs Jahren haben sich die militärischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern stetig verschlechtert. Die Spannungen haben in den letzten zwölf Monaten noch zugenommen, nachdem ein chinesischer Spionageballon über das amerikanische Festland geflogen war und die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi im August 2022 Taiwan einen umstrittenen Besuch abgestattet hatte. 

Verglichen mit früheren Gipfeltreffen zwischen den USA und China sind die Resultate dieses Mal eher bescheiden. Früher kam es zu mehreren geopolitisch wichtigen Vereinbarungen, die zum Beispiel die Eindämmung Nordkoreas anstrebten oder verhindern wollten, dass der Iran Atomwaffen erwerben kann; auch Vereinbarungen zu Klimazielen und zur wirtschaftlichen Koordination zwecks Vermeidung von Finanzkrisen sowie zu gemeinsamen Anstrengungen bei der Terrorismusbekämpfung wurden früher getroffen. 

Simona Grano im Jahr 2010, auf ihrer letzten Reise zur Chinesischen Mauer. (Bild zVg)

Was hat das Treffen den beiden Supermächten gebracht?

Xi und Biden betonten zwar beide die Bedeutung der Beziehungen zwischen den Supermächten für die Welt – insbesondere angesichts der aktuellen Konflikte im Nahen Osten und in der Ukraine –, doch im Hinterkopf hatten die Staatsoberhäupter noch eine andere Motivation für ihr Treffen: die Verbesserung der je eigenen innenpolitischen Position. Beide Supermächte wollen die Risiken ihrer Beziehungen auf ein überschaubares Mass reduzieren, um sich besser auf ihre innenpolitischen Herausforderungen konzentrieren zu können.

Wie sehen diese innenpolitischen Herausforderungen aus?

US-Präsident Joe Biden versucht die Beziehungen zu China zu stabilisieren, um seine Bemühungen und Energien auf den Konflikt in Israel, den Krieg in der Ukraine und die anstehenden US-Präsidentschaftswahlen im November 2024 konzentrieren zu können. Auch beschäftigen ihn die grossen Herausforderungen, vor denen die US-Wirtschaft seit längerem steht – so wurde zum Beispiel die Kreditwürdigkeit der USA erneut herabgestuft. Biden kämpft ausserdem wenige Monate vor seiner angestrebten Wiederwahl mit einer rekordtiefen Zustimmungsrate.

Xis Bemühungen am Gipfel in San Francisco konzentrierten sich darauf, die chinesische Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen. Insbesondere ist er darüber besorgt, dass sich ausländische Unternehmen aus China zurückziehen könnten, was die Bewältigung der wirtschaftlichen Herausforderungen im Inland erschweren würde. Für China wird erwartet, dass sich das Wirtschaftswachstum nächstes Jahr auf 4,6 Prozent verlangsamen wird, da der Immobilienmarkt weiterhin schwach ist, die Auslandsnachfrage gedämpft ist und die Auslandsinvestitionen zurückgehen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist so hoch wie nie zuvor, das Land steht vor einer existenziellen demografischen Abwärtsspirale, und auch die Überalterung wird in den kommenden Jahrzehnten viele Probleme mit sich bringen.

Wie destabilisierend wirkt Taiwans Autonomieanspruch auf die Beziehungen zwischen den USA und China?

Die Taiwan-Frage bleibt das heikelste Thema in den Beziehungen zwischen China und den USA. Trotz des erfolgreichen Gipfels zwischen Xi und Biden hat sich die Taiwan-Politik der USA nicht geändert; die USA werden nicht auf die Forderung Festlandchinas eingehen, die Pläne für Waffenverkäufe an Taiwan aufzugeben. Gleichzeitig wird das chinesische Festland nicht aufhören mit seiner Abschreckungspolitik gegen die «Unabhängigkeit Taiwans». China und die USA werden sich wegen der Taiwan-Frage weiterhin in die Haare geraten.

Auch in Taiwan stehen 2024 Wahlen an. Welche Auswirkungen werden sie auf die Beziehungen zwischen den Supermächten haben?

Egal, ob in Taiwan die China-freundliche Koalition gewinnen wird oder die derzeitige Regierungspartei, die für eine Distanzierung von China eintritt – das Wahlergebnis wird einen grossen Einfluss auf Taiwans Beziehungen zu den beiden Supermächten haben. Auch auf diesem Hintergrund war der Xi-Biden-Gipfel wichtig. Er bot beiden Seiten eine neue Gelegenheit, das gegenseitige Verständnis zu verbessern, Fehleinschätzungen abzubauen und die Zusammenarbeit zu verstärken.