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State of Asia Address 2023

Was die politische Grosswetterlage für kleine Staaten bedeutet

Wie sollen kleine Staaten im Westen wie die Schweiz mit Chinas Vormachtstellung und Expansionsgelüsten im asiatischen Raum umgehen? Der ehemalige Diplomat und Wissenschaftler Bilahari Kausikan aus Singapur ist Gastredner an der «State of Asia»-Konferenz und hält einen öffentlichen Vortrag an der UZH.
Brigitte Blöchlinger

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Der Kleinstaat Singapur hat wirtschaftlich etwas aus sich gemacht – eine gute Strategie, um sich auch gegenüber Grossmächten zu behaupten.

«Ich plädiere für eine ‹klinische Sicht› auf die politische Weltlage», sagt der ehemalige Diplomat und Wissenschaftler Bilahari Kausikan. Er war viele Jahre der Vertreter Singapurs bei der UNO in New York und zwischen 2010 und 2018 Staatssekretär und Botschafter im Aussenministerium von Singapur. «Es bringt nichts, autoritäre Regimes und die existierenden Konflikte zwischen Staaten zu ignorieren.»

Die unabhängige Stiftung «Asia Society Switzerland» hat Bilahari Kausikan als Keynote Speaker an ihre diesjährige «State of Asia»-Konferenz und zu einem öffentlichen Vortrag eingeladen. Als ehemaliger Diplomat kennt Kausikan sowohl die westliche als auch die asiatische Sicht auf die Weltpolitik. «Konflikte zwischen Staaten lassen sich weder wegwünschen noch kleinreden oder aussitzen», sagt er in einem Podcast der «Asia Society Switzerland» mit ihm. «Das wurde dem Westen spätestens im Februar 2022 klar, als der russische Präsident Wladimir Putin sich nicht mehr nur mit der Annexion der Krim begnügte und seine Armee in die Ukraine einmarschieren liess.»

Konflikte können eskalieren

Mit einem solchen Bruch internationaler Abkommen habe der Westen nicht gerechnet – obwohl die Geschichte eigentlich lehre, dass Konflikte zwischen Staaten immer wieder in Kriegen eskalierten, so Kausikan.

Bilahari Kausikan, Singapur (Bild zVg)

Doch aus gesellschaftspolitischen Gründen hätten die verschiedenen Regierungen der EU- und Nato-Staaten während Jahrzehnten die Verteidigungsausgaben gekürzt und stattdessen in die Sozialausgaben investiert, mit dem Segen der Wählerschaft. «Nun zahlen sie den Preis dafür», so die «klinische» Bilanz von Kausikan, der aktuell im Beirat des International Institute for Strategic Studies aktiv ist, eines 1958 gegründeten britischen Forschungsinstituts für Internationale Beziehungen und Strategische Studien, mit dem Schwerpunkt politisch-militärische Konflikte.

 

Die Welt ist pluralistischer als früher

Seit China wirtschaftlich erstarkt und zu einem strukturellen Gegenspieler des Westens geworden ist, ist die Welt definitiv pluralistischer geworden, ist Kausikan überzeugt. Die Zeiten sind vorbei, als Nordamerika und Europa das politische Geschehen weitgehend allein bestimmen konnten. Auch ökonomisch schwächere Länder wie die anderen BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien und Südafrika versuchen auf unterschiedliche Art und Weise ihren Einfluss auszubauen und ihre eigenen Interessen zu verfolgen. «Auch der Westen tut gut daran, von seinem Narrativ, dass er in Krisengebieten die ‹guten Werte› verteidige, abzulassen und stattdessen von einer Verletzung seiner Interessen in der Region zu sprechen; das ist glaubwürdiger.»

Die Interessen des Westens an China

Auch das Verhältnis des Westens zu China sei bisher von Doppelmoral geprägt, so Kausikan. Jahrzehntelang sei der Westen gegen kommunistische Ideologien vorgegangen und habe Chinas Menschenrechtsverletzungen angeprangert, doch als das Reich der Mitte gegen Ende des 20. Jahrhunderts wirtschaftlich aufstieg, wollte man dann doch auch profitieren; man glaubte, eine Annäherung sei unproblematisch, und China mit seinem Billigmarkt werde den Westen nie übertreffen. Dass China nach wie vor ein leninistisches Regime mit völlig anderen Werten war, blendete man aus, als es ein interessanter Handelspartner wurde. Erst seit Regierungschef Xi Jinping seine Ambitionen auf eine Vormachtstellung Chinas in Asien und der Welt offen äussere, sei dem Westen klar geworden, wie konfliktreich die wirtschaftlichen Verstrickungen seien.

Chinas grösstes Dilemma

Eine «klinische Sicht» sei aber auch auf Chinas gegenwärtigen wirtschaftlichen Abschwung nötig. Der Westen sollte diesen nicht als Anfang vom Ende der Grossmacht China missinterpretieren. «Das chinesische System ist recht widerstands- und anpassungsfähig, es bleibt eine strukturelle Wirtschaftsalternative zur westlichen kapitalistischen Ökonomie», so Kausikan. Chinas Staatspräsident Xi Jinping setze gegenwärtig auf Kontrolle, Disziplin und Gehorsam; doch damit die Wirtschaft floriere, brauche es vermehrt Freiheit und Effizienz. Die grösste Herausforderung des heutigen China besteht gemäss Kausikan darin, «ein produktives Gleichgewicht zwischen Kontrolle und Freiheit zu finden.»

Die Bedeutung kleiner Staaten

Wie sollen sich kleine Staaten wie die Schweiz in der gegenwärtigen Grosswetterlage positionieren? Bilahari Kausikan findet, dass es die Schweiz recht gut mache. Als ehemaliger Botschafter des Stadtstaats Singapur ist er überzeugt, dass auch kleine Staaten zu relevanten Playern werden können – durch ökonomische Stärke. Das macht sie als Handelspartner interessant. «Das Tödlichste, was kleine Staaten machen können, ist, nichts aus sich zu machen», ist Kausikan überzeugt. Es habe für Singapur zum Beispiel schon immer heisse Phasen gegeben, in denen es als unabhängiger, starker Kleinstaat gefährdet war. In diesen Situationen habe sich folgendes «Rezept» bewährt: «Bewahre Ruhe, entwickle deine Perspektiven weiter und bring deine Inlandpolitik in Ordnung.»

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