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Redefreiheit

«Die Wahrheit trägt kein Zeichen auf der Stirn»

Die Einladung von Gastrednern an Universitäten ist oftmals Thema heftiger Diskussionen. Zum Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe «Wer darf mitreden?» sprach am Mittwoch der Philosoph Geert Keil. Er schlägt vor, dass nur diejenigen an Universitäten eingeladen werden sollten, die sich an die Tugenden des wissenschaftlichen Diskurses halten.
Marita Fuchs

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Der Philosoph Geert Keil in der Aula der Universität. Reden soll nur, wer seine Argumente gut begründet, Debatten fair und respektvoll führt, nach Wahrheit strebt und auf Rechthaberei verzichtet. (Bild: Roger Stupf, UZH)

Es gibt regelmässig Streit über die Frage, wer als Gast an einer Universität sprechen darf. Rechtlich ist der Rahmen gespannt: Reden darf, wer von einem Wissenschaftler oder einer Wissenschaftlerin der jeweiligen Universität eingeladen wird. Die Schweizer Bundesverfassung garantiert die Meinungsfreiheit sowie die Freiheit von Forschung und Lehre. Diese Rechte werden nur eingeschränkt durch das Strafrecht, falls jemand zu Straftaten aufruft oder Hassreden verbreitet. Doch eine Frage stellt sich immer häufiger: Von welchen Überlegungen sollten Wissenschaftler:innen sich leiten lassen, wenn sie vor der Entscheidung stehen, Externe zu universitären Veranstaltungen einzuladen. Gibt es Personen, die schlichtweg ungeeignet sind?

Die Meinungs- und Redefreiheit gewährt nicht das Recht, zu Veranstaltungen eingeladen zu werden; sie umfasst auch nicht das Recht, zur Publikation. «Viele würden vielleicht mal gern in der New York Times gedruckt werden, aber wem das nicht gelinge, der werde nicht in seinen Freiheitsrechten beschnitten», sagte Geert Keil am Mittwochabend in der Aula der UZH. Ebenso würde auch niemand durch Nichteinladung in seinen Rechten eingeschränkt. Keil eröffnete mit seinem Vortrag eine neue Veranstaltungsreihe zur Redefreiheit an Universitäten an der UZH.

Neuer Name, alte Debatte

Keil, deutscher Philosoph und Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, – in Fachkreisen auch bekannt durch seine Bücher «Redlichkeit: Die Suche nach dem guten Leben», oder «Versuch über die menschliche Fehlbarkeit» – bezog sich auf die aktuelle Debatte über die Cancel Culture. Der Ausdruck sei zwar neu, aber die Debatte sei es überhaupt nicht, sagte Keil. So habe bereits in den 90er-Jahren der Bioethiker Peter Singer eine Kontroverse ausgelöst, als er die Frage aufwarf, ob es ethisch vertretbar sei, das Leben von schwerstbehinderten Neugeborenen zu erhalten, oder ob es in einigen Fällen besser wäre, sie sterben zu lassen. Daraufhin wurde Singer aufgrund öffentlicher Proteste und Anfeindungen von Vorträgen ausgeladen oder am Reden gehindert.

Bei der Forderung einen Redner oder einer Rednerin auszuladen, würden heute oft moralische Argumente angeführt. Vertreter dieser Position fordern zum Beispiel: «Kein Platz für Diskriminierung», «Nulltoleranz für Antisemitismus», «Keine Rassisten an der Uni». Solche Parolen würden sich gegen Personen wenden, denen man Diskriminierung oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vorwirft, so Keil. Schwierig sei aber zu beurteilen, ob eine Person tatsächlich Rassist oder Rassistin sei. «Hat man sich den Ruf `Nazis raus` verdient, wenn man das N-Wort benutzt, wie es Boris Palmer, der Tübinger Oberbürgermeister es jüngst getan hat?», fragte Keil und liess die Antwort offen. Eine rote Linie sei für Einladungen weder praktikabel noch mit der Wissenschaftsfreiheit vereinbar. So einig man sich sei, dass Rassismus oder Antisemitismus an einer Universität nichts zu suchen haben, so kontrovers sei oft die Beurteilung von Einzelfällen. Regelrechte Hassredner würden in der Regel gar nicht erst an Universitäten eingeladen. Streitfälle beträfen oft renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Die Diskussion schwieriger, schmerzhafter, verstörender Positionen auszuklammern, hiesse nicht zuletzt, sich der Aufgabe zu verweigern, sich mit diesen Haltungen auseinanderzusetzen.

Geert Keil
Philosoph, Humboldt-Universität Berlin

Leid vermeiden

Manche Gruppierungen fordern, grundsätzlich niemanden zu Vorträgen oder Diskussionen an die Universität einzuladen, dessen Position von bestimmten Personengruppen als verletzend empfunden werden könnte. Doch die Universität, so Keil, könne ihrem Auftrag und ihrer DNA nach kein `Safe Space` sein, denn sie suche grundsätzlich nach Erkenntnis. Die Diskussion schwieriger, schmerzhafter, verstörender Positionen auszuklammern, hiesse nicht zuletzt, sich der Aufgabe zu verweigern, sich mit diesen Haltungen auseinanderzusetzen. Wissenschaft erfordere geduldige, kooperative ergebnisoffene Erkenntnissuche. Auch könne die Rücksicht auf den Schutz der Gefühle einer Personengruppe zulasten der Gefühle einer anderen Gruppe gehen. Die Wahrheit trage kein Zeichen auf der Stirn, so Keil. Universitäten seien Stätten der Wissenschaft und Erkenntnisgewinn ihr Ziel.

Plädoyer für die intellektuelle Redlichkeit

Seiner Meinung nach wäre es die beste Lösung, Personen nicht einzuladen, die diese Erkenntnissuche aktiv sabotierten. So plädiert er dafür, die Einladung von Diskurstugenden abhängig zu machen. Keil definiert Diskurstugenden als intellektuelle Eigenschaften, die notwendig sind, um an einer offenen, kritischen und rationalen Diskussion teilzunehmen.

Diese Eigenschaften sollen sicherstellen, dass Argumente gut begründet sind, dass Debatten fair und respektvoll geführt werden, und dass verschiedene Standpunkte gehört und diskutiert werden können. Dazu gehöre unter anderem das Bestreben, die Wahrheit zu suchen und Argumente nicht bewusst zu verzerren oder zu verfälschen, Belege und Gegenbelege zuzulassen, beim Punkt zu bleiben und nicht einfach das Thema zu wechseln, dem Gegenüber nicht das Wort im Mund umzudrehen, auf Kritik zu reagieren und auf Rechthaberei zu verzichten. Diese Diskursnormen mit ihren Diskurstugenden, fasst Keil unter dem Begriff der intellektuellen Redlichkeit zusammen.

Quer zu politischen Farbenlehre

In Keils Konzept stehen also nicht bestimmte inhaltliche Positionen im Fokus, sondern eher die Art und Weise, wie diese Positionen diskutiert werden. Aus diesem Umstand lässt sich eine Anforderung extrahieren: Teilnehmen können nur Personen, die sich auf die Minimalbedingungen der intellektuellen Redlichkeit verpflichten. Wer das nicht tun will, nehme sich aus dem Spiel, so Keil. Diese tugendbezogenen Kriterien stünden auch quer zur politischen Farbenlehre. Das Vorgehen sei weder auf dem rechten noch dem linken Auge blind, untugendhaftes und damit der Erkenntnis entgegenwirkendes Diskursverhalten liesse sich unabhängig von der politischen Position kritisieren.

Das Format einer Veranstaltung sollte zur erwartbaren Kontroverse passen, sagte Keil abschliessend. Ist ein Streitgespräch, ein Vortrag oder ein heisser Stuhl geplant? Wer wird noch eingeladen? Das seien Stellschrauben, die bei der Planung einer Veranstaltung wichtig seien. Wer also zu einer konfliktbehafteten Veranstaltung einlade, sei gut beraten, den akademischen Diskursraum zu gestalten. Die Universitäten könnten durch die diskursive Praxis am besten zum Erkenntnisgewinn beitragen. Keils klare Ausführungen markierten einen gelungenen Startpunkt für die Veranstaltungsreihe.

 

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