Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Digitale Psychotherapie

Online-Psychotherapie hat ihre Tücken

Spezielle Internetprogramme und Smartphone-Apps versprechen unkomplizierte Hilfe bei psychischen Leiden. Birgit Watzke und ihr Team am Psychologischen Institut der UZH nehmen die digitalen Helfer unter die Lupe und zeigen ihre Grenzen.
Stefan Stöcklin
Psychologische Beratung und Therapie am Computer sind im Trend, ihre Wirksamkeit ist jedoch fraglich. (Illustration: istock/svetolk)

Therapien für psychische Leiden sind gefragt. Speziell Depressionen und Angststörungen treiben immer mehr Menschen in die Praxen von Psychotherapeut:innen, denn die Zahl der Betroffenen in der Schweiz nimmt zu. Zwar gilt die psychotherapeutische Versorgung hierzulande als gut, aber auf längere Wartezeiten für einen Therapieplatz müssen sich die Hilfesuchenden einstellen.

In diesen Notzeiten versprechen Online-Therapien im Internet und spezialisierte Smartphone-Apps eine kostengünstige Alternative. Sie dürften auch jene Hilfesuchenden ansprechen, die den Gang zum Psychotherapeuten scheuen. Statt zum Spezialisten zu gehen, erlernt man von der digitalen Hilfe verhaltenstherapeutische Massnahmen und behandelt sich selbst.

Das niederschwellige Angebot ist allerdings nicht unproblematisch. «Wir wissen zurzeit noch viel zuwenig über die Wirksamkeit internetbasierter Therapien», sagt Birgit Watzke, Professorin für klinische Psychologie und Psychotherapieforschung an der UZH. «In vielen Fällen sind ihre Effekte noch zuwenig nachgewiesen», fügt sie hinzu. Von Anwendungen ohne professionelle Begleitung rät die Expertin rundweg ab, ausser in eindeutigen Fällen leichter Symptomatik, zum Beispiel bei leichten Depressionen.

Problematische Vergleiche

Die kritische Haltung kommt nicht leichtfertig. Watzke und ihr Team beschäftigen sich seit mehreren Jahren mit internetbasierten Therapien und entwickeln zurzeit auch eine eigene App. Soeben hat die klinische Psychologin im renommierten Fachblatt Jama Psychiatry eine Studie publiziert, die ein Schlaglicht auf die Probleme internetbasierter Therapien wirft. Dabei stehen die Proband:innen im Fokus, die an Studien zu traditionellen Psychotherapie-Gesprächen oder internetbasierten Therapien teilnehmen.

Erstautorin Mariia Merzhvynska untersuchte den Schweregrad der Depression(en) und kam zum Schluss, dass die Teilnehmer:innen von internetbasierten Therapien im Schnitt weniger stark belastet sind. Mit anderen Worten, Studien zu konventionellen und internetbasierten Therapien können nur schwer miteinander verglichen werden, weil sich die Patientengruppen unterscheiden. Für die umfassende Studie analysierte das Autorenteam insgesamt 109 randomisierte klinische Studien mit insgesamt über 18'000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, wovon 57 Studien traditionelle Psychotherapien und 48 internetbasierte Therapien betrafen.

Birgit Watzke

Wir wissen zurzeit noch viel zuwenig über die Wirksamkeit internetbasierter Therapien.

Birgit Watzke
Psychologin

Wenn also internetbasierte Therapien vollmundig als Ersatz für konventionelle Therapie-Gespräche vermarktet werden, wie dies im Internet teils passiert, so sind solche Versprechen aus klinischer Sicht problematisch. «Wir wissen im Moment einfach nicht genau, bei welchen Patienten internetbasierte Therapien sinnvoll und effektiv sind», sagt Birgit Watzke. So ist die Interpretation der einschlägigen Studien aufgrund der unterschiedlichen Stichproben schwierig, wie die Jama-Studie zeigt.

Heikle Selbstdiagnosen

Ein Grund liegt bei den Teilnahmebedingungen: So können sich Teilnehmer:innen in vielen internetbasierten Studien aufgrund einer Selbstdiagnose einteilen, was Manipulationen Tür und Tor öffnet. Eine neutrale Diagnose durch eine Fachperson fehlt. Bei einer klinische Studien entscheiden hingegen Fachleute und klären die Betroffenen ab. Das ist gerade bei Depressionen von Bedeutung, denn das Spektrum ist weit und reicht von leichten Störungen bis zu schweren Belastungen, die in einen Suizid münden können.

Zudem können Depressionen zusammen mit anderen Problematiken wie Persönlichkeitsstörungen oder psychotischen Störungen auftreten, was die Symtomatik erschwert. Bei welchen Formen psychischer Leiden internetbasierte Therapien sinnvoll seien, so Watzke, müsse möglichst genau und nach den Regeln der Kunst in sorgfältigen Studien geklärt werden. Sonst bestehe die Gefahr, Betroffenen ineffektive Therapien zu verschreiben.

Markus Wolf

Grundsätzlich ist die Wirkung schwach, wenn internetbasierte Therapien ohne psycho-therapeutische Begleitung verwendet werden.

Markus Wolf
Psychologe

Trotz all diesen Vorbehalten: Birgit Watzke sieht für internetbasierte Interventionen durchaus eine «vielversprechende Zukunft». Weniger als Ersatz konventioneller Therapien denn zu ihrer Unterstützung – das Stichwort dazu lautet Blended Therapy oder Integrierte Behandlung. In diese Richtung zielt die App «InMind» für Smartphones, die gegenwärtig in Watzkes Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit Kolleg:innen vom Departement Informatik entwickelt wird.

Schlaues Tagebuch

Der digitale Helfer soll zwischen den Psychotherapeut:innen-Sitzungen zum Einsatz kommen und den Patient:innen helfen, die Therapie zu verfestigen. Sie können darin Bemerkungen zum Alltag, ihr Befinden oder Gedanken und Reflexionen zum Therapiegespräch festhalten und strukturieren. «Die App ist eigentlich ein schlaues Tagebuch, das zur Reflektion der Therapie anregen und den Transfer des Besprochenen in den Alltag unterstützen soll», sagt Markus Wolf, Oberassistent im Team von Birgit Watzke, der an der Entwicklung beteiligt ist. Nachdem Experten und Psychotherapeut:innen die App in einer ersten Phase positiv evaluiert haben, werden sie erste Patient:innen nächstes Jahr testen. Bewährt sich das Tool in der Praxis, soll sie künftig breiter eingesetzt werden.

Begleitung nötig

Als digitale Unterstützung für eine ambulante Psychotherapie kann die InMind-App als einfaches Tool bezeichnet werden. Sie geht weniger weit als «Therapien» im Internet, die unterschieden werden müssen in Selbsthilfeprogramme mit und ohne Beteiligung eines Therapeuten. Markus Wolf vergleicht die Selbstilfetools wie beispielsweise «Moodgym» oder «Deprexis» mit der Ratgeberliteratur, die Ende des letzten Jahrhunderts boomte. Die Programme seien gut gemacht und zum Teil auch wissenschaftlich evaluiert, aber nicht mehr als digitalisierte Hilfen zur Selbsthilfe. «Grundsätzlich ist die Wirkung schwach, wenn internetbasierte Therapien ohne psychotherapeutische Begleitung verwendet werden», sagen Markus Wolf und Birgit Watzke unisono.

Angesichts der steigenden Zahl von Menschen, die an psychischen Störungen leiden, bestehe laut den beiden Fachpersonen die Gefahr, dass nicht evaluierte Programme in Umlauf kommen, die nicht einlösen können, was sie versprechen. Passiere dies, dann wären letztlich die Patienten die Leidtragenden. Stattdessen müsse ein differenziertes Angebot für die Betroffenen entwickelt werden. Die Zukunft liegt nach ihrer Ansicht in einer intelligenten Kombination von herkömmlichen und digitalen Methoden: Ziel muss sein, therapeutische Gespräche bestmöglich mit Internet-Interventionen zu verbinden.