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Universitäre Lehrförderung – Teil 2: Lernzielorientierung

Programmieren und Reflektieren

Eine fakultätsübergreifende Ringvorlesung thematisiert die Grundlagen, Anwendungen und Auswirkungen von Machine Learning. Sie bereitet die Studierenden auf die Nutzung von Algorithmen in der Forschung und Arbeitswelt vor und sensibilisiert sie für Gefahren und ethische Fragen der Digitalisierung.
Stéphanie Hegelbach
Am Puls der der Entwicklung: Die Einführung ins Machine Learning vermittelt auch praktische Kenntnisse. Im Bild v.l.n.r.: Titus Neupert, Professor am Physik-Institut, Qing Dai, Ursula Brack und Michael Denner.


Titus Neupert ist ein Entdeckungsreisender in der Welt der Materie. Er ist auf der Suche nach neuen Materialien mit bisher unbekannten Eigenschaften. Sein Expeditionspartner: Machine Learning (ML). Machine Learning-Algorithmen werden mit einer grossen Anzahl von Daten trainiert und können dadurch Zusammenhänge und Muster erkennen, die Forschende nicht explizit beschreiben können. Neupert nutzt diese Algorithmen, um herauszufinden, ob die neuartigen Materialien Besonderheiten aufweisen, die beispielsweise für die Elektronik nützlich sein könnten.

«Machine Learning ist zur Lingua Franca geworden und wird heute wie die klassische Statistik in allen datenintensiven Wissenschaften genutzt», sagt der Physikprofessor. Diese Allgegenwart zeigt sich auch an der UZH: An der Vetsuisse-Fakultät erforscht Sonja Hartnack mit Hilfe von Algorithmen Antibiotikaresistenzen, am rechtswissenschaftlichen Institut prüft Tilmann Altwicker, ob ML sinnvolle Vorschläge für Gerichtsurteile machen kann, und in der Theologie untersucht Thomas Schlag, wie sich Digitalisierung auf Religion auswirkt. Sie alle sind Teil von Neuperts ambitioniertem Pilotprojekt, das im Herbstsemester 2022 in Zusammenarbeit mit der Digital Society Initiative startete: einem ML-Einführungskurs für Studierende aller Fachrichtungen, die diese Lingua Franca für ihre eigenen Zukunftsziele erwerben möchten.

Kritisches Hinterfragen

Die Veranstaltung «Machine Learning – an Interdisciplinary Introduction» funktioniert als Ringvorlesung, in der Dozierende aus allen Fakultäten der UZH ihre Perspektive präsentieren. In den ersten drei Vorlesungen gibt Informatikprofessor Manuel Günther den Studierenden die grundlegenden Werkzeuge mit auf den Weg. «Heute gibt es vorprogrammierte Pakete für vieles. Doch man muss verstehen, welcher Algorithmus zu welchen Daten passt, um valide Ergebnisse zu erhalten», erklärt Neupert.

Nach der intensiven Einführung berichten Forschende wie Hartmann und Neupert, wie sie Machine Learning in ihrer täglichen Arbeit verwenden. Die Gegenüberstellung von konkreten Anwendungsfällen in unterschiedlichen Disziplinen zeigt den Studierenden, was heutzutage alles mit Algorithmen bearbeitet wird. Die Lehrpersonen motivieren die Studierenden jedoch auch, kritisch zu sein und zu hinterfragen, wann Machine Learning Sinn ergibt und wann statistische Analysen besser funktionieren.

«Es hat mich begeistert, dass wir den Studierenden ein überfachliches Mindset näherbringen konnten und sie anschliessend interessante Fragen auf der Metaebene stellten», erzählt Neupert. Dabei durften auch die philosophisch-ethischen Fragen sowie die Gefahren von ML nicht zu kurz kommen: Wird beispielsweise ein Algorithmus, der basierend auf rechtswissenschaftlichen Texten Gerichtsurteile vorschlägt, bereits mit einer verzerrten Datenlage trainiert, könnte unter Umständen eine Minderheit benachteiligt werden. «Machine Learning ist ein zweischneidiges Schwert. Wir wollen die Studierenden darauf vorbereiten und sie sensibilisieren», erklärt der Physiker.

Herausforderung Heterogenität

Diese Fähigkeiten vertiefen die Studierenden in den begleitenden Übungsstunden. «Die Heterogenität der Teilnehmenden – gerade im Bereich Programmierkenntnisse – war jedoch eine riesige Herausforderung», sagt Neupert. Der engagierte Einsatz der beiden Lehrassistenten Michael Denner und Kilian Sprenkamp machte es möglich, dass alle Teilnehmer:innen auf ihrem jeweiligen Niveau abgeholt werden konnten. In den meisten Wochen hatten die Studierenden die Wahl zwischen zwei Übungen – einer Programmierübung und einer schriftlichen Reflexion zum Thema. So konnten sie selbst bestimmen, an welchen Kompetenzen sie weiterarbeiten möchten.

«Wir versuchten durch individuelles Feedback und gemeinsames Live-Coding möglichst viel Hilfestellung zu geben», erklärt der Physikdoktorand Denner. Die Studierenden erhielten die Chance, ihre Lösung nach dem Feedback nochmals zu überarbeiten und die neue Version zur Benotung einzureichen. Die individuelle Überprüfung der Codes von Studierenden sei zwar zeitaufwändig gewesen, doch die Studierenden hätten davon sehr profitiert, so Denner.

Das interaktive Übungsformat bot ausserdem die Chance, überraschende Zusammenhänge zwischen den Anwendungsfällen zu entdecken: zum Beispiel, dass die gleiche Art von Algorithmus zur Vervollständigung von Sätzen wie auch zur Vorhersage von stabilen Molekülen in der Chemie oder von Bitcoin-Preisen auf dem Finanzmarkt verwendet wird.

«Die interdisziplinäre Veranstaltung verlangte viel Ressourcen und freiwillige Zusatzarbeit von allen Beteiligten», sagt Neupert. Doch sowohl die Dozierenden als auch die Teilnehmenden haben davon profitiert: «Sich über die Fachdisziplinen hinweg über die unterschiedlichen Herangehensweisen und Problemstellungen auszutauschen war hochspannend und erweiterte den Horizont von den Studierenden und uns selbst», sagt Denner.

Überarbeiten mit Hilfe von Studierenden

Durch die mehrmalige Auswertung der Studierendenzufriedenheit konnte das Unterrichtsteam bereits während des Semesters Anpassungen am Lehrformat vornehmen. So wurde beispielsweise die Übungsstunde verlängert, damit genügend Zeit blieb, die Übungen zu besprechen und alle Fragen zu beantworten. Dass den Dozierenden die Verbesserung des Kurses am Herzen liegt, spürten auch die Studierenden: «Wir haben einige Studierende angefragt, ob sie bei der Überarbeitung des Kurses mitwirken wollen: Sie waren Feuer und Flamme dafür», so Denner.

Um die ungleichen Programmiervorkenntnisse der Studierenden zukünftig besser aufzufangen, wird vor der nächsten Durchführung im Frühlingssemester 2024 ein zusätzliches Modul zum Programmieren mit Python angeboten, das die Studierenden als Ergänzung belegen können. «Dadurch bleibt in der Vorlesung zum Machine Learning mehr Zeit, um in die unterschiedlichen Disziplinen einzutauchen», erklärt Ursula Brack, die das Pilotprojekt als Lehrentwicklerin begleitet hat. Durch die erstmalige Durchführung des Kurses hat sie wertvolle Erkenntnisse für die Curriculumentwicklung des neuen Nebenfachs «DSI Minor Digital Skills» gewonnen, das die Digital Society Initiative in Zukunft anbieten möchte. Der interdisziplinäre Minor wird das erste Studienprogramm sein, welches über die School for Transdisciplinary Studies vermittelt wird. Neuperts Veranstaltung wird dabei einer der Kurse sein, den Masterstudierende der gesamten UZH belegen können, um sich auf die Digitalisierung in Gesellschaft und Forschung vorzubereiten.

 

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