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Integrität

Wissenschaftliche Falschspieler

Die Wissenschaft ist der Wahrheit verpflichtet. Doch vereinzelt kommt es vor, dass Forschende Daten zurechtrücken, Autorschaften missachten, Ideen klauen oder plagiieren. Mit der Integritätsverordnung bekämpft die UZH potenzielles Fehlverhalten.
Stefan Stöcklin

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Die Integritätsverordnung soll sicherstellen, dass nach den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis gearbeitet wird. (Illustration: Christoph Fischer)

Gregor Mendel tat es, Ptolemäus tat es, selbst Isaac Newton steht im Verdacht, Beobachtungen und Daten der Theorie zuliebe geschönt zu haben. Der österreichische Pfarrer Mendel, der mit seinen Erbsenexperimenten im 19. Jahrhundert grundlegende Gesetze der Vererbung entdeckte, hat seine Daten etwas zurechtgerückt – die überlieferten Daten waren einfach zu gut, um wahr zu sein. Ptolemäus hat in einem Katalog der Fixsterne Himmelskörper aufgelistet, die er in Alexandrien gar nicht beobachten konnte. Und Isaac Newton hat Messwerte zur Schallgeschwindigkeit mutmasslich leicht angepasst, damit sie seiner Theorie genau entsprechen. Man könnte zum Schluss kommen, dass das Beschönigen von Daten und – schlimmer noch – ihre Erfindung in der Wissenschaft eine gewisse Tradition haben.

Tatsächlich vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein Skandal die Forschungsgemeinschaft durchschüttelt. Aktuelles Beispiel ist die Affäre um den Alzheimer-Forscher Sylvain Lesné von der Universität von Minnesota. Er steht im Verdacht, während Jahren Daten zu einem Protein gefälscht zu haben, das im Krankheitsprozess eine wichtige Rolle spielen soll. Seine in den besten Zeitschriften publizierten Experimente könnten Teile der Alzheimer-Forschung während Jahren auf falsche Fährten geführt haben. Millionen von Forschungsgeldern wären dadurch für die Bestätigung von Phantomresultaten in aussichtslosen Experimenten verbrannt worden.

Lesnés Fall ist gravierend und vom Ausmass her aussergewöhnlich. Aber er verdeutlicht, dass Hochschulen alles Interesse daran haben, Fehlverhalten in der Forschung mit allen Mitteln zu verhindern. Dabei geht es nicht nur um den Ruf der Institutionen und persönliche Schicksale, sondern um die Wissenschaft und ihre Glaubwürdigkeit an sich. «Wissenschaftliche Forschung dient der Wahrheitsfindung, die publizierten Befunde müssen einfach stimmen», sagt Monica Zwicky, Professorin für Entwicklungsbiologie, heute im Ruhestand.

Es gilt also sicherzustellen, dass nach den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis gearbeitet wird. Für die UZH ist dazu seit 2020 die Integritätsverordnung massgebend (siehe untenstehenden Kasten). Zwicky ist eine von drei Vertrauenspersonen, die sich im Rahmen der neuen Verordnung mit wissenschaftlichem Fehlverhalten an der UZH beschäftigen. Bereits zuvor war sie ab 2003 als Ombudsfrau an der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät tätig. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen wissenschaftlicher Integrität und weiss, wo der Schuh drückt.

Ideendiebstahl und Betreuungsprobleme

Monica Zwicky ist eine von drei Vertrauenspersonen, die sich mit wissenschaftlichem Fehlverhalten an der UZH beschäftigen. (Bild: Ursula Meisser)

«99 Prozent der UZH-Angehörigen sind fair und halten die Regeln ein», sagt Zwicky, «doch es gibt einige wenige, die die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis miss­achten.» Wenn sich Leute bei ihr melden, gehe es häufig um Fragen der Autorenschaft, um Ideendiebstahl, Betreuungsprobleme bei Doktorarbeiten oder (mangelnde) Wertschätzung. Offene Anschuldigungen, dass Daten gefälscht würden, kämen vor, seien aber selten. «In den meisten Fällen wünschen die Betroffenen eine Beratung und häufig können wir schlichten und die Situation zurechtrücken», sagt Zwicky. Falls das Problem bereits länger gärt und eskaliert ist, kann eine Mediation oder eine weitergehende Untersuchung nötig sein, um festzustellen, ob ein wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt. In gravierenden Fällen wird die Universitätsleitung informiert, die beim Integritätsbeauftragten Wolfgang Ernst ein Verfahren einleiten kann.

Einen krassen Fall von Wissenschaftsbetrug hat Monica Zwicky während ihrer Zeit als Doktorandin ­erlebt. Anfang der 1980er-Jahre berichtete Karl Illmensee von der Universität Genf von erfolgreichen Klonexperimenten mit Mäusen. Seine Zellkerntransfers in Eizellen hätten die ersten geklonten Säugetiere hervorgebracht. Diese Meldung ging als Sensation durch die Weltpresse. Zwicky arbeitete damals an der Universität Zürich im Labor von Rolf Nöthiger und spezialisierte sich als Entwicklungsbiologin auf die genetischen Mechanismen der Geschlechtsdeterminierung. Als Illmensees Fälschun­gen 1983 ans Licht kamen, war der Skandal in Nöthigers Labor ein grosses Thema, da ihr Doktorvater mit ­Illmensee befreundet war. «Wir waren alle konsterniert und masslos enttäuscht», erinnert sich Zwicky. Aufgedeckt wurde der Schwindel, weil mehrere Kollegen die Experimente nicht wiederholen konnten. «Dieser Fall hat mir vor Augen geführt, was Fälschungen anrichten können, wie Vertrauen in die Wissenschaft verloren geht», sagt Zwicky.

Wie gesagt hat sie als Vertrauensperson der UZH nie einen derart schwerwiegenden Fall erlebt, bei dem spektakuläre Ergebnisse glatt erfunden oder vorgetäuscht worden wären. Oft sind es Unstimmigkeiten in den Teams, wenn sich zum Beispiel Leute zurückgesetzt oder falsch behandelt fühlen, die an sie herangetragen werden. Weil die enge, fast familiäre Arbeitssituation in den Forschungsteams zwischenmenschliche Konflikte provozieren kann, ist für Doktorierende an der UZH immer ein Komitee mehrerer Leute zuständig. Dies entschärft Abhängigkeiten. Ein weiteres Problem ist der Publikationsdruck, der gerade für Nachwuchsforschende hoch ist. Es ist kein Zufall, dass Monica Zwicky am häufigsten zu Themen der Autorschaft angefragt wird. Zum Beispiel in einem Fall, bei dem Experimente in einer Publikation des Doktorvaters erwähnt werden, die durchführende Doktorandin aber nicht. Hier kann der Schaden durch einen Nachtrag oder ein Corrigendum bei der Zeitschrift im besten Fall behoben werden.

Aber es gibt sie schon, gravierendere Fälle, in denen Daten eines Experiments oder Bilder angezweifelt werden, in denen eindeutig gegen die gute wissenschaftliche Praxis verstossen wird. «Erhärtet sich in meinen Vorabklärungen der Verdacht auf Fehlverhalten, informiere ich die Universitätsleitung und die beschuldigte Person», sagt Zwicky.

zwicky

99 Prozent der UZH-Angehörigen sind fair und halten die Regeln ein. Doch es gibt einige wenige, die die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis missachten.

Monica Zwicky
Entwicklungsbiologin und Vertrauensperson der UZH

Harte Sanktionen

Gravierende Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens kommen via Universitätsleitung zu Wolfgang Ernst, dem Integritätsbeauftragten der UZH und Professor für Römi­sches Recht. «Ich bin der Mann fürs schwierige Geschäft», sagt der Jurist und vergleicht seine Rolle mit derjenigen eines Ermittlungsrichters. Ernst spricht von zwei bis drei Fällen pro Jahr, die ihn und seine Stellvertreterin Caterina Nägeli allerdings stark beschäftigten und «enormen Aufwand» verursachten.

Meist handelt es sich um komplexe Fälle, in denen juristisch wasserdicht und mit Expertengutachten gearbeitet werden muss. Dabei müsse der Fall in jeder Hinsicht durchleuchtet und fair behandelt werden. «Meine Rolle sehe ich darin, die Verfahren mit grösstmöglicher Transparenz und Rechtsstaatlichkeit durchzuführen«, sagt der Jurist.

Seiner Rolle als unabhängiger Makler dient es, dass er mit einem Teilzeitpensum an der UZH beschäftigt ist und zur Hauptsache an der Universität von Oxford forscht und lehrt. Im Schlussbericht zuhanden der Universitätsleitung führt Ernst aus, inwiefern sich der Verdacht auf Fehlverhalten bestätigen liess, und schlägt Sanktionen vor, welche die Universitätsleitung übernehmen kann, aber nicht muss. Ein Blick in die Integritätsverordnung zeigt, dass wissenschaftliches Fehlverhalten hart sanktioniert wird: Die Massnahmen, die der Universitätsleitung zur Verfügung stehen, reichen von der Sperrung oder Rückforderung von Forschungsgeldern über einen Titelentzug bis zur Entlassung oder anderen Personalmassnahmen.

Für die Aufklärung der meist komplizierten Sachverhalte kann Ernst in Zusammenarbeit mit Martin Hanselmann von der Geschäftsstelle «Wissenschaftliche Integrität» auf alle technischen Hilfsmittel zur Entdeckung von Fälschungen zurückgreifen. Seien es Programme zur Analyse von Datensätzen oder Bildanalyse-Tools und Plagiatssoftware. Sämtliche technischen Mittel nützen hingegen nichts, wenn kein Anfangsverdacht besteht. «Wir sind auf Hinweisgeber angewiesen, die uns auf das Fehlverhalten aufmerksam machen», sagt Ernst. Whistleblower werden zwar so gut als möglich geschützt, die Anonymisierung kann aber schwierig sein, wenn den Beschuldigten belastendes Material gezeigt werden muss oder Autorschaften angezweifelt werden. Da bestehe ein Dilemma und es gebe Fälle, in denen Ratsuchende ihre Vorwürfe aufgrund der Nähe zu den Beschuldigten zurückziehen, sagt Vertrauensperson Zwicky.

ernst

Wir sind auf Hinweisgeber angewiesen, die uns auf Fehlverhalten aufmerksam machen.

Wolfgang Ernst
Rechtswissenschaftler und UZH-Integritätsbeauftragter

Publikationsdruck und Charakterfrage

Laut Ernst hat sich die mit der Integritätsverordnung eingeführte Prozedur bewährt. Für das kleine Segment von Falschspielern und -spielerinnen, die sich nicht an die Regeln halten, stehe ein «sauberes Verfahren» zur Verfügung, das auch den Beschuldigten alle Rechte einräumt. Ernst mag nicht darüber spekulieren, was Leute dazu bringt, gegen die gängigen Regeln zu verstossen. Sicher dreht der Wissenschaftsbetrieb gerade in den Naturwissenschaften und der Medizin immer schneller und der Publikationsdruck hat trotz Open Science kaum nachgelassen.

Doch Ernst geht mit Zwicky einig, dass es letztlich eine Charakterfrage ist, ob Forschende integer sind und die Spielregeln einhalten oder nicht. «Vor menschlichen Schwächen sind auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht gefeit», meint der Jurist. Selbst Giganten wie Newton oder Mendel nicht, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt. Doch das waren andere Zeiten – heute gilt Nulltoleranz.

Dieser Artikel ist zuerst im UZH Magazin 4/22 erschienen.

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